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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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ständig verrückt zu werden, es ist gräßlich! Er soll sehr gelehrt und
hübsch sein; ich habe ihn noch nie gesehen. Man sagt, sein Hochmuth
sei Schuld daran."

"So sagt man, meine Theure, aber Alles, was die Leute sagen,
ist nicht geradezu wahr. Wissen Sie, was man so darunter versteht,
aus Liebe verrückt werden? Sie wissen es gewiß, Ihr gefühlvolles
Herz, das durch die schönen, schwärmerischen Augen blickt, bürgt mir
dafür. Nun sehen Sie, aus ähnliche Weise verhält es sich mit Richard,
und mit dieser Liebesverrücktheit hat es seine eigene Bewandtnis). Wenn
er z. B. bei Ihnen in der traulichen Laube säße, und Ihre warme,
zarte Hand faßte, wie ich -- den Worten folgte immer die entspre¬
chende That -- und in Ihre glänzenden Augen schaute, und den Arm
um Ihre schlanke Taille Schlange, und einen süßen Kuß auf Ihre won¬
nigen Lippen drückte, und die Nachtigallen flöten hörte, dann würde
er entsetzlich vernünftig werden, und Sie zärtlich anblicken, und Sie
bitten, ihn für vernünftig zu halten; wie ich, der Dr. Richard, es
denn wirklich jetzt thue."

Dieses Geständnis; kam ihr etwas sehr unerwartet, und sie hätte
fast erschrocken ihre Hand aus der seinigen zurück gezogen. Sie hatte
nicht anders geglaubt, als in dem Fremden eine neue Acquisition des
G.'sehen Casinos vor sich zu sehen, und war bis zum Augenblicke fest
überzeugt gewesen, daß derselbe gekommen, um sie zum Cotillon oder
wenigstens zur Polonaise auf den morgentlichen Ball zu engagiren;
denn was sie von dem vorgegebenen Besuche ihres Vaters zu halten
hatte, darüber war sie mit sich einig. Aber -- nun verrückt konnte
ein so modern gekleideter Herr unmöglich sein.

"Tanzen Sie auch?" waren ihre ersten, naiven Worte, als sie zu
diesem Schlüsse gekommen.

"Sehr, sehr" -- antwortete Richard -- "und Sie können zweifeln?"

"Nun denn, versäumen Sie doch den Ball nicht?"

"Unter keiner Bedingung, d. h. insofern Sie mir die Ehre zu
Polonaise und Cotillon schenken werden."

Eine entsprechende Vemeigung war die beglückende Antwort. Jetzt
wurde von dem bevorstehenden Amüsement gesprochen, vermuthet, ge¬
hofft, befürchtet, über demnächstige Landpartien berathen. -- Marie war
sehr glücklich. Und in den Zweigen der Hütte sang die Nachtigall
ihre Lieder, als wenn sie den Worten einer innigen, in einander strö¬
menden Liebe gelauscht hätte, ja, wie es Richard schien, noch süßer und
klagender, als je. Unterdessen war die Sonne untergegangen, der Herr


ständig verrückt zu werden, es ist gräßlich! Er soll sehr gelehrt und
hübsch sein; ich habe ihn noch nie gesehen. Man sagt, sein Hochmuth
sei Schuld daran."

„So sagt man, meine Theure, aber Alles, was die Leute sagen,
ist nicht geradezu wahr. Wissen Sie, was man so darunter versteht,
aus Liebe verrückt werden? Sie wissen es gewiß, Ihr gefühlvolles
Herz, das durch die schönen, schwärmerischen Augen blickt, bürgt mir
dafür. Nun sehen Sie, aus ähnliche Weise verhält es sich mit Richard,
und mit dieser Liebesverrücktheit hat es seine eigene Bewandtnis). Wenn
er z. B. bei Ihnen in der traulichen Laube säße, und Ihre warme,
zarte Hand faßte, wie ich — den Worten folgte immer die entspre¬
chende That — und in Ihre glänzenden Augen schaute, und den Arm
um Ihre schlanke Taille Schlange, und einen süßen Kuß auf Ihre won¬
nigen Lippen drückte, und die Nachtigallen flöten hörte, dann würde
er entsetzlich vernünftig werden, und Sie zärtlich anblicken, und Sie
bitten, ihn für vernünftig zu halten; wie ich, der Dr. Richard, es
denn wirklich jetzt thue."

Dieses Geständnis; kam ihr etwas sehr unerwartet, und sie hätte
fast erschrocken ihre Hand aus der seinigen zurück gezogen. Sie hatte
nicht anders geglaubt, als in dem Fremden eine neue Acquisition des
G.'sehen Casinos vor sich zu sehen, und war bis zum Augenblicke fest
überzeugt gewesen, daß derselbe gekommen, um sie zum Cotillon oder
wenigstens zur Polonaise auf den morgentlichen Ball zu engagiren;
denn was sie von dem vorgegebenen Besuche ihres Vaters zu halten
hatte, darüber war sie mit sich einig. Aber — nun verrückt konnte
ein so modern gekleideter Herr unmöglich sein.

„Tanzen Sie auch?" waren ihre ersten, naiven Worte, als sie zu
diesem Schlüsse gekommen.

„Sehr, sehr" — antwortete Richard — „und Sie können zweifeln?"

„Nun denn, versäumen Sie doch den Ball nicht?"

„Unter keiner Bedingung, d. h. insofern Sie mir die Ehre zu
Polonaise und Cotillon schenken werden."

Eine entsprechende Vemeigung war die beglückende Antwort. Jetzt
wurde von dem bevorstehenden Amüsement gesprochen, vermuthet, ge¬
hofft, befürchtet, über demnächstige Landpartien berathen. — Marie war
sehr glücklich. Und in den Zweigen der Hütte sang die Nachtigall
ihre Lieder, als wenn sie den Worten einer innigen, in einander strö¬
menden Liebe gelauscht hätte, ja, wie es Richard schien, noch süßer und
klagender, als je. Unterdessen war die Sonne untergegangen, der Herr


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[0308] ständig verrückt zu werden, es ist gräßlich! Er soll sehr gelehrt und hübsch sein; ich habe ihn noch nie gesehen. Man sagt, sein Hochmuth sei Schuld daran." „So sagt man, meine Theure, aber Alles, was die Leute sagen, ist nicht geradezu wahr. Wissen Sie, was man so darunter versteht, aus Liebe verrückt werden? Sie wissen es gewiß, Ihr gefühlvolles Herz, das durch die schönen, schwärmerischen Augen blickt, bürgt mir dafür. Nun sehen Sie, aus ähnliche Weise verhält es sich mit Richard, und mit dieser Liebesverrücktheit hat es seine eigene Bewandtnis). Wenn er z. B. bei Ihnen in der traulichen Laube säße, und Ihre warme, zarte Hand faßte, wie ich — den Worten folgte immer die entspre¬ chende That — und in Ihre glänzenden Augen schaute, und den Arm um Ihre schlanke Taille Schlange, und einen süßen Kuß auf Ihre won¬ nigen Lippen drückte, und die Nachtigallen flöten hörte, dann würde er entsetzlich vernünftig werden, und Sie zärtlich anblicken, und Sie bitten, ihn für vernünftig zu halten; wie ich, der Dr. Richard, es denn wirklich jetzt thue." Dieses Geständnis; kam ihr etwas sehr unerwartet, und sie hätte fast erschrocken ihre Hand aus der seinigen zurück gezogen. Sie hatte nicht anders geglaubt, als in dem Fremden eine neue Acquisition des G.'sehen Casinos vor sich zu sehen, und war bis zum Augenblicke fest überzeugt gewesen, daß derselbe gekommen, um sie zum Cotillon oder wenigstens zur Polonaise auf den morgentlichen Ball zu engagiren; denn was sie von dem vorgegebenen Besuche ihres Vaters zu halten hatte, darüber war sie mit sich einig. Aber — nun verrückt konnte ein so modern gekleideter Herr unmöglich sein. „Tanzen Sie auch?" waren ihre ersten, naiven Worte, als sie zu diesem Schlüsse gekommen. „Sehr, sehr" — antwortete Richard — „und Sie können zweifeln?" „Nun denn, versäumen Sie doch den Ball nicht?" „Unter keiner Bedingung, d. h. insofern Sie mir die Ehre zu Polonaise und Cotillon schenken werden." Eine entsprechende Vemeigung war die beglückende Antwort. Jetzt wurde von dem bevorstehenden Amüsement gesprochen, vermuthet, ge¬ hofft, befürchtet, über demnächstige Landpartien berathen. — Marie war sehr glücklich. Und in den Zweigen der Hütte sang die Nachtigall ihre Lieder, als wenn sie den Worten einer innigen, in einander strö¬ menden Liebe gelauscht hätte, ja, wie es Richard schien, noch süßer und klagender, als je. Unterdessen war die Sonne untergegangen, der Herr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/308>, abgerufen am 27.04.2024.