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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Wochen. -- Ueber das Wissenswürdigste der vaterländischen Kritik
endlich gibt den Eingeweihten das Amtsblatt genügende Auskunft.
Und man kann denn in der That, wenn man dieses nur hat, gar gern
jede andere politische Zeitung entbehren, die im Grunde doch gar zu
viel unverdautes Zeug schwatzen, um Leuten nicht widerlich zu sein, die
sich nur um gelegte Eier bekümmern. Das Amtsblatt dagegen ent¬
hält nur ganz positive und unwidersprechliche politische Wahrheiten, die
fein Leserkreis -- er geht natürlich nicht über den geheimnißvollen
Dunstkreis der Rathsstube hinaus -- in gebührender Ehrfurcht hin¬
nimmt.


VII".

Daß da, wo das Familieninteresse das einzig herrschende und über
Alles sich hinbreitende ist, ein Fortschritt unter die Dinge gehört, die
selbst im Traume sich nicht ereignen können, hat sich nun hier auf's
Glänzendste bewährt. Die Geschichte hat das auch schon zu tausend
Malen nachgewiesen, aber hier ist mehr denn Geschichte, hier ist die
trostlose Gegenwart, die unmittelbar empfundene brutale Thatsache, an
der sich nicht deuten und drehen läßt. Der Einzelne kommt nicht
eher zum Genuß seiner Freiheit, tritt nickt eher aus dem beengten und
beengenden Kreise der Familie heraus, ehe es nicht zu spät ist. Die
Jugend und grade die des Jünglings gilt für ein Alter der Thorheit
und der Verführung, das man nicht sich selber überlassen dürfe, son¬
dern vielmehr an dem Probirstein der Ansichten und Neigungen der
Väter erst zurecht strecken müsse. Je spröder der Stahl, desto
hartnäckiger das Bemühen. Der Vater ist eine Macht, der sich keiner
entziehen kann, wenn er nicht für lebelang aus allen hiesigen Kreisen
verbannt sein will, -- aber merke wohl, diese Macht ist keine geistige,
die in der freien Liebe der Kinder beruht; es ist eine chinesische Zwangs¬
macht, eine gewalthaberische Oberhoheit mit Ruthe und Stock, die
grade um dieser ihrer Attribute willen Verehrung und Unterwerfung
heischt, da darf denn auch der Sohn nie klüger werden, als der
Vater, weil dies mit dem gebührenden Respecte nicht wohl verträglich
scheint. Was jeder weiß und kann, hat er im Wege der Erbschaft
überkommen und wird es in demselben Maße seinen Kinder und Kin-
deskindern wieder hinterlassen. -- Die Bewegungen der neuern Zeit,
die die Lebensadern der Völker durchpulst, sind für R. spurlos dahin
gegangen. Wohl erzählen sie sich hier noch von den Franzosen und
den Freiheitskriegen, welche zwei hiesigen Einwohnern das Leben geko-


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Wochen. — Ueber das Wissenswürdigste der vaterländischen Kritik
endlich gibt den Eingeweihten das Amtsblatt genügende Auskunft.
Und man kann denn in der That, wenn man dieses nur hat, gar gern
jede andere politische Zeitung entbehren, die im Grunde doch gar zu
viel unverdautes Zeug schwatzen, um Leuten nicht widerlich zu sein, die
sich nur um gelegte Eier bekümmern. Das Amtsblatt dagegen ent¬
hält nur ganz positive und unwidersprechliche politische Wahrheiten, die
fein Leserkreis — er geht natürlich nicht über den geheimnißvollen
Dunstkreis der Rathsstube hinaus — in gebührender Ehrfurcht hin¬
nimmt.


VII«.

Daß da, wo das Familieninteresse das einzig herrschende und über
Alles sich hinbreitende ist, ein Fortschritt unter die Dinge gehört, die
selbst im Traume sich nicht ereignen können, hat sich nun hier auf's
Glänzendste bewährt. Die Geschichte hat das auch schon zu tausend
Malen nachgewiesen, aber hier ist mehr denn Geschichte, hier ist die
trostlose Gegenwart, die unmittelbar empfundene brutale Thatsache, an
der sich nicht deuten und drehen läßt. Der Einzelne kommt nicht
eher zum Genuß seiner Freiheit, tritt nickt eher aus dem beengten und
beengenden Kreise der Familie heraus, ehe es nicht zu spät ist. Die
Jugend und grade die des Jünglings gilt für ein Alter der Thorheit
und der Verführung, das man nicht sich selber überlassen dürfe, son¬
dern vielmehr an dem Probirstein der Ansichten und Neigungen der
Väter erst zurecht strecken müsse. Je spröder der Stahl, desto
hartnäckiger das Bemühen. Der Vater ist eine Macht, der sich keiner
entziehen kann, wenn er nicht für lebelang aus allen hiesigen Kreisen
verbannt sein will, — aber merke wohl, diese Macht ist keine geistige,
die in der freien Liebe der Kinder beruht; es ist eine chinesische Zwangs¬
macht, eine gewalthaberische Oberhoheit mit Ruthe und Stock, die
grade um dieser ihrer Attribute willen Verehrung und Unterwerfung
heischt, da darf denn auch der Sohn nie klüger werden, als der
Vater, weil dies mit dem gebührenden Respecte nicht wohl verträglich
scheint. Was jeder weiß und kann, hat er im Wege der Erbschaft
überkommen und wird es in demselben Maße seinen Kinder und Kin-
deskindern wieder hinterlassen. — Die Bewegungen der neuern Zeit,
die die Lebensadern der Völker durchpulst, sind für R. spurlos dahin
gegangen. Wohl erzählen sie sich hier noch von den Franzosen und
den Freiheitskriegen, welche zwei hiesigen Einwohnern das Leben geko-


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[0495] Wochen. — Ueber das Wissenswürdigste der vaterländischen Kritik endlich gibt den Eingeweihten das Amtsblatt genügende Auskunft. Und man kann denn in der That, wenn man dieses nur hat, gar gern jede andere politische Zeitung entbehren, die im Grunde doch gar zu viel unverdautes Zeug schwatzen, um Leuten nicht widerlich zu sein, die sich nur um gelegte Eier bekümmern. Das Amtsblatt dagegen ent¬ hält nur ganz positive und unwidersprechliche politische Wahrheiten, die fein Leserkreis — er geht natürlich nicht über den geheimnißvollen Dunstkreis der Rathsstube hinaus — in gebührender Ehrfurcht hin¬ nimmt. VII«. Daß da, wo das Familieninteresse das einzig herrschende und über Alles sich hinbreitende ist, ein Fortschritt unter die Dinge gehört, die selbst im Traume sich nicht ereignen können, hat sich nun hier auf's Glänzendste bewährt. Die Geschichte hat das auch schon zu tausend Malen nachgewiesen, aber hier ist mehr denn Geschichte, hier ist die trostlose Gegenwart, die unmittelbar empfundene brutale Thatsache, an der sich nicht deuten und drehen läßt. Der Einzelne kommt nicht eher zum Genuß seiner Freiheit, tritt nickt eher aus dem beengten und beengenden Kreise der Familie heraus, ehe es nicht zu spät ist. Die Jugend und grade die des Jünglings gilt für ein Alter der Thorheit und der Verführung, das man nicht sich selber überlassen dürfe, son¬ dern vielmehr an dem Probirstein der Ansichten und Neigungen der Väter erst zurecht strecken müsse. Je spröder der Stahl, desto hartnäckiger das Bemühen. Der Vater ist eine Macht, der sich keiner entziehen kann, wenn er nicht für lebelang aus allen hiesigen Kreisen verbannt sein will, — aber merke wohl, diese Macht ist keine geistige, die in der freien Liebe der Kinder beruht; es ist eine chinesische Zwangs¬ macht, eine gewalthaberische Oberhoheit mit Ruthe und Stock, die grade um dieser ihrer Attribute willen Verehrung und Unterwerfung heischt, da darf denn auch der Sohn nie klüger werden, als der Vater, weil dies mit dem gebührenden Respecte nicht wohl verträglich scheint. Was jeder weiß und kann, hat er im Wege der Erbschaft überkommen und wird es in demselben Maße seinen Kinder und Kin- deskindern wieder hinterlassen. — Die Bewegungen der neuern Zeit, die die Lebensadern der Völker durchpulst, sind für R. spurlos dahin gegangen. Wohl erzählen sie sich hier noch von den Franzosen und den Freiheitskriegen, welche zwei hiesigen Einwohnern das Leben geko- 62-«-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/495>, abgerufen am 30.04.2024.