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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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heit, sich an den plastischen Schönheiten der vier symbolischen Figuren
zu weiden, welche den Steinwürfel umgeben und die an den gröbsten
Fehlern leiden sollen. Diese Gestalten kamen in einem Austande an, die
allgemeine Verwunderung erregt, denn sie waren mehr bekleckst als bron-
zirt und als man sich die Mühe nahm und die ungerathenen Söhne
der Muse säuberte, so entdeckte man, daß eine der Figuren aus etlichen
Bruchstücken zusammengeflickt war. Ein anderes Mißgeschick begegnete
dem in der Geschichte seines Vaterlandes nicht eben sehr unterrichteten
Meister, als er in einem der zur Schmückung der Seitenflächen bestimm¬
ten Basreliefs die Gründung der Staatseisenbahnen verherrlichte, (??
während doch selbst der oberflächlichste Zeitungsleser recht gut weiß, daß
die Idee des Staatseisenbahnbaues sechs Jahre nach dem Tode des
Kaisers Franz in's Leben trat. In der Verlegenheit wußte man sich
nicht anders zu helfen, als indem man das anachronistische Basrelief
schnell nach Prag sandte und im dortigen Bahnhof einmauern ließ, wobei
man sich natürlich die Miene gab, daß man diese Verherrlichung der Eisen¬
bahnverbindung zwischen Wien und Prag einzig zu dem angedeuteten
Zweck habe anfertigen lassen. Wie man sagt, so ist dem Bürgermeister
Czopka das Ansuchen, die im Amalienhofe zu errichtenden Tribunen zum
Besten wohlthätiger Anstalten vermiethen zu dürfen, abgeschlagen worden
und in Betracht dessen, daß innerhalb der Mauern der Kaiserburg die
magistratifche Autorität keine Geltung hat, mit vollkommenem Recht.
Doch ist leider zu befürchten, es werden die Tribunenplätze doch verscha¬
chert werden, mit dem einzigen Unterschiede, daß das Geld statt in die
Cassen der Wohlthätigkeitsinstitute, in die Taschen der Hofdienerschaft
fließen wird, die bei solchen Gelegenheiten einen empörenden Billethandel
zu treiben pflegt.

Der Geschichtschreiber Böhmens, Herr Polacky, ist aus Prag hier
angekommen und gedenkt sich nach Pesth zu begeben. Später wird die¬
ser gediegene Historiker, welcher wegen seines czechischen Patriotismus in
der letzten Zeit mannichfache, ziemlich unglimpfliche Angriffe erfahren hat,
auf ständische Kosten eine größere Reise durch Süddeutschland und die
Rheingegenden antreten, um die dortigen Büchereien und Archive zum
Behuf der Aufhellung der Husfitenzeit zu durchforschen. Sein großes
Geschichtswerk über Böhmen schreitet rüstig vorwärts und wird, wenn
er sich die nöthige Geistesfrische bewahrt, eine bleibende Zierde der böh¬
mischen Literatur bilden, der es trotz der deutschen Sprachgewendung an¬
gehört. Bei der tiefen nationalen Bedeutung, welche eine tüchtige Volks¬
geschichte hat, ist die Arbeit Polacky's von mehr als literarischem Inter¬
esse und kann mit Recht für eine politische That des erwachten slavi¬
schen Nationalbewußtseins in Böhmen gelten.

Zuletzt muß ich noch der Triumphe erwähnen, die Jenny Lind im
Theater 'an der Wien feiert. Im Freischütz und in der Nachtwandlerin
gefiel sie am meisten, am wenigsten in der Norma. Tichatschek dage¬
gen erfreut sich keiner günstigen Aufnahme, denn sowohl seine abgeblaßte
Tenorstimme, als das gezierte, unnatürliche Spiel, dem alle Wahrheit


heit, sich an den plastischen Schönheiten der vier symbolischen Figuren
zu weiden, welche den Steinwürfel umgeben und die an den gröbsten
Fehlern leiden sollen. Diese Gestalten kamen in einem Austande an, die
allgemeine Verwunderung erregt, denn sie waren mehr bekleckst als bron-
zirt und als man sich die Mühe nahm und die ungerathenen Söhne
der Muse säuberte, so entdeckte man, daß eine der Figuren aus etlichen
Bruchstücken zusammengeflickt war. Ein anderes Mißgeschick begegnete
dem in der Geschichte seines Vaterlandes nicht eben sehr unterrichteten
Meister, als er in einem der zur Schmückung der Seitenflächen bestimm¬
ten Basreliefs die Gründung der Staatseisenbahnen verherrlichte, (??
während doch selbst der oberflächlichste Zeitungsleser recht gut weiß, daß
die Idee des Staatseisenbahnbaues sechs Jahre nach dem Tode des
Kaisers Franz in's Leben trat. In der Verlegenheit wußte man sich
nicht anders zu helfen, als indem man das anachronistische Basrelief
schnell nach Prag sandte und im dortigen Bahnhof einmauern ließ, wobei
man sich natürlich die Miene gab, daß man diese Verherrlichung der Eisen¬
bahnverbindung zwischen Wien und Prag einzig zu dem angedeuteten
Zweck habe anfertigen lassen. Wie man sagt, so ist dem Bürgermeister
Czopka das Ansuchen, die im Amalienhofe zu errichtenden Tribunen zum
Besten wohlthätiger Anstalten vermiethen zu dürfen, abgeschlagen worden
und in Betracht dessen, daß innerhalb der Mauern der Kaiserburg die
magistratifche Autorität keine Geltung hat, mit vollkommenem Recht.
Doch ist leider zu befürchten, es werden die Tribunenplätze doch verscha¬
chert werden, mit dem einzigen Unterschiede, daß das Geld statt in die
Cassen der Wohlthätigkeitsinstitute, in die Taschen der Hofdienerschaft
fließen wird, die bei solchen Gelegenheiten einen empörenden Billethandel
zu treiben pflegt.

Der Geschichtschreiber Böhmens, Herr Polacky, ist aus Prag hier
angekommen und gedenkt sich nach Pesth zu begeben. Später wird die¬
ser gediegene Historiker, welcher wegen seines czechischen Patriotismus in
der letzten Zeit mannichfache, ziemlich unglimpfliche Angriffe erfahren hat,
auf ständische Kosten eine größere Reise durch Süddeutschland und die
Rheingegenden antreten, um die dortigen Büchereien und Archive zum
Behuf der Aufhellung der Husfitenzeit zu durchforschen. Sein großes
Geschichtswerk über Böhmen schreitet rüstig vorwärts und wird, wenn
er sich die nöthige Geistesfrische bewahrt, eine bleibende Zierde der böh¬
mischen Literatur bilden, der es trotz der deutschen Sprachgewendung an¬
gehört. Bei der tiefen nationalen Bedeutung, welche eine tüchtige Volks¬
geschichte hat, ist die Arbeit Polacky's von mehr als literarischem Inter¬
esse und kann mit Recht für eine politische That des erwachten slavi¬
schen Nationalbewußtseins in Böhmen gelten.

Zuletzt muß ich noch der Triumphe erwähnen, die Jenny Lind im
Theater 'an der Wien feiert. Im Freischütz und in der Nachtwandlerin
gefiel sie am meisten, am wenigsten in der Norma. Tichatschek dage¬
gen erfreut sich keiner günstigen Aufnahme, denn sowohl seine abgeblaßte
Tenorstimme, als das gezierte, unnatürliche Spiel, dem alle Wahrheit


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[0368] heit, sich an den plastischen Schönheiten der vier symbolischen Figuren zu weiden, welche den Steinwürfel umgeben und die an den gröbsten Fehlern leiden sollen. Diese Gestalten kamen in einem Austande an, die allgemeine Verwunderung erregt, denn sie waren mehr bekleckst als bron- zirt und als man sich die Mühe nahm und die ungerathenen Söhne der Muse säuberte, so entdeckte man, daß eine der Figuren aus etlichen Bruchstücken zusammengeflickt war. Ein anderes Mißgeschick begegnete dem in der Geschichte seines Vaterlandes nicht eben sehr unterrichteten Meister, als er in einem der zur Schmückung der Seitenflächen bestimm¬ ten Basreliefs die Gründung der Staatseisenbahnen verherrlichte, (?? während doch selbst der oberflächlichste Zeitungsleser recht gut weiß, daß die Idee des Staatseisenbahnbaues sechs Jahre nach dem Tode des Kaisers Franz in's Leben trat. In der Verlegenheit wußte man sich nicht anders zu helfen, als indem man das anachronistische Basrelief schnell nach Prag sandte und im dortigen Bahnhof einmauern ließ, wobei man sich natürlich die Miene gab, daß man diese Verherrlichung der Eisen¬ bahnverbindung zwischen Wien und Prag einzig zu dem angedeuteten Zweck habe anfertigen lassen. Wie man sagt, so ist dem Bürgermeister Czopka das Ansuchen, die im Amalienhofe zu errichtenden Tribunen zum Besten wohlthätiger Anstalten vermiethen zu dürfen, abgeschlagen worden und in Betracht dessen, daß innerhalb der Mauern der Kaiserburg die magistratifche Autorität keine Geltung hat, mit vollkommenem Recht. Doch ist leider zu befürchten, es werden die Tribunenplätze doch verscha¬ chert werden, mit dem einzigen Unterschiede, daß das Geld statt in die Cassen der Wohlthätigkeitsinstitute, in die Taschen der Hofdienerschaft fließen wird, die bei solchen Gelegenheiten einen empörenden Billethandel zu treiben pflegt. Der Geschichtschreiber Böhmens, Herr Polacky, ist aus Prag hier angekommen und gedenkt sich nach Pesth zu begeben. Später wird die¬ ser gediegene Historiker, welcher wegen seines czechischen Patriotismus in der letzten Zeit mannichfache, ziemlich unglimpfliche Angriffe erfahren hat, auf ständische Kosten eine größere Reise durch Süddeutschland und die Rheingegenden antreten, um die dortigen Büchereien und Archive zum Behuf der Aufhellung der Husfitenzeit zu durchforschen. Sein großes Geschichtswerk über Böhmen schreitet rüstig vorwärts und wird, wenn er sich die nöthige Geistesfrische bewahrt, eine bleibende Zierde der böh¬ mischen Literatur bilden, der es trotz der deutschen Sprachgewendung an¬ gehört. Bei der tiefen nationalen Bedeutung, welche eine tüchtige Volks¬ geschichte hat, ist die Arbeit Polacky's von mehr als literarischem Inter¬ esse und kann mit Recht für eine politische That des erwachten slavi¬ schen Nationalbewußtseins in Böhmen gelten. Zuletzt muß ich noch der Triumphe erwähnen, die Jenny Lind im Theater 'an der Wien feiert. Im Freischütz und in der Nachtwandlerin gefiel sie am meisten, am wenigsten in der Norma. Tichatschek dage¬ gen erfreut sich keiner günstigen Aufnahme, denn sowohl seine abgeblaßte Tenorstimme, als das gezierte, unnatürliche Spiel, dem alle Wahrheit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/368>, abgerufen am 29.04.2024.