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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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kittet, der, wenn er Geld im Sack hat, statt des gemeinen "Guten
Tag" auch ein vornehmes "Buschur" zuruft, und der Tailleur im
Norden und am Rheine fährt sich geschmeichelt durch die Locken,
wenn ihm der Marqueur beim Billardspiel vorzählt: Pojeng a Pojcng.

Gerade was ein Vorzug der deutschen Sprache ist, hat es
dahin gebracht, das die raffinirten "Cercles es in-moins Aonro" finden,
sich ihrer zu bedienen. Ihr könnt es oft hören: die deutsche Sprache
(die reichste von allen) habe nicht "Distinctionen und Nüancen" ge¬
nug. Allerdings heißt im Deutschen der ttouv ein Wüstling, der
LIasv ein Verlebter, der Flaneur ein Strolch oder Pflastertreter
u. s. w. u. s. w. Die deutsche Sprache ist ehrlich grob, sie will
nichts von der gesellschaftlichen Schönfärberei, sie hängt dem Laster kein
interessantes Mäntelchen um, und das ist gut. Völker und Zeiten
müssen in sich zerfallen, wenn ihre Sprache den sittlichen Halt ver¬
liert, oder gar das Faule und Hohle beschönigt. Darum halten
wir fest an der Aufrichtigkeit unserer Sprache, wenn sie auch Man¬
chem scharfrichterisch und grob dünken mag. Volksthümliche und
sittliche Beweggründe erheischen das.

Die Zeitungspresse hat hier und dort mit gewissenhafter Strenge
Gutes zu wirken begonnen, aber wer weiß nicht, wie es mit dem
Deutsch bei manchen Führern der z^ournsle" aussteht, und so lange
unsere deutschen Zeitungen wesentlich ausländische sein müssen, in¬
dem man über die inneren Angelegenheiten des Vaterlandes kein
rechtes Wort sagen darf, so lange werden steh's die Ueberscher leicht
machen und manches frische und freie Wort muß zurückgehalten
werden, weil es sich der Bevormundung entzieht.

Ich komme hiermit auf das wesentlichste Hinderniß einer volks¬
tümlichen Sprache: die Censur. Der kernige Ausdruck, der den
Gegenstand rund heraus packt, das Ding beim rechten Namen nennt,
wird durch die Censur verdrängt. Das Starke, Feste, muß abge¬
schwächt und verdünnt, die frische Blüthe des Lebens zu einem ver¬
kochtem Absud verwandelt, das Handfeste breiig gemacht werden.
Man darf keinen wirklichen Gegenstand, keine Thatsache, keinen
Charakter frisch herausgreifen, und was auf ein bestimmtes Einzel¬
nes gemünzt ist, was ein kenntlich bezeichnendes Gepräge haben
sollte, muß zum Allgemeinsatze eingeschmolzen werden. Einem All¬
gemeinsatze stellt man viel weniger nach, als wenn man dem wirt-


kittet, der, wenn er Geld im Sack hat, statt des gemeinen „Guten
Tag" auch ein vornehmes „Buschur" zuruft, und der Tailleur im
Norden und am Rheine fährt sich geschmeichelt durch die Locken,
wenn ihm der Marqueur beim Billardspiel vorzählt: Pojeng a Pojcng.

Gerade was ein Vorzug der deutschen Sprache ist, hat es
dahin gebracht, das die raffinirten „Cercles es in-moins Aonro" finden,
sich ihrer zu bedienen. Ihr könnt es oft hören: die deutsche Sprache
(die reichste von allen) habe nicht „Distinctionen und Nüancen" ge¬
nug. Allerdings heißt im Deutschen der ttouv ein Wüstling, der
LIasv ein Verlebter, der Flaneur ein Strolch oder Pflastertreter
u. s. w. u. s. w. Die deutsche Sprache ist ehrlich grob, sie will
nichts von der gesellschaftlichen Schönfärberei, sie hängt dem Laster kein
interessantes Mäntelchen um, und das ist gut. Völker und Zeiten
müssen in sich zerfallen, wenn ihre Sprache den sittlichen Halt ver¬
liert, oder gar das Faule und Hohle beschönigt. Darum halten
wir fest an der Aufrichtigkeit unserer Sprache, wenn sie auch Man¬
chem scharfrichterisch und grob dünken mag. Volksthümliche und
sittliche Beweggründe erheischen das.

Die Zeitungspresse hat hier und dort mit gewissenhafter Strenge
Gutes zu wirken begonnen, aber wer weiß nicht, wie es mit dem
Deutsch bei manchen Führern der z^ournsle" aussteht, und so lange
unsere deutschen Zeitungen wesentlich ausländische sein müssen, in¬
dem man über die inneren Angelegenheiten des Vaterlandes kein
rechtes Wort sagen darf, so lange werden steh's die Ueberscher leicht
machen und manches frische und freie Wort muß zurückgehalten
werden, weil es sich der Bevormundung entzieht.

Ich komme hiermit auf das wesentlichste Hinderniß einer volks¬
tümlichen Sprache: die Censur. Der kernige Ausdruck, der den
Gegenstand rund heraus packt, das Ding beim rechten Namen nennt,
wird durch die Censur verdrängt. Das Starke, Feste, muß abge¬
schwächt und verdünnt, die frische Blüthe des Lebens zu einem ver¬
kochtem Absud verwandelt, das Handfeste breiig gemacht werden.
Man darf keinen wirklichen Gegenstand, keine Thatsache, keinen
Charakter frisch herausgreifen, und was auf ein bestimmtes Einzel¬
nes gemünzt ist, was ein kenntlich bezeichnendes Gepräge haben
sollte, muß zum Allgemeinsatze eingeschmolzen werden. Einem All¬
gemeinsatze stellt man viel weniger nach, als wenn man dem wirt-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/100>, abgerufen am 26.05.2024.