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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Bauern, oder die Hunderte (?) unzufriedener Edelleute," so muß ich
ihm die Antwort ertheilen, daß die höhern Interessen einer Nation
allerdings durch die an Zahl geringere, an Intelligenz überlegene Klasse
der Gebildeten vertreten werden müssen und dies namentlich in einem
Lande, wo der Austand der niedern Volksklassen in geistiger und mora¬
lischer Beziehung so trostlos ist, daß die Wahrung der Nationalrechte
wohl kaum von Ihnen ausgehen kann, eine Wahrheit, die auch von
der österreichischen Regierung erkannt worden sein muß, weil sie den
galizischen Landtag mit Ausschließung des Bauernstandes lediglich aus
den begüterten Ständen zusammengesetzt hat. Die polnischen Edelleute
folgen mithin, sobald sie von der Meinung ausgehen, die ganze Nation
zu repräsentiren, nur der Anschauungsweise der Regierung und befin¬
den sich folglich mit derselben in keinem prinzipiellen Gegensatz, wohl
aber in einer Meinungsdifferenz wegen Ausdehnung der ihnen zuge¬
standenen Berechtigungen. Zudem ist es eine Illusion zu glauben,
die Bauern in Galizien hatten aus Anhänglichkeit an die Regierung
die Partei gegen den Adel ergriffen; nicht Liebe gegen die Staatsge¬
walt, sondern Haß gegen die Herrschaft des Adels, nicht Liebe zur
Ordnung, sondern die Aussicht auf Plünderung waren die Motive
des Rustikalaufstandes, der auch die Kreisbcamtcn beraubt haben würde,
wenn da viel zu rauben gewesen wäre; an Trotz und Frechheit hat
es der aufgestandene Bauer wenigstens nicht fehlen lassen. Die Herr¬
schaftsverhältnisse in Galizien fallen überdies weniger dem Adel selbst,
als der Regierung zur Last, die in den langen Friedensjahren, welche
überall zu gründlichen Reformen benützt worden, wie z.B. in Posen,
von ihrem Recht der Initiative keinen Gebrauch gemacht hat, vielmehr
durch eine ängstliche Erhaltung des Statusquo mit allen seinen Mi߬
bräuchen den Adel für sich zu gewinnen suchte, von dem sie, freilich
vergebens, hoffte, er werde um den Preis dieses Statusquo auf die
verlorenen politischen Rechte und die staatliche Existenz der Nation
Verzicht leisten. Viele Gutsbesitzer in Galizien wären mit Freuden
bereit in eine Ablösung der Bodenlasten einzugehen, allein die Armuth
des Bauers macht diese gute Absicht unpraktisch, so lange nicht die
Negierung mittelst Vorschüssen aus dem Staatsvermögen den Guts¬
herrn befriedigt und den Bauer von sich statt von dem Adel abhängig
zu machen sucht. Daß die Regierung dies versäumte, zeigt wie wenig
sie sich um den Bauernstand Galiziens bekümmerte, denn dem Guts¬
herrn als Privatmann kann es nimmermehr zugemuthet werden, gro߬
müthig auf bestehende Rechte zu verzichten, die einen Hauptbestand¬
theil feines Vermögens bilden, das nicht allein ihm, sondern auch
seinen Kindern gehört; der Privatmann hat genug gethan, sobald er
sich für eine gute Sache ausspricht und zur Ausführung derselben be¬
reitwillig die Hand bietet, das Uebrige ist Sache der Staatsregierung.

Der Berichtiger in der Allg. Zeitung sucht weiterhin meinen


Bauern, oder die Hunderte (?) unzufriedener Edelleute," so muß ich
ihm die Antwort ertheilen, daß die höhern Interessen einer Nation
allerdings durch die an Zahl geringere, an Intelligenz überlegene Klasse
der Gebildeten vertreten werden müssen und dies namentlich in einem
Lande, wo der Austand der niedern Volksklassen in geistiger und mora¬
lischer Beziehung so trostlos ist, daß die Wahrung der Nationalrechte
wohl kaum von Ihnen ausgehen kann, eine Wahrheit, die auch von
der österreichischen Regierung erkannt worden sein muß, weil sie den
galizischen Landtag mit Ausschließung des Bauernstandes lediglich aus
den begüterten Ständen zusammengesetzt hat. Die polnischen Edelleute
folgen mithin, sobald sie von der Meinung ausgehen, die ganze Nation
zu repräsentiren, nur der Anschauungsweise der Regierung und befin¬
den sich folglich mit derselben in keinem prinzipiellen Gegensatz, wohl
aber in einer Meinungsdifferenz wegen Ausdehnung der ihnen zuge¬
standenen Berechtigungen. Zudem ist es eine Illusion zu glauben,
die Bauern in Galizien hatten aus Anhänglichkeit an die Regierung
die Partei gegen den Adel ergriffen; nicht Liebe gegen die Staatsge¬
walt, sondern Haß gegen die Herrschaft des Adels, nicht Liebe zur
Ordnung, sondern die Aussicht auf Plünderung waren die Motive
des Rustikalaufstandes, der auch die Kreisbcamtcn beraubt haben würde,
wenn da viel zu rauben gewesen wäre; an Trotz und Frechheit hat
es der aufgestandene Bauer wenigstens nicht fehlen lassen. Die Herr¬
schaftsverhältnisse in Galizien fallen überdies weniger dem Adel selbst,
als der Regierung zur Last, die in den langen Friedensjahren, welche
überall zu gründlichen Reformen benützt worden, wie z.B. in Posen,
von ihrem Recht der Initiative keinen Gebrauch gemacht hat, vielmehr
durch eine ängstliche Erhaltung des Statusquo mit allen seinen Mi߬
bräuchen den Adel für sich zu gewinnen suchte, von dem sie, freilich
vergebens, hoffte, er werde um den Preis dieses Statusquo auf die
verlorenen politischen Rechte und die staatliche Existenz der Nation
Verzicht leisten. Viele Gutsbesitzer in Galizien wären mit Freuden
bereit in eine Ablösung der Bodenlasten einzugehen, allein die Armuth
des Bauers macht diese gute Absicht unpraktisch, so lange nicht die
Negierung mittelst Vorschüssen aus dem Staatsvermögen den Guts¬
herrn befriedigt und den Bauer von sich statt von dem Adel abhängig
zu machen sucht. Daß die Regierung dies versäumte, zeigt wie wenig
sie sich um den Bauernstand Galiziens bekümmerte, denn dem Guts¬
herrn als Privatmann kann es nimmermehr zugemuthet werden, gro߬
müthig auf bestehende Rechte zu verzichten, die einen Hauptbestand¬
theil feines Vermögens bilden, das nicht allein ihm, sondern auch
seinen Kindern gehört; der Privatmann hat genug gethan, sobald er
sich für eine gute Sache ausspricht und zur Ausführung derselben be¬
reitwillig die Hand bietet, das Uebrige ist Sache der Staatsregierung.

Der Berichtiger in der Allg. Zeitung sucht weiterhin meinen


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[0042] Bauern, oder die Hunderte (?) unzufriedener Edelleute," so muß ich ihm die Antwort ertheilen, daß die höhern Interessen einer Nation allerdings durch die an Zahl geringere, an Intelligenz überlegene Klasse der Gebildeten vertreten werden müssen und dies namentlich in einem Lande, wo der Austand der niedern Volksklassen in geistiger und mora¬ lischer Beziehung so trostlos ist, daß die Wahrung der Nationalrechte wohl kaum von Ihnen ausgehen kann, eine Wahrheit, die auch von der österreichischen Regierung erkannt worden sein muß, weil sie den galizischen Landtag mit Ausschließung des Bauernstandes lediglich aus den begüterten Ständen zusammengesetzt hat. Die polnischen Edelleute folgen mithin, sobald sie von der Meinung ausgehen, die ganze Nation zu repräsentiren, nur der Anschauungsweise der Regierung und befin¬ den sich folglich mit derselben in keinem prinzipiellen Gegensatz, wohl aber in einer Meinungsdifferenz wegen Ausdehnung der ihnen zuge¬ standenen Berechtigungen. Zudem ist es eine Illusion zu glauben, die Bauern in Galizien hatten aus Anhänglichkeit an die Regierung die Partei gegen den Adel ergriffen; nicht Liebe gegen die Staatsge¬ walt, sondern Haß gegen die Herrschaft des Adels, nicht Liebe zur Ordnung, sondern die Aussicht auf Plünderung waren die Motive des Rustikalaufstandes, der auch die Kreisbcamtcn beraubt haben würde, wenn da viel zu rauben gewesen wäre; an Trotz und Frechheit hat es der aufgestandene Bauer wenigstens nicht fehlen lassen. Die Herr¬ schaftsverhältnisse in Galizien fallen überdies weniger dem Adel selbst, als der Regierung zur Last, die in den langen Friedensjahren, welche überall zu gründlichen Reformen benützt worden, wie z.B. in Posen, von ihrem Recht der Initiative keinen Gebrauch gemacht hat, vielmehr durch eine ängstliche Erhaltung des Statusquo mit allen seinen Mi߬ bräuchen den Adel für sich zu gewinnen suchte, von dem sie, freilich vergebens, hoffte, er werde um den Preis dieses Statusquo auf die verlorenen politischen Rechte und die staatliche Existenz der Nation Verzicht leisten. Viele Gutsbesitzer in Galizien wären mit Freuden bereit in eine Ablösung der Bodenlasten einzugehen, allein die Armuth des Bauers macht diese gute Absicht unpraktisch, so lange nicht die Negierung mittelst Vorschüssen aus dem Staatsvermögen den Guts¬ herrn befriedigt und den Bauer von sich statt von dem Adel abhängig zu machen sucht. Daß die Regierung dies versäumte, zeigt wie wenig sie sich um den Bauernstand Galiziens bekümmerte, denn dem Guts¬ herrn als Privatmann kann es nimmermehr zugemuthet werden, gro߬ müthig auf bestehende Rechte zu verzichten, die einen Hauptbestand¬ theil feines Vermögens bilden, das nicht allein ihm, sondern auch seinen Kindern gehört; der Privatmann hat genug gethan, sobald er sich für eine gute Sache ausspricht und zur Ausführung derselben be¬ reitwillig die Hand bietet, das Uebrige ist Sache der Staatsregierung. Der Berichtiger in der Allg. Zeitung sucht weiterhin meinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/42>, abgerufen am 28.04.2024.