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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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in den See, an dessen südliche Ufer sich das herrliche Schweizerrhetn-
thal und die blauen, oft im Sommer von blendend weißem Schnee
geschmückten Alpen anschließen. Geschah es manchmal, daß meine
Eltern mich eine kleine Ferienreise machen ließen, so zog ich gewiß
nicht nach Norden in's baierische oder würtenbergische Schwaben,
sondern stets über den See hinüber zu den Sennhütten auf den wal¬
digen Höhen um Rorschach und Se. Gallen. Dort, in der freien,
weiten Natur Gottes konnte ich schwärmen und träumen, als ob ich
ein Königreich erobert hätte! Dorthin zieht mich noch jetzt eine un¬
willkürliche Sehnsucht, und oft kommt es mir vor, als ob ich auf je¬
nen Knabenwanderschaften die einzigen, wahrhaft harmlos freudigen Stun¬
den meines Lebens genossen hätte. Wer wird sich also wundern, daß ich
auch in Rom gern mich an Schweizerfamilien anschloß, daß ich selbst
unter den päpstlichen Leibgardisten bald vertrautere Freunde fand, als
unter den gebornen Römern! Die päpstliche Leibgarde besteht meist
aus ziemlich gebildeten Leuten; es sind sogar Viele darunter, die stu-
dirt haben. Sie haben auch in Rom ihren gemüthlichen, natürlichen
Charakter nicht verloren, sprechen und scherzen aufrichtig und heiter er
ihrer Muttersprache, weil sie, unter sich abgeschlossen und durch ihr
Idiom vor einem Verräther geschützt, wenig zu fürchten haben. Juden un¬
tern Räumen des Quirinal haben sie sich ein eignes Wirthshäuschen einge¬
richtet, ächt schweizerisch, in das nie ein Italiener kommt. Hier versam¬
meln sich Abends alle diejenigen, welche gerade nicht auf ihren Wacht¬
posten beschäftigt sind; hier zechen und schwatzen und singen sie oft
nach Herzenslust, so daß man in ihrer Gesellschaft ganz vergessen
kann, wer eigentlich in den Sälen über diesem Zechgelage seinen Au¬
tokratensitz aufgeschlagen.

Nachdem ich ein halbes Jahr lang in Rom gewohnt, war ich
auch in dem genannten Schweizerkneipchen bereits wie zu Hause, und
beinahe jeder Abend traf mich dort in heitrer Gesellschaft bei einem
Glas kräftigen Landwein. Selbst die Schüchternsten hatten ihr an¬
fängliches Mißtrauen gegen mich verloren, und sprachen sich unum¬
wunden aus über Alles, was ihnen in Rom nicht gefiel. Ich danke
diesen Abendunterhaltungen im Quirinal viele Aufschlüsse. Unter An-
derm kamen wir auch öfter auf die jüngst verstorbenen Päpste zu
sprechen, und ich gewahrte bald, daß alle Schweizer, die Leo Xls.
noch persönlich gekannt, für ihn, um mich so auszudrücken, förmlich
schwärmten. Ich hörte oft ungefähr folgenden Ausruf: "Das war
ein Papst, wie wir keinen mehr bekommen werden! Der hatte uns


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in den See, an dessen südliche Ufer sich das herrliche Schweizerrhetn-
thal und die blauen, oft im Sommer von blendend weißem Schnee
geschmückten Alpen anschließen. Geschah es manchmal, daß meine
Eltern mich eine kleine Ferienreise machen ließen, so zog ich gewiß
nicht nach Norden in's baierische oder würtenbergische Schwaben,
sondern stets über den See hinüber zu den Sennhütten auf den wal¬
digen Höhen um Rorschach und Se. Gallen. Dort, in der freien,
weiten Natur Gottes konnte ich schwärmen und träumen, als ob ich
ein Königreich erobert hätte! Dorthin zieht mich noch jetzt eine un¬
willkürliche Sehnsucht, und oft kommt es mir vor, als ob ich auf je¬
nen Knabenwanderschaften die einzigen, wahrhaft harmlos freudigen Stun¬
den meines Lebens genossen hätte. Wer wird sich also wundern, daß ich
auch in Rom gern mich an Schweizerfamilien anschloß, daß ich selbst
unter den päpstlichen Leibgardisten bald vertrautere Freunde fand, als
unter den gebornen Römern! Die päpstliche Leibgarde besteht meist
aus ziemlich gebildeten Leuten; es sind sogar Viele darunter, die stu-
dirt haben. Sie haben auch in Rom ihren gemüthlichen, natürlichen
Charakter nicht verloren, sprechen und scherzen aufrichtig und heiter er
ihrer Muttersprache, weil sie, unter sich abgeschlossen und durch ihr
Idiom vor einem Verräther geschützt, wenig zu fürchten haben. Juden un¬
tern Räumen des Quirinal haben sie sich ein eignes Wirthshäuschen einge¬
richtet, ächt schweizerisch, in das nie ein Italiener kommt. Hier versam¬
meln sich Abends alle diejenigen, welche gerade nicht auf ihren Wacht¬
posten beschäftigt sind; hier zechen und schwatzen und singen sie oft
nach Herzenslust, so daß man in ihrer Gesellschaft ganz vergessen
kann, wer eigentlich in den Sälen über diesem Zechgelage seinen Au¬
tokratensitz aufgeschlagen.

Nachdem ich ein halbes Jahr lang in Rom gewohnt, war ich
auch in dem genannten Schweizerkneipchen bereits wie zu Hause, und
beinahe jeder Abend traf mich dort in heitrer Gesellschaft bei einem
Glas kräftigen Landwein. Selbst die Schüchternsten hatten ihr an¬
fängliches Mißtrauen gegen mich verloren, und sprachen sich unum¬
wunden aus über Alles, was ihnen in Rom nicht gefiel. Ich danke
diesen Abendunterhaltungen im Quirinal viele Aufschlüsse. Unter An-
derm kamen wir auch öfter auf die jüngst verstorbenen Päpste zu
sprechen, und ich gewahrte bald, daß alle Schweizer, die Leo Xls.
noch persönlich gekannt, für ihn, um mich so auszudrücken, förmlich
schwärmten. Ich hörte oft ungefähr folgenden Ausruf: „Das war
ein Papst, wie wir keinen mehr bekommen werden! Der hatte uns


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[0345] in den See, an dessen südliche Ufer sich das herrliche Schweizerrhetn- thal und die blauen, oft im Sommer von blendend weißem Schnee geschmückten Alpen anschließen. Geschah es manchmal, daß meine Eltern mich eine kleine Ferienreise machen ließen, so zog ich gewiß nicht nach Norden in's baierische oder würtenbergische Schwaben, sondern stets über den See hinüber zu den Sennhütten auf den wal¬ digen Höhen um Rorschach und Se. Gallen. Dort, in der freien, weiten Natur Gottes konnte ich schwärmen und träumen, als ob ich ein Königreich erobert hätte! Dorthin zieht mich noch jetzt eine un¬ willkürliche Sehnsucht, und oft kommt es mir vor, als ob ich auf je¬ nen Knabenwanderschaften die einzigen, wahrhaft harmlos freudigen Stun¬ den meines Lebens genossen hätte. Wer wird sich also wundern, daß ich auch in Rom gern mich an Schweizerfamilien anschloß, daß ich selbst unter den päpstlichen Leibgardisten bald vertrautere Freunde fand, als unter den gebornen Römern! Die päpstliche Leibgarde besteht meist aus ziemlich gebildeten Leuten; es sind sogar Viele darunter, die stu- dirt haben. Sie haben auch in Rom ihren gemüthlichen, natürlichen Charakter nicht verloren, sprechen und scherzen aufrichtig und heiter er ihrer Muttersprache, weil sie, unter sich abgeschlossen und durch ihr Idiom vor einem Verräther geschützt, wenig zu fürchten haben. Juden un¬ tern Räumen des Quirinal haben sie sich ein eignes Wirthshäuschen einge¬ richtet, ächt schweizerisch, in das nie ein Italiener kommt. Hier versam¬ meln sich Abends alle diejenigen, welche gerade nicht auf ihren Wacht¬ posten beschäftigt sind; hier zechen und schwatzen und singen sie oft nach Herzenslust, so daß man in ihrer Gesellschaft ganz vergessen kann, wer eigentlich in den Sälen über diesem Zechgelage seinen Au¬ tokratensitz aufgeschlagen. Nachdem ich ein halbes Jahr lang in Rom gewohnt, war ich auch in dem genannten Schweizerkneipchen bereits wie zu Hause, und beinahe jeder Abend traf mich dort in heitrer Gesellschaft bei einem Glas kräftigen Landwein. Selbst die Schüchternsten hatten ihr an¬ fängliches Mißtrauen gegen mich verloren, und sprachen sich unum¬ wunden aus über Alles, was ihnen in Rom nicht gefiel. Ich danke diesen Abendunterhaltungen im Quirinal viele Aufschlüsse. Unter An- derm kamen wir auch öfter auf die jüngst verstorbenen Päpste zu sprechen, und ich gewahrte bald, daß alle Schweizer, die Leo Xls. noch persönlich gekannt, für ihn, um mich so auszudrücken, förmlich schwärmten. Ich hörte oft ungefähr folgenden Ausruf: „Das war ein Papst, wie wir keinen mehr bekommen werden! Der hatte uns T«»jbot«n, Is4S. II. 4g

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/345>, abgerufen am 04.05.2024.