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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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druck ihrer Vertheidigung wählt, und ihre Zeugen abseits verhört,
wie und worüber es ihm gefällt? Wie "eng sich dagegen der blöde,
einfältige, oder wohl auch der kluge, aber fast immer rechtsunkundige
Mann vertheidigen? Wer möchte bei diesen menschen- und lichtscheuen
Verhandlungen im Stande sein, das Mangelhafte, Schiefe, Verstellte,
ja oft das Falsche dessen aufzudecken, was unvertilgbar auf dem Pa¬
piere steht? Was endlich nützen alle obern und obersten Gerichte, was
alle Berufungen und Beschwerden an sie, wenn alle Zähler und Nen¬
ner schon so feststehen, daß sich das Endergebniß von selbst löst?
"Das heißt im selbsterschaffenen Nebel ersticken," höre ich unsere Justiz¬
leute ausrufen, "besehe euch die Sache näher. Der tägliche Hergang
bei unsern Pfleg- und Landgerichten, in den Sälen des wiener Magi¬
strats wird diese schwarzen Träume Lügen strafen; Fälle wie die vor¬
gespiegelten gehören, Gott sei Dank, hier zu Lande zu den seltenen
Ausnahmen."

Gemach, meine Herren, wer steht ihnen dafür, daß sie bei dieser
Einrichtung alle Ausnahmen kennen? Wer sagt ihnen, daß alle Ge¬
richte eines so weitläufigen Reiches dem wiener Zuschnitte gleichen?
Immerhin schwebt die Frage nur über Möglichkeiten, es handelt sich
um die Beurtheilung eines Gesetzes aus dem Standpunkte des natür¬
lichen , oder wie jener Berichterstatter in der Augsburger Allgemeinen
hinzufügt, auch des historischen Rechtes. Vom letzteren abgeleitet be-
dünkt mich der Ursprung des neuen Gesetzes nicht legitimer zu sein,
als der Pipin's des Kurzen, und König Arnulf's; fragen wir aber,
ob es den Lauf der Processe in eine sichrere Bahn eingelenkt habe,
so werden dies nur Jene bejahen können, die den Untersuchungsrichter
auch für Civilstreite wünschen.

Man preist das Gesetz als eine Wohlthat für den Armen. Sollte
es ihn wirklich mehr kümmern, wie früh, als wie richtig sein Handel
entschieden wird? Der Verlust seines einen Scheffels Korn drückt ihn
mehr, als den Reichen deren fünfzig!




druck ihrer Vertheidigung wählt, und ihre Zeugen abseits verhört,
wie und worüber es ihm gefällt? Wie »eng sich dagegen der blöde,
einfältige, oder wohl auch der kluge, aber fast immer rechtsunkundige
Mann vertheidigen? Wer möchte bei diesen menschen- und lichtscheuen
Verhandlungen im Stande sein, das Mangelhafte, Schiefe, Verstellte,
ja oft das Falsche dessen aufzudecken, was unvertilgbar auf dem Pa¬
piere steht? Was endlich nützen alle obern und obersten Gerichte, was
alle Berufungen und Beschwerden an sie, wenn alle Zähler und Nen¬
ner schon so feststehen, daß sich das Endergebniß von selbst löst?
„Das heißt im selbsterschaffenen Nebel ersticken," höre ich unsere Justiz¬
leute ausrufen, „besehe euch die Sache näher. Der tägliche Hergang
bei unsern Pfleg- und Landgerichten, in den Sälen des wiener Magi¬
strats wird diese schwarzen Träume Lügen strafen; Fälle wie die vor¬
gespiegelten gehören, Gott sei Dank, hier zu Lande zu den seltenen
Ausnahmen."

Gemach, meine Herren, wer steht ihnen dafür, daß sie bei dieser
Einrichtung alle Ausnahmen kennen? Wer sagt ihnen, daß alle Ge¬
richte eines so weitläufigen Reiches dem wiener Zuschnitte gleichen?
Immerhin schwebt die Frage nur über Möglichkeiten, es handelt sich
um die Beurtheilung eines Gesetzes aus dem Standpunkte des natür¬
lichen , oder wie jener Berichterstatter in der Augsburger Allgemeinen
hinzufügt, auch des historischen Rechtes. Vom letzteren abgeleitet be-
dünkt mich der Ursprung des neuen Gesetzes nicht legitimer zu sein,
als der Pipin's des Kurzen, und König Arnulf's; fragen wir aber,
ob es den Lauf der Processe in eine sichrere Bahn eingelenkt habe,
so werden dies nur Jene bejahen können, die den Untersuchungsrichter
auch für Civilstreite wünschen.

Man preist das Gesetz als eine Wohlthat für den Armen. Sollte
es ihn wirklich mehr kümmern, wie früh, als wie richtig sein Handel
entschieden wird? Der Verlust seines einen Scheffels Korn drückt ihn
mehr, als den Reichen deren fünfzig!




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/206>, abgerufen am 27.04.2024.