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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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galt damals die alte Patrizimvürde, eben wie in Frankfurt zu Goethe's
Jugendzeit. Oder wählt man jetzt aus Vorsicht und Rücksicht vielleicht
nicht Diejenigen zu Senatoren, welche sich geistig und literarisch ausge¬
zeichnet haben, damit der jüngere Rath den älteren nicht über-
scyeine? Der jetzige Bürgermeister Barthcls schrieb einst "Briefe
über Calabrien und Sicilien," die archäologischen Werth hatten, und
der unlängst verstorbene Bürgermeister Abendroth, 1813 "Wün¬
sche bei Hamburgs Wiedergeburt," die noch heute als Wünsche ihren
vollen Werth haben. Der Senator Hudtw aller trat einst so¬
gar als Romanschriftsteller auf und ließ sich später in die Brochüren-
Schnftstellerei ein, wo er die Rechtgläubigkeit der Kirche, ob als Senator
oder Jurist? vertreten zu müssen glaubte, während er in der letzten
Zeit mehr als Publicist, besonders in den servilen "neuen Hamburgi¬
schen Blättern" -i 1^ ki"^",:" seine besondern Ansichten und Meinungen
dargelegt hat. Aber die Altgläubigkeit hat sich überlebt, in der Politik,
im Recht wie in der Kirche,, und Hamburg wird doch wohl nicht eher
die Wiedergeburt verjüngender Keime und Reformen feiern, als bis sein
Senat in "leur junggläubig sich mit der Zeit vermählt und die "Wünsche"
aus den Freiheitstagen von 18IZ erfüllt hat. Zum Ruhme muß man
es dem jüngeren Theile des Senats deshalb nachsagen, daß des Mei-
nungsdissenses wegen in der letzten Zeit hin und wieder Zwietracht sich
gezeigt hat und Einzelne, welche ausgetreten, sogar allein aus diesem
Grunde ausgetreten sein sollen.

Von einigen andern Senatoren, die mehr oder weniger populär ge¬
worden sind und genannt werden, will ich nur noch die Senatoren Lut¬
teroth-Legat und Binder nennen.

Der Senator Lutteroth-Legat, welcher vor zwei Jahren Prä-
tur-Richter war, steht in seinem Aeußern einem Landgeistlichen eher ähn¬
lich, als einem Senator der freien und Hansestadt Hamburg. Mit sei¬
nem langen, weißen Haar, das zwei mächtige Vatermörder umwallt, geht
dieser alte Herr Sommer und Winter, es mag regnen oder schneien, im
schwarzen Frack, ohne weiteren Ueberzug, und im hastigen Schritt durch
die Straßen, die eine Hand in der Brusttasche, ohne rechts oder links
zu sehen. Wie äußerlich, so ist der ehrwürdige Mann mit seinem kur¬
zen, in sich gekehrten, schroffen Wesen auch innerlich ein Original oder
wenigstens eine Ausnahme von der kaufmännischen Regel. Niemand
merkt dieser Gestalt den Kaufmann an! Senator Lutteroth-Le¬
gat ist neben seiner kaufmännischen Börfengewandtheit auch -- ein
Kenner des Rechts, er soll sich aus individueller Vorliebe für die Rechts¬
wissenschaften interessirt haben, und daher kam es denn auch, daß er wahrend
seiner Präturbekleidung, ohne sonst üblichen Assistenten, nicht blos einer
besonderen Achtung und eines größeren Vertrauens im Volke sich er¬
freuen konnte, sondern auch in jene Deputation gewählt wurde, die über
Polizeireform und Strafgesetzbuch mit sich zu Rathe gehen sollte. --
Der Senator, Herr Doctor Binder, fungirt gegenwärtig zugleich als
oberster Polizeiherr. Wenn bei der momentanen oder kurzweiligen Be¬
setzung der städtischen Aemter und Würden durch die Senatoren auf Jn-


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galt damals die alte Patrizimvürde, eben wie in Frankfurt zu Goethe's
Jugendzeit. Oder wählt man jetzt aus Vorsicht und Rücksicht vielleicht
nicht Diejenigen zu Senatoren, welche sich geistig und literarisch ausge¬
zeichnet haben, damit der jüngere Rath den älteren nicht über-
scyeine? Der jetzige Bürgermeister Barthcls schrieb einst „Briefe
über Calabrien und Sicilien," die archäologischen Werth hatten, und
der unlängst verstorbene Bürgermeister Abendroth, 1813 „Wün¬
sche bei Hamburgs Wiedergeburt," die noch heute als Wünsche ihren
vollen Werth haben. Der Senator Hudtw aller trat einst so¬
gar als Romanschriftsteller auf und ließ sich später in die Brochüren-
Schnftstellerei ein, wo er die Rechtgläubigkeit der Kirche, ob als Senator
oder Jurist? vertreten zu müssen glaubte, während er in der letzten
Zeit mehr als Publicist, besonders in den servilen „neuen Hamburgi¬
schen Blättern" -i 1^ ki»^«,:» seine besondern Ansichten und Meinungen
dargelegt hat. Aber die Altgläubigkeit hat sich überlebt, in der Politik,
im Recht wie in der Kirche,, und Hamburg wird doch wohl nicht eher
die Wiedergeburt verjüngender Keime und Reformen feiern, als bis sein
Senat in »leur junggläubig sich mit der Zeit vermählt und die „Wünsche"
aus den Freiheitstagen von 18IZ erfüllt hat. Zum Ruhme muß man
es dem jüngeren Theile des Senats deshalb nachsagen, daß des Mei-
nungsdissenses wegen in der letzten Zeit hin und wieder Zwietracht sich
gezeigt hat und Einzelne, welche ausgetreten, sogar allein aus diesem
Grunde ausgetreten sein sollen.

Von einigen andern Senatoren, die mehr oder weniger populär ge¬
worden sind und genannt werden, will ich nur noch die Senatoren Lut¬
teroth-Legat und Binder nennen.

Der Senator Lutteroth-Legat, welcher vor zwei Jahren Prä-
tur-Richter war, steht in seinem Aeußern einem Landgeistlichen eher ähn¬
lich, als einem Senator der freien und Hansestadt Hamburg. Mit sei¬
nem langen, weißen Haar, das zwei mächtige Vatermörder umwallt, geht
dieser alte Herr Sommer und Winter, es mag regnen oder schneien, im
schwarzen Frack, ohne weiteren Ueberzug, und im hastigen Schritt durch
die Straßen, die eine Hand in der Brusttasche, ohne rechts oder links
zu sehen. Wie äußerlich, so ist der ehrwürdige Mann mit seinem kur¬
zen, in sich gekehrten, schroffen Wesen auch innerlich ein Original oder
wenigstens eine Ausnahme von der kaufmännischen Regel. Niemand
merkt dieser Gestalt den Kaufmann an! Senator Lutteroth-Le¬
gat ist neben seiner kaufmännischen Börfengewandtheit auch — ein
Kenner des Rechts, er soll sich aus individueller Vorliebe für die Rechts¬
wissenschaften interessirt haben, und daher kam es denn auch, daß er wahrend
seiner Präturbekleidung, ohne sonst üblichen Assistenten, nicht blos einer
besonderen Achtung und eines größeren Vertrauens im Volke sich er¬
freuen konnte, sondern auch in jene Deputation gewählt wurde, die über
Polizeireform und Strafgesetzbuch mit sich zu Rathe gehen sollte. —
Der Senator, Herr Doctor Binder, fungirt gegenwärtig zugleich als
oberster Polizeiherr. Wenn bei der momentanen oder kurzweiligen Be¬
setzung der städtischen Aemter und Würden durch die Senatoren auf Jn-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/183>, abgerufen am 06.05.2024.