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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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aufgenommen worden sein. Insofern aber eine solche vorzugsweise
einer vorausschlichen philosophischen Schulmäßigkeit und Dunkelheit
des Vortrags gälte, würde sie diesmal ungerechtfertigt sein. Rüge hat
die Fink'sche Uebersetzung der l)Ix -uis von Louis Blanc bekanntlich
mit einer Abhandlung eingeleitet; diese ließ er in Paris in's Fran¬
zösische übersetzen und Louis Blanc vorlesen. Blanc, wie Rüge selbst
erzählt, hörte mit großer Geduld zu Ende und sagte dann, um sein
Urtheil befragt: "Ihr Aussatz ist reich an schönen Sachen, in-ris trop
8vri"ux et iiilii,ki""!iii, Imix." Diesen Vorwurf (auf den sich wohl der
Witz bezieht, den man Heine zuschreibt, Rüge sei nach Paris gekom¬
men, um Deutsch schreiben zu lernen), diesen Vorwurf also, versichert
Rüge, habe er sich ernstlich zu Herzen genommen, und fordert das
Publicum auf, zu entscheiden, ob mit Erfolg.

Die Stimmung, in welche Rüge durch die Unterdrückung seiner
Jahrbücher versetzt werden mußte, wird Jeder, wer je in seinem besten
Wirken gestört, um seine schönsten Hoffnungen betrogen worden, sich
leicht vorstellen können. Die Kritik der theoretischen Bildung und der
praktischen Zustände, wie solche in den Jahrbüchern geübt wurde, sah
Rüge als "ein Bedürfniß der Zeit" an; die Bewegung, die Aufregung
der Geister, welche wirklich hervorgebracht wurde, hatte die höchsten
Fragen und die letzten Ergebnisse der geistigen Entwicklung Deutsch¬
lands zu ihrem Gegenstande; Rüge saß so zu sagen am Steuer und
lenkte das kritische Schifflein, das immer kühner durch die Wogen der
Reaction gegen den philosophischen Geist, welche es umbrandeten, hin¬
durchdrang. Da aus einmal stieß das Fahrzeug auf die Klippe der
öffentlichen Gewalt und scheiterte. "Eine fünfjährige Arbeit," erzählt
Rüge selbst, "hatte den Ruf des Journals begründet; man fällte den
Baum, als er anfing Früchte zu tragen und ein großes Publicum
zu gewinnen. Die sächsische Kammer nahm sich dieses idealen Eigen¬
thums nicht an, und erklärte, die Regierung sei vollkommen in ihrem
Rechte. Die Kammer hatte im Allgemeinen für Preßfreiheit ge¬
stimmt; aber im bestimmten Falle sanctionirte sie die Censurordon¬
nanzen und zugleich die Maßregel, welche auch die Censur noch für
eine unerträgliche Freiheit erklärte und die censirten Blätter wegzu¬
nehmen befahl, ja, den fernern Druck des Journals, selbst unter Censur,
verbot." Das war nun der empfindlichste Schlag. Zu dem Volke
hatte Rüge Vertrauen gehabt, die Sache des Volkes glaubte er zu
führen, und von dem Volke erwartete er Theilnahme und Unterstützung
in der Noth. Er fand sich getäuscht; wie bitter war diese Täuschung!


aufgenommen worden sein. Insofern aber eine solche vorzugsweise
einer vorausschlichen philosophischen Schulmäßigkeit und Dunkelheit
des Vortrags gälte, würde sie diesmal ungerechtfertigt sein. Rüge hat
die Fink'sche Uebersetzung der l)Ix -uis von Louis Blanc bekanntlich
mit einer Abhandlung eingeleitet; diese ließ er in Paris in's Fran¬
zösische übersetzen und Louis Blanc vorlesen. Blanc, wie Rüge selbst
erzählt, hörte mit großer Geduld zu Ende und sagte dann, um sein
Urtheil befragt: „Ihr Aussatz ist reich an schönen Sachen, in-ris trop
8vri«ux et iiilii,ki»«!iii, Imix." Diesen Vorwurf (auf den sich wohl der
Witz bezieht, den man Heine zuschreibt, Rüge sei nach Paris gekom¬
men, um Deutsch schreiben zu lernen), diesen Vorwurf also, versichert
Rüge, habe er sich ernstlich zu Herzen genommen, und fordert das
Publicum auf, zu entscheiden, ob mit Erfolg.

Die Stimmung, in welche Rüge durch die Unterdrückung seiner
Jahrbücher versetzt werden mußte, wird Jeder, wer je in seinem besten
Wirken gestört, um seine schönsten Hoffnungen betrogen worden, sich
leicht vorstellen können. Die Kritik der theoretischen Bildung und der
praktischen Zustände, wie solche in den Jahrbüchern geübt wurde, sah
Rüge als „ein Bedürfniß der Zeit" an; die Bewegung, die Aufregung
der Geister, welche wirklich hervorgebracht wurde, hatte die höchsten
Fragen und die letzten Ergebnisse der geistigen Entwicklung Deutsch¬
lands zu ihrem Gegenstande; Rüge saß so zu sagen am Steuer und
lenkte das kritische Schifflein, das immer kühner durch die Wogen der
Reaction gegen den philosophischen Geist, welche es umbrandeten, hin¬
durchdrang. Da aus einmal stieß das Fahrzeug auf die Klippe der
öffentlichen Gewalt und scheiterte. „Eine fünfjährige Arbeit," erzählt
Rüge selbst, „hatte den Ruf des Journals begründet; man fällte den
Baum, als er anfing Früchte zu tragen und ein großes Publicum
zu gewinnen. Die sächsische Kammer nahm sich dieses idealen Eigen¬
thums nicht an, und erklärte, die Regierung sei vollkommen in ihrem
Rechte. Die Kammer hatte im Allgemeinen für Preßfreiheit ge¬
stimmt; aber im bestimmten Falle sanctionirte sie die Censurordon¬
nanzen und zugleich die Maßregel, welche auch die Censur noch für
eine unerträgliche Freiheit erklärte und die censirten Blätter wegzu¬
nehmen befahl, ja, den fernern Druck des Journals, selbst unter Censur,
verbot." Das war nun der empfindlichste Schlag. Zu dem Volke
hatte Rüge Vertrauen gehabt, die Sache des Volkes glaubte er zu
führen, und von dem Volke erwartete er Theilnahme und Unterstützung
in der Noth. Er fand sich getäuscht; wie bitter war diese Täuschung!


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[0234] aufgenommen worden sein. Insofern aber eine solche vorzugsweise einer vorausschlichen philosophischen Schulmäßigkeit und Dunkelheit des Vortrags gälte, würde sie diesmal ungerechtfertigt sein. Rüge hat die Fink'sche Uebersetzung der l)Ix -uis von Louis Blanc bekanntlich mit einer Abhandlung eingeleitet; diese ließ er in Paris in's Fran¬ zösische übersetzen und Louis Blanc vorlesen. Blanc, wie Rüge selbst erzählt, hörte mit großer Geduld zu Ende und sagte dann, um sein Urtheil befragt: „Ihr Aussatz ist reich an schönen Sachen, in-ris trop 8vri«ux et iiilii,ki»«!iii, Imix." Diesen Vorwurf (auf den sich wohl der Witz bezieht, den man Heine zuschreibt, Rüge sei nach Paris gekom¬ men, um Deutsch schreiben zu lernen), diesen Vorwurf also, versichert Rüge, habe er sich ernstlich zu Herzen genommen, und fordert das Publicum auf, zu entscheiden, ob mit Erfolg. Die Stimmung, in welche Rüge durch die Unterdrückung seiner Jahrbücher versetzt werden mußte, wird Jeder, wer je in seinem besten Wirken gestört, um seine schönsten Hoffnungen betrogen worden, sich leicht vorstellen können. Die Kritik der theoretischen Bildung und der praktischen Zustände, wie solche in den Jahrbüchern geübt wurde, sah Rüge als „ein Bedürfniß der Zeit" an; die Bewegung, die Aufregung der Geister, welche wirklich hervorgebracht wurde, hatte die höchsten Fragen und die letzten Ergebnisse der geistigen Entwicklung Deutsch¬ lands zu ihrem Gegenstande; Rüge saß so zu sagen am Steuer und lenkte das kritische Schifflein, das immer kühner durch die Wogen der Reaction gegen den philosophischen Geist, welche es umbrandeten, hin¬ durchdrang. Da aus einmal stieß das Fahrzeug auf die Klippe der öffentlichen Gewalt und scheiterte. „Eine fünfjährige Arbeit," erzählt Rüge selbst, „hatte den Ruf des Journals begründet; man fällte den Baum, als er anfing Früchte zu tragen und ein großes Publicum zu gewinnen. Die sächsische Kammer nahm sich dieses idealen Eigen¬ thums nicht an, und erklärte, die Regierung sei vollkommen in ihrem Rechte. Die Kammer hatte im Allgemeinen für Preßfreiheit ge¬ stimmt; aber im bestimmten Falle sanctionirte sie die Censurordon¬ nanzen und zugleich die Maßregel, welche auch die Censur noch für eine unerträgliche Freiheit erklärte und die censirten Blätter wegzu¬ nehmen befahl, ja, den fernern Druck des Journals, selbst unter Censur, verbot." Das war nun der empfindlichste Schlag. Zu dem Volke hatte Rüge Vertrauen gehabt, die Sache des Volkes glaubte er zu führen, und von dem Volke erwartete er Theilnahme und Unterstützung in der Noth. Er fand sich getäuscht; wie bitter war diese Täuschung!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/234>, abgerufen am 03.05.2024.