Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

die neue Einrichtung ebenfalls schon aufgenommen, und doch ist die¬
selbe nicht älter als ein Jahr. -- Es scheint, daß man seit den "Find¬
lingen," deren sich Samt Vincent de Paule annahm, für diese armen
Kleinen noch nichts so Gutes gethan hat. Und auch hier sind es wie¬
der Frauen.... In der That, Gutes zu stiften, versteht oft der In-
stinct einer Frau besser, als Gesetzgeber mittelst der tiefsinnigsten Stu¬
dien.

Aber dieser Jnstinct muß durch Erfahrung und Klugheit geregelt
werden, und diese Aufgabe hat ein Herr Marbeau übernommen, ein
Adjunct der Mairie des ersten Arrondissements und Gründer der ersten
'-ri^Jo. Die Vorsicht dieses Mannes hat die Hitze der hilfreichen
Vorsteherinnen zu mäßigen gewußt. Diese nämlich, unbekannt mit den
Klippen der Wohlthätigkeitsanstalten, wollten Allen ohne Unterschied
die Hilfsquelle des Mitleids geöffnet sehen. Aber die Zulassung zur
<:roe>,k muß vor Allem eine Erleichterung der arbeitenden Klasse sein,
und nicht etwa dem Laster oder der Trägheit Vorschub leisten. Man
hat daher eine sehr kleine Vergütigung, etwa zwanzig bis dreißig Cen¬
times, von der Mutter verlangt. Doch ist es vorgekommen, daß viele
rechtschaffene Mütter, aus Mangel an Arbeit, sich außer Stande sa¬
hen, selbst diese kleine Entschädigung zu zahlen. Was sollte mau
thun? Sie von den Wohlthaten der Anstalt unter Berufung auf
das Reglement ausschließen, hieße in den Fehler der Wohlthätigkeitö-
büreaus verfallen. Andererseits ist es wichtig, das beschränkende Prin-
eip der Aufnahme festzuhalten. Man hat daher zu einem ganz ein¬
fachen Mittel die Zuflucht genommen- dies besteht darin, diesen Frauen
Arbeit zu geben. So schließt sich eine gute Idee a" die andere a".
Erst gründete man nur eine Krippe für hilfsbedürftige Kinder, und
hierdurch sah man sich veranlaßt, eine Werkstätte für arbeitslose Frauen
zu eröffnen. Hier kommen sie zusammen und arbeiten Hemden für
den gewöhnlichen pariser Tagelohn. Aber da man sich Hüten muß,
mit der Industrie zu concurriren, s" zieht man von diesem Lohn nur
die Summe ub, die zur Erhaltung des Kindes in der Krippe noth¬
wendig ist. So erhält das Kind seine gute Pflege, die Mutter hat
Arbeit, kein Interesse wird verletzt, und die Humanität und Moral
sind befriedigt. -- Uebrigens dringt sich einem bei Betrachtung dieser
Anordnungen noch ein Umstand auf, der gewiß viel zu denken gibt
und namentlich auf unsere Zeit ein sehr günstiges Licht wirft. Zur
Zeit als der heilige Vincent de Paule die verlassenen Kinder sam¬
melte, war es etwas so Unerhörtes, sich mit dem Volk zu beschäfti-


die neue Einrichtung ebenfalls schon aufgenommen, und doch ist die¬
selbe nicht älter als ein Jahr. — Es scheint, daß man seit den „Find¬
lingen," deren sich Samt Vincent de Paule annahm, für diese armen
Kleinen noch nichts so Gutes gethan hat. Und auch hier sind es wie¬
der Frauen.... In der That, Gutes zu stiften, versteht oft der In-
stinct einer Frau besser, als Gesetzgeber mittelst der tiefsinnigsten Stu¬
dien.

Aber dieser Jnstinct muß durch Erfahrung und Klugheit geregelt
werden, und diese Aufgabe hat ein Herr Marbeau übernommen, ein
Adjunct der Mairie des ersten Arrondissements und Gründer der ersten
'-ri^Jo. Die Vorsicht dieses Mannes hat die Hitze der hilfreichen
Vorsteherinnen zu mäßigen gewußt. Diese nämlich, unbekannt mit den
Klippen der Wohlthätigkeitsanstalten, wollten Allen ohne Unterschied
die Hilfsquelle des Mitleids geöffnet sehen. Aber die Zulassung zur
<:roe>,k muß vor Allem eine Erleichterung der arbeitenden Klasse sein,
und nicht etwa dem Laster oder der Trägheit Vorschub leisten. Man
hat daher eine sehr kleine Vergütigung, etwa zwanzig bis dreißig Cen¬
times, von der Mutter verlangt. Doch ist es vorgekommen, daß viele
rechtschaffene Mütter, aus Mangel an Arbeit, sich außer Stande sa¬
hen, selbst diese kleine Entschädigung zu zahlen. Was sollte mau
thun? Sie von den Wohlthaten der Anstalt unter Berufung auf
das Reglement ausschließen, hieße in den Fehler der Wohlthätigkeitö-
büreaus verfallen. Andererseits ist es wichtig, das beschränkende Prin-
eip der Aufnahme festzuhalten. Man hat daher zu einem ganz ein¬
fachen Mittel die Zuflucht genommen- dies besteht darin, diesen Frauen
Arbeit zu geben. So schließt sich eine gute Idee a» die andere a».
Erst gründete man nur eine Krippe für hilfsbedürftige Kinder, und
hierdurch sah man sich veranlaßt, eine Werkstätte für arbeitslose Frauen
zu eröffnen. Hier kommen sie zusammen und arbeiten Hemden für
den gewöhnlichen pariser Tagelohn. Aber da man sich Hüten muß,
mit der Industrie zu concurriren, s» zieht man von diesem Lohn nur
die Summe ub, die zur Erhaltung des Kindes in der Krippe noth¬
wendig ist. So erhält das Kind seine gute Pflege, die Mutter hat
Arbeit, kein Interesse wird verletzt, und die Humanität und Moral
sind befriedigt. — Uebrigens dringt sich einem bei Betrachtung dieser
Anordnungen noch ein Umstand auf, der gewiß viel zu denken gibt
und namentlich auf unsere Zeit ein sehr günstiges Licht wirft. Zur
Zeit als der heilige Vincent de Paule die verlassenen Kinder sam¬
melte, war es etwas so Unerhörtes, sich mit dem Volk zu beschäfti-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0381" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182804"/>
            <p xml:id="ID_1082" prev="#ID_1081"> die neue Einrichtung ebenfalls schon aufgenommen, und doch ist die¬<lb/>
selbe nicht älter als ein Jahr. &#x2014; Es scheint, daß man seit den &#x201E;Find¬<lb/>
lingen," deren sich Samt Vincent de Paule annahm, für diese armen<lb/>
Kleinen noch nichts so Gutes gethan hat. Und auch hier sind es wie¬<lb/>
der Frauen.... In der That, Gutes zu stiften, versteht oft der In-<lb/>
stinct einer Frau besser, als Gesetzgeber mittelst der tiefsinnigsten Stu¬<lb/>
dien.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1083" next="#ID_1084"> Aber dieser Jnstinct muß durch Erfahrung und Klugheit geregelt<lb/>
werden, und diese Aufgabe hat ein Herr Marbeau übernommen, ein<lb/>
Adjunct der Mairie des ersten Arrondissements und Gründer der ersten<lb/>
'-ri^Jo. Die Vorsicht dieses Mannes hat die Hitze der hilfreichen<lb/>
Vorsteherinnen zu mäßigen gewußt. Diese nämlich, unbekannt mit den<lb/>
Klippen der Wohlthätigkeitsanstalten, wollten Allen ohne Unterschied<lb/>
die Hilfsquelle des Mitleids geöffnet sehen. Aber die Zulassung zur<lb/>
&lt;:roe&gt;,k muß vor Allem eine Erleichterung der arbeitenden Klasse sein,<lb/>
und nicht etwa dem Laster oder der Trägheit Vorschub leisten. Man<lb/>
hat daher eine sehr kleine Vergütigung, etwa zwanzig bis dreißig Cen¬<lb/>
times, von der Mutter verlangt. Doch ist es vorgekommen, daß viele<lb/>
rechtschaffene Mütter, aus Mangel an Arbeit, sich außer Stande sa¬<lb/>
hen, selbst diese kleine Entschädigung zu zahlen. Was sollte mau<lb/>
thun? Sie von den Wohlthaten der Anstalt unter Berufung auf<lb/>
das Reglement ausschließen, hieße in den Fehler der Wohlthätigkeitö-<lb/>
büreaus verfallen. Andererseits ist es wichtig, das beschränkende Prin-<lb/>
eip der Aufnahme festzuhalten. Man hat daher zu einem ganz ein¬<lb/>
fachen Mittel die Zuflucht genommen- dies besteht darin, diesen Frauen<lb/>
Arbeit zu geben. So schließt sich eine gute Idee a» die andere a».<lb/>
Erst gründete man nur eine Krippe für hilfsbedürftige Kinder, und<lb/>
hierdurch sah man sich veranlaßt, eine Werkstätte für arbeitslose Frauen<lb/>
zu eröffnen. Hier kommen sie zusammen und arbeiten Hemden für<lb/>
den gewöhnlichen pariser Tagelohn. Aber da man sich Hüten muß,<lb/>
mit der Industrie zu concurriren, s» zieht man von diesem Lohn nur<lb/>
die Summe ub, die zur Erhaltung des Kindes in der Krippe noth¬<lb/>
wendig ist. So erhält das Kind seine gute Pflege, die Mutter hat<lb/>
Arbeit, kein Interesse wird verletzt, und die Humanität und Moral<lb/>
sind befriedigt. &#x2014; Uebrigens dringt sich einem bei Betrachtung dieser<lb/>
Anordnungen noch ein Umstand auf, der gewiß viel zu denken gibt<lb/>
und namentlich auf unsere Zeit ein sehr günstiges Licht wirft. Zur<lb/>
Zeit als der heilige Vincent de Paule die verlassenen Kinder sam¬<lb/>
melte, war es etwas so Unerhörtes, sich mit dem Volk zu beschäfti-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0381] die neue Einrichtung ebenfalls schon aufgenommen, und doch ist die¬ selbe nicht älter als ein Jahr. — Es scheint, daß man seit den „Find¬ lingen," deren sich Samt Vincent de Paule annahm, für diese armen Kleinen noch nichts so Gutes gethan hat. Und auch hier sind es wie¬ der Frauen.... In der That, Gutes zu stiften, versteht oft der In- stinct einer Frau besser, als Gesetzgeber mittelst der tiefsinnigsten Stu¬ dien. Aber dieser Jnstinct muß durch Erfahrung und Klugheit geregelt werden, und diese Aufgabe hat ein Herr Marbeau übernommen, ein Adjunct der Mairie des ersten Arrondissements und Gründer der ersten '-ri^Jo. Die Vorsicht dieses Mannes hat die Hitze der hilfreichen Vorsteherinnen zu mäßigen gewußt. Diese nämlich, unbekannt mit den Klippen der Wohlthätigkeitsanstalten, wollten Allen ohne Unterschied die Hilfsquelle des Mitleids geöffnet sehen. Aber die Zulassung zur <:roe>,k muß vor Allem eine Erleichterung der arbeitenden Klasse sein, und nicht etwa dem Laster oder der Trägheit Vorschub leisten. Man hat daher eine sehr kleine Vergütigung, etwa zwanzig bis dreißig Cen¬ times, von der Mutter verlangt. Doch ist es vorgekommen, daß viele rechtschaffene Mütter, aus Mangel an Arbeit, sich außer Stande sa¬ hen, selbst diese kleine Entschädigung zu zahlen. Was sollte mau thun? Sie von den Wohlthaten der Anstalt unter Berufung auf das Reglement ausschließen, hieße in den Fehler der Wohlthätigkeitö- büreaus verfallen. Andererseits ist es wichtig, das beschränkende Prin- eip der Aufnahme festzuhalten. Man hat daher zu einem ganz ein¬ fachen Mittel die Zuflucht genommen- dies besteht darin, diesen Frauen Arbeit zu geben. So schließt sich eine gute Idee a» die andere a». Erst gründete man nur eine Krippe für hilfsbedürftige Kinder, und hierdurch sah man sich veranlaßt, eine Werkstätte für arbeitslose Frauen zu eröffnen. Hier kommen sie zusammen und arbeiten Hemden für den gewöhnlichen pariser Tagelohn. Aber da man sich Hüten muß, mit der Industrie zu concurriren, s» zieht man von diesem Lohn nur die Summe ub, die zur Erhaltung des Kindes in der Krippe noth¬ wendig ist. So erhält das Kind seine gute Pflege, die Mutter hat Arbeit, kein Interesse wird verletzt, und die Humanität und Moral sind befriedigt. — Uebrigens dringt sich einem bei Betrachtung dieser Anordnungen noch ein Umstand auf, der gewiß viel zu denken gibt und namentlich auf unsere Zeit ein sehr günstiges Licht wirft. Zur Zeit als der heilige Vincent de Paule die verlassenen Kinder sam¬ melte, war es etwas so Unerhörtes, sich mit dem Volk zu beschäfti-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/381
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/381>, abgerufen am 28.04.2024.