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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Der Held des Romans, ein vielgereister edler Mann jener Provinz,
ist mit den Interessen seiner Standesgenossen nicht einverstanden. "Je¬
der Standesunterschied in Folge der Geburt," meint er, "ist ein frecher
Hohn der Christuslehre. Er ist jetzt, wie sich die Zeit angethan, noch
obendrein unpolitisch, er ist albern, er ist lächerlich. Er schließt auch
hier, in diesem Lande, wie einen unglückseligen Ueberrest irgend eines von
der Civilisation aufgeriebenen wilden Stammes, wie ein letztes Häuflein
Irokesen oder Chipparder in seine Jagdgründe ein; hier, wo ihr im
Unmuth gegen die Welt unter dem Schatten eurer heiligen Stamm¬
bäume zusammenhockt und nichts lernt und nichts vergeßt. Ihr seid
unmuthig und zürnt gegen die Regierung, die von oben her euch nicht
genug thut, weil sie, auch beim besten Willen, doch an die Stimme der
öffentlichen Meinung gebunden ist. Ihr zürnt auf die andern Stande,
weil sie spotten oder erbittert sind durch eure Ansprüche und euch zurück¬
drängen in euern "Jagdgrund". Ihr zürnt gegen die öffentliche Mei¬
nung, weil sie euch mit euern Anmaßungen niederhält. Ihr zürnt gegen
die Intelligenz des Landes, die Presse, die Dichter, die Denker der Na¬
tion, weil sie nur Hohn für eure Sparren haben. Ihr zürnt gegen
jede neue Regung, jeden edeln Trieb, der im Wolke auflebt, weil er die
Macht verstärkt, die euch besiegt hat," u. s. w.

Dies ist nun freilich der Mann nicht, den man an die Spitze der
Provinzverwaltung zu bringen arbeitet. Hierzu ist der zweite Held des
Romans, der in Politik und Liebe verunglückende Herr v. Tondern ge¬
eigneter. Dieser, der Religion und Recht überhaupt nur noch von beding¬
tem, untergeordnetem Werthe findet, als Mittet, um die Massen zu Schu-
len, verspricht das autonomische Statut auf die Provinz auszudehnen,
keine Locomotive in's patriarchalische Land zu lassen und -- auch das
Institut der Leibeigenschaft wieder einzuführen.

Doch diese edeln reaktionären Bestrebungen, behalten nicht allein
das Wort in dem Buche. Auch Bürger und Bauer, spricht sich von
seinem Standpunkt aus -- und ein Geistlicher, "nicht aus der jetzigen
Schule der Römlinge, sondern der die Traditionen einer bessern Zeit
bewahrt, und begeistert ist für den Verfuch eines großen Denkers, das
starre System der Kirche in den großen Gedankenstrom einzutauchen, der
Frieden und Freiheit rauschend durch die Zeit geht."

Charakteristisch in solchem Widerstreit der Meinungen bleibt es aber
Doch, fürchte der poetisch gestimmte und der Unterhaltung suchende
^eher ,a nicht, daß dieser Roman sich "in lauter Reflexionen drehe. Nein,
die Erzählung ist voll Begebenheiten und von beinahe zu starker Spannung.
Man ist froh, dann und wann einmal eine weitblickende Reflexion zum
Ausruhen zu finden. Außer diesen Höhepunkten des Romans wird man


5!

Der Held des Romans, ein vielgereister edler Mann jener Provinz,
ist mit den Interessen seiner Standesgenossen nicht einverstanden. „Je¬
der Standesunterschied in Folge der Geburt," meint er, „ist ein frecher
Hohn der Christuslehre. Er ist jetzt, wie sich die Zeit angethan, noch
obendrein unpolitisch, er ist albern, er ist lächerlich. Er schließt auch
hier, in diesem Lande, wie einen unglückseligen Ueberrest irgend eines von
der Civilisation aufgeriebenen wilden Stammes, wie ein letztes Häuflein
Irokesen oder Chipparder in seine Jagdgründe ein; hier, wo ihr im
Unmuth gegen die Welt unter dem Schatten eurer heiligen Stamm¬
bäume zusammenhockt und nichts lernt und nichts vergeßt. Ihr seid
unmuthig und zürnt gegen die Regierung, die von oben her euch nicht
genug thut, weil sie, auch beim besten Willen, doch an die Stimme der
öffentlichen Meinung gebunden ist. Ihr zürnt auf die andern Stande,
weil sie spotten oder erbittert sind durch eure Ansprüche und euch zurück¬
drängen in euern „Jagdgrund". Ihr zürnt gegen die öffentliche Mei¬
nung, weil sie euch mit euern Anmaßungen niederhält. Ihr zürnt gegen
die Intelligenz des Landes, die Presse, die Dichter, die Denker der Na¬
tion, weil sie nur Hohn für eure Sparren haben. Ihr zürnt gegen
jede neue Regung, jeden edeln Trieb, der im Wolke auflebt, weil er die
Macht verstärkt, die euch besiegt hat," u. s. w.

Dies ist nun freilich der Mann nicht, den man an die Spitze der
Provinzverwaltung zu bringen arbeitet. Hierzu ist der zweite Held des
Romans, der in Politik und Liebe verunglückende Herr v. Tondern ge¬
eigneter. Dieser, der Religion und Recht überhaupt nur noch von beding¬
tem, untergeordnetem Werthe findet, als Mittet, um die Massen zu Schu-
len, verspricht das autonomische Statut auf die Provinz auszudehnen,
keine Locomotive in's patriarchalische Land zu lassen und — auch das
Institut der Leibeigenschaft wieder einzuführen.

Doch diese edeln reaktionären Bestrebungen, behalten nicht allein
das Wort in dem Buche. Auch Bürger und Bauer, spricht sich von
seinem Standpunkt aus — und ein Geistlicher, „nicht aus der jetzigen
Schule der Römlinge, sondern der die Traditionen einer bessern Zeit
bewahrt, und begeistert ist für den Verfuch eines großen Denkers, das
starre System der Kirche in den großen Gedankenstrom einzutauchen, der
Frieden und Freiheit rauschend durch die Zeit geht."

Charakteristisch in solchem Widerstreit der Meinungen bleibt es aber
Doch, fürchte der poetisch gestimmte und der Unterhaltung suchende
^eher ,a nicht, daß dieser Roman sich »in lauter Reflexionen drehe. Nein,
die Erzählung ist voll Begebenheiten und von beinahe zu starker Spannung.
Man ist froh, dann und wann einmal eine weitblickende Reflexion zum
Ausruhen zu finden. Außer diesen Höhepunkten des Romans wird man


5!
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[0409] Der Held des Romans, ein vielgereister edler Mann jener Provinz, ist mit den Interessen seiner Standesgenossen nicht einverstanden. „Je¬ der Standesunterschied in Folge der Geburt," meint er, „ist ein frecher Hohn der Christuslehre. Er ist jetzt, wie sich die Zeit angethan, noch obendrein unpolitisch, er ist albern, er ist lächerlich. Er schließt auch hier, in diesem Lande, wie einen unglückseligen Ueberrest irgend eines von der Civilisation aufgeriebenen wilden Stammes, wie ein letztes Häuflein Irokesen oder Chipparder in seine Jagdgründe ein; hier, wo ihr im Unmuth gegen die Welt unter dem Schatten eurer heiligen Stamm¬ bäume zusammenhockt und nichts lernt und nichts vergeßt. Ihr seid unmuthig und zürnt gegen die Regierung, die von oben her euch nicht genug thut, weil sie, auch beim besten Willen, doch an die Stimme der öffentlichen Meinung gebunden ist. Ihr zürnt auf die andern Stande, weil sie spotten oder erbittert sind durch eure Ansprüche und euch zurück¬ drängen in euern „Jagdgrund". Ihr zürnt gegen die öffentliche Mei¬ nung, weil sie euch mit euern Anmaßungen niederhält. Ihr zürnt gegen die Intelligenz des Landes, die Presse, die Dichter, die Denker der Na¬ tion, weil sie nur Hohn für eure Sparren haben. Ihr zürnt gegen jede neue Regung, jeden edeln Trieb, der im Wolke auflebt, weil er die Macht verstärkt, die euch besiegt hat," u. s. w. Dies ist nun freilich der Mann nicht, den man an die Spitze der Provinzverwaltung zu bringen arbeitet. Hierzu ist der zweite Held des Romans, der in Politik und Liebe verunglückende Herr v. Tondern ge¬ eigneter. Dieser, der Religion und Recht überhaupt nur noch von beding¬ tem, untergeordnetem Werthe findet, als Mittet, um die Massen zu Schu- len, verspricht das autonomische Statut auf die Provinz auszudehnen, keine Locomotive in's patriarchalische Land zu lassen und — auch das Institut der Leibeigenschaft wieder einzuführen. Doch diese edeln reaktionären Bestrebungen, behalten nicht allein das Wort in dem Buche. Auch Bürger und Bauer, spricht sich von seinem Standpunkt aus — und ein Geistlicher, „nicht aus der jetzigen Schule der Römlinge, sondern der die Traditionen einer bessern Zeit bewahrt, und begeistert ist für den Verfuch eines großen Denkers, das starre System der Kirche in den großen Gedankenstrom einzutauchen, der Frieden und Freiheit rauschend durch die Zeit geht." Charakteristisch in solchem Widerstreit der Meinungen bleibt es aber Doch, fürchte der poetisch gestimmte und der Unterhaltung suchende ^eher ,a nicht, daß dieser Roman sich »in lauter Reflexionen drehe. Nein, die Erzählung ist voll Begebenheiten und von beinahe zu starker Spannung. Man ist froh, dann und wann einmal eine weitblickende Reflexion zum Ausruhen zu finden. Außer diesen Höhepunkten des Romans wird man 5!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/409>, abgerufen am 27.04.2024.