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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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lische Schrulle hinopfert. Er sucht in feinen Romanen nicht in den
Busen der Nation zu greifen, er schreibt nur für den aristokratischen
Stand. Dadurch bekommen seine Produktionen etwas Geziertes und
Verfehltes, sie verlieren den Boden, der einzig und allein der freien
schöpferischen Thätigkeit zusagen kann. Und wie wirkt Sternberg?
Man kennt seinen NaMen in den aristokratischen Cirkeln, man liest
seine gesellschaftsfähigen Romane auf Schlössern und Burgen, man
lügt sich durch Sternberg wo möglich noch mehr in die aristokratischen
Illusionen hinein und schwelgt vor einem verblaßten Noccocogemälde.
Ist aber eine solche Wirksamkeit eines so großen Talentes würdig,
wie wir es dem Romanschriftsteller Sternberg zusprechen müssen?
Seine wahrhaft bedeutende Wirksamkeit scheitert am Rande! Bemer¬
kenswerth ist es, daß Sternberg sich in seinem neuesten Romane aus
den Höhen auch in die Tiefen der Gesellschaft verliert und es schien
uns fast, als habe er das aristokratische Ceremoniel einigermaßen satt
bekommen! Neben Sternberg nennen wir noch die Gräfin Jda Hahn-
Hahn, ohne ihn mit ihr vergleichen zu wollen. In den Productionen
der mecklenburgischen Gräfin sehen wir eben nur, wohin es mit unse¬
rer Aristokratie gekommen und welche unglücklichen Anläufe gemacht
werden, wo man es versucht, eine geschlossene, aristokratische Litera¬
tur zu schaffen. Sonst Pflegen sich die Frauen, selbst in ständischen
Verhältnissen, noch immer mehr Frische und Geist zu erhalten als die
Männer. Die Romanschriftstellerin Hahn zeigt uns aber in ihren
Productionen, daß in ihr nicht blos die Schriftstellerin, sondern auch
das Weib an dem ständischen Bemühen untergegangen ist. Wie sich jedoch
auch eine ständisch abgeschlossene Romanliteratur der Aristokratie zu
behaupten sucht, es steht die Bewegung des modernen Geistes im
entschiedensten Widerspruche mit derselben und er entflieht den Schran¬
ken , in denen man ihn zum leeren Behagen einer geistig stagnirenden
und gelangweilten Aristokratie festhalten möchte.

Steht es denn aber besser um die auf unsere Bourgeoisie berech¬
nete RoManltteratur? Bourgeoisie ist ein fremdes Wort, wir behalten
es aber bei, da Uns ein deutsches fehlt, dasselbe auszudrücken. Für
den Lesetrieb unserer Bourgeoisie sind unsere Leihbibliotheken die
großen Abfütterungskasten. Und was wird dort vorzüglich gelesen?
Und wer sind die Leute, die diesen Lesetrieb zu befriedigen suchen?
Unsere Bourgeoisie liefet nur zur Erholung von den Geschäften des
Marktes, Ves Ladens, des Bureaus, des Hauses, sie will deshalb denn


lische Schrulle hinopfert. Er sucht in feinen Romanen nicht in den
Busen der Nation zu greifen, er schreibt nur für den aristokratischen
Stand. Dadurch bekommen seine Produktionen etwas Geziertes und
Verfehltes, sie verlieren den Boden, der einzig und allein der freien
schöpferischen Thätigkeit zusagen kann. Und wie wirkt Sternberg?
Man kennt seinen NaMen in den aristokratischen Cirkeln, man liest
seine gesellschaftsfähigen Romane auf Schlössern und Burgen, man
lügt sich durch Sternberg wo möglich noch mehr in die aristokratischen
Illusionen hinein und schwelgt vor einem verblaßten Noccocogemälde.
Ist aber eine solche Wirksamkeit eines so großen Talentes würdig,
wie wir es dem Romanschriftsteller Sternberg zusprechen müssen?
Seine wahrhaft bedeutende Wirksamkeit scheitert am Rande! Bemer¬
kenswerth ist es, daß Sternberg sich in seinem neuesten Romane aus
den Höhen auch in die Tiefen der Gesellschaft verliert und es schien
uns fast, als habe er das aristokratische Ceremoniel einigermaßen satt
bekommen! Neben Sternberg nennen wir noch die Gräfin Jda Hahn-
Hahn, ohne ihn mit ihr vergleichen zu wollen. In den Productionen
der mecklenburgischen Gräfin sehen wir eben nur, wohin es mit unse¬
rer Aristokratie gekommen und welche unglücklichen Anläufe gemacht
werden, wo man es versucht, eine geschlossene, aristokratische Litera¬
tur zu schaffen. Sonst Pflegen sich die Frauen, selbst in ständischen
Verhältnissen, noch immer mehr Frische und Geist zu erhalten als die
Männer. Die Romanschriftstellerin Hahn zeigt uns aber in ihren
Productionen, daß in ihr nicht blos die Schriftstellerin, sondern auch
das Weib an dem ständischen Bemühen untergegangen ist. Wie sich jedoch
auch eine ständisch abgeschlossene Romanliteratur der Aristokratie zu
behaupten sucht, es steht die Bewegung des modernen Geistes im
entschiedensten Widerspruche mit derselben und er entflieht den Schran¬
ken , in denen man ihn zum leeren Behagen einer geistig stagnirenden
und gelangweilten Aristokratie festhalten möchte.

Steht es denn aber besser um die auf unsere Bourgeoisie berech¬
nete RoManltteratur? Bourgeoisie ist ein fremdes Wort, wir behalten
es aber bei, da Uns ein deutsches fehlt, dasselbe auszudrücken. Für
den Lesetrieb unserer Bourgeoisie sind unsere Leihbibliotheken die
großen Abfütterungskasten. Und was wird dort vorzüglich gelesen?
Und wer sind die Leute, die diesen Lesetrieb zu befriedigen suchen?
Unsere Bourgeoisie liefet nur zur Erholung von den Geschäften des
Marktes, Ves Ladens, des Bureaus, des Hauses, sie will deshalb denn


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[0258] lische Schrulle hinopfert. Er sucht in feinen Romanen nicht in den Busen der Nation zu greifen, er schreibt nur für den aristokratischen Stand. Dadurch bekommen seine Produktionen etwas Geziertes und Verfehltes, sie verlieren den Boden, der einzig und allein der freien schöpferischen Thätigkeit zusagen kann. Und wie wirkt Sternberg? Man kennt seinen NaMen in den aristokratischen Cirkeln, man liest seine gesellschaftsfähigen Romane auf Schlössern und Burgen, man lügt sich durch Sternberg wo möglich noch mehr in die aristokratischen Illusionen hinein und schwelgt vor einem verblaßten Noccocogemälde. Ist aber eine solche Wirksamkeit eines so großen Talentes würdig, wie wir es dem Romanschriftsteller Sternberg zusprechen müssen? Seine wahrhaft bedeutende Wirksamkeit scheitert am Rande! Bemer¬ kenswerth ist es, daß Sternberg sich in seinem neuesten Romane aus den Höhen auch in die Tiefen der Gesellschaft verliert und es schien uns fast, als habe er das aristokratische Ceremoniel einigermaßen satt bekommen! Neben Sternberg nennen wir noch die Gräfin Jda Hahn- Hahn, ohne ihn mit ihr vergleichen zu wollen. In den Productionen der mecklenburgischen Gräfin sehen wir eben nur, wohin es mit unse¬ rer Aristokratie gekommen und welche unglücklichen Anläufe gemacht werden, wo man es versucht, eine geschlossene, aristokratische Litera¬ tur zu schaffen. Sonst Pflegen sich die Frauen, selbst in ständischen Verhältnissen, noch immer mehr Frische und Geist zu erhalten als die Männer. Die Romanschriftstellerin Hahn zeigt uns aber in ihren Productionen, daß in ihr nicht blos die Schriftstellerin, sondern auch das Weib an dem ständischen Bemühen untergegangen ist. Wie sich jedoch auch eine ständisch abgeschlossene Romanliteratur der Aristokratie zu behaupten sucht, es steht die Bewegung des modernen Geistes im entschiedensten Widerspruche mit derselben und er entflieht den Schran¬ ken , in denen man ihn zum leeren Behagen einer geistig stagnirenden und gelangweilten Aristokratie festhalten möchte. Steht es denn aber besser um die auf unsere Bourgeoisie berech¬ nete RoManltteratur? Bourgeoisie ist ein fremdes Wort, wir behalten es aber bei, da Uns ein deutsches fehlt, dasselbe auszudrücken. Für den Lesetrieb unserer Bourgeoisie sind unsere Leihbibliotheken die großen Abfütterungskasten. Und was wird dort vorzüglich gelesen? Und wer sind die Leute, die diesen Lesetrieb zu befriedigen suchen? Unsere Bourgeoisie liefet nur zur Erholung von den Geschäften des Marktes, Ves Ladens, des Bureaus, des Hauses, sie will deshalb denn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/258>, abgerufen am 12.05.2024.