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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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die, durch den buntgefiederten Courier angekündigten, nordischen Wohl^
thaten erst abwarten; allein da diese bis jetzt noch nicht angelangt,
so will ich nicht länger säumen, Ihnen, vortreffliche Freundin, für das
gütige und erquickliche Andenken meinen besten Gruß und die Aner¬
kennung Ihres theuern Wohlwollens zu erwiedern.

Man enthielte sich gern jetzt alles Blickes in die Ferne, da man
mit dem Nächsten auf mancherlei Weise bedrängt ist, wenn nicht das
Glück der Sieger in Südwesten und das Schicksal der Freunde in
Nordosten unsere Theilnahme und Aufmerksamkeit gewaltsam an sich
zöge. Jene machen unserm Herzen täglich mehr Luft, da sie unsern
Hoffnungen immer voreilen; hingegen fühlen wir uns beengt und be¬
trübt, wenn wir an diese gedenken, und ihnen im Geiste nur leere
Wünsche, und in Briefen nur gehaltlose Worte zusenden können. Und
so hält die Freude den Schmerz im Gleichgewicht, und wiegt ihn zu¬
letzt denn doch auf, weil sich Erwartungen hervorthun, die vielleicht
nie gegründeter und von mehr nachhaltiger Kraft unterstützt waren.

Lassen Sie uns also, theure Freundin, diese letzten Wintertage
als frühlingweissagend betrachten. Es müßte seltsam zugehen, wenn
nicht bald das Bessere von allen Seiten hervortreten sollte. Ist indeß
dem Beobachter nicht ganz erfreulich, wie sich die befreiten Deutschen
schon wieder literarisch gegen einander benehmen, so muß man denken,
daß dies nun einmal die Art der Nation ist, sobald sie von fremdem
Drucke sich befreit fühlt, unter sich zu zerfallen. Was mich betrifft,
so erlauben mir glückliche Umstände und Ereignisse, einen ganz engen
Zauberkreis um mich her zu ziehen, in welchem ich, nach alter Ge¬
wohnheit, meinen stillen Beschäftigungen nachhänge, das was ich zeit¬
lebens vorgenommen wieder aufnehme, um das Brauchbare davon
meinen zwar wunderlichen, jedoch immer geliebten Landsleuten aufzu¬
bewahren.

Möge ich von Ihnen und Ihrem theuren Gemahl bald recht viel
WünschenswertheS vernehmen.

(Eigenhändig.)


Riemer, dessen Hand Sie wohl in diesem Blatte erkennen, grüßt
zum schönsten. Möge ich Ihnen immer empfohlen sein.
Goethe.

(Nach Berlin.)


die, durch den buntgefiederten Courier angekündigten, nordischen Wohl^
thaten erst abwarten; allein da diese bis jetzt noch nicht angelangt,
so will ich nicht länger säumen, Ihnen, vortreffliche Freundin, für das
gütige und erquickliche Andenken meinen besten Gruß und die Aner¬
kennung Ihres theuern Wohlwollens zu erwiedern.

Man enthielte sich gern jetzt alles Blickes in die Ferne, da man
mit dem Nächsten auf mancherlei Weise bedrängt ist, wenn nicht das
Glück der Sieger in Südwesten und das Schicksal der Freunde in
Nordosten unsere Theilnahme und Aufmerksamkeit gewaltsam an sich
zöge. Jene machen unserm Herzen täglich mehr Luft, da sie unsern
Hoffnungen immer voreilen; hingegen fühlen wir uns beengt und be¬
trübt, wenn wir an diese gedenken, und ihnen im Geiste nur leere
Wünsche, und in Briefen nur gehaltlose Worte zusenden können. Und
so hält die Freude den Schmerz im Gleichgewicht, und wiegt ihn zu¬
letzt denn doch auf, weil sich Erwartungen hervorthun, die vielleicht
nie gegründeter und von mehr nachhaltiger Kraft unterstützt waren.

Lassen Sie uns also, theure Freundin, diese letzten Wintertage
als frühlingweissagend betrachten. Es müßte seltsam zugehen, wenn
nicht bald das Bessere von allen Seiten hervortreten sollte. Ist indeß
dem Beobachter nicht ganz erfreulich, wie sich die befreiten Deutschen
schon wieder literarisch gegen einander benehmen, so muß man denken,
daß dies nun einmal die Art der Nation ist, sobald sie von fremdem
Drucke sich befreit fühlt, unter sich zu zerfallen. Was mich betrifft,
so erlauben mir glückliche Umstände und Ereignisse, einen ganz engen
Zauberkreis um mich her zu ziehen, in welchem ich, nach alter Ge¬
wohnheit, meinen stillen Beschäftigungen nachhänge, das was ich zeit¬
lebens vorgenommen wieder aufnehme, um das Brauchbare davon
meinen zwar wunderlichen, jedoch immer geliebten Landsleuten aufzu¬
bewahren.

Möge ich von Ihnen und Ihrem theuren Gemahl bald recht viel
WünschenswertheS vernehmen.

(Eigenhändig.)


Riemer, dessen Hand Sie wohl in diesem Blatte erkennen, grüßt
zum schönsten. Möge ich Ihnen immer empfohlen sein.
Goethe.

(Nach Berlin.)


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[0523] die, durch den buntgefiederten Courier angekündigten, nordischen Wohl^ thaten erst abwarten; allein da diese bis jetzt noch nicht angelangt, so will ich nicht länger säumen, Ihnen, vortreffliche Freundin, für das gütige und erquickliche Andenken meinen besten Gruß und die Aner¬ kennung Ihres theuern Wohlwollens zu erwiedern. Man enthielte sich gern jetzt alles Blickes in die Ferne, da man mit dem Nächsten auf mancherlei Weise bedrängt ist, wenn nicht das Glück der Sieger in Südwesten und das Schicksal der Freunde in Nordosten unsere Theilnahme und Aufmerksamkeit gewaltsam an sich zöge. Jene machen unserm Herzen täglich mehr Luft, da sie unsern Hoffnungen immer voreilen; hingegen fühlen wir uns beengt und be¬ trübt, wenn wir an diese gedenken, und ihnen im Geiste nur leere Wünsche, und in Briefen nur gehaltlose Worte zusenden können. Und so hält die Freude den Schmerz im Gleichgewicht, und wiegt ihn zu¬ letzt denn doch auf, weil sich Erwartungen hervorthun, die vielleicht nie gegründeter und von mehr nachhaltiger Kraft unterstützt waren. Lassen Sie uns also, theure Freundin, diese letzten Wintertage als frühlingweissagend betrachten. Es müßte seltsam zugehen, wenn nicht bald das Bessere von allen Seiten hervortreten sollte. Ist indeß dem Beobachter nicht ganz erfreulich, wie sich die befreiten Deutschen schon wieder literarisch gegen einander benehmen, so muß man denken, daß dies nun einmal die Art der Nation ist, sobald sie von fremdem Drucke sich befreit fühlt, unter sich zu zerfallen. Was mich betrifft, so erlauben mir glückliche Umstände und Ereignisse, einen ganz engen Zauberkreis um mich her zu ziehen, in welchem ich, nach alter Ge¬ wohnheit, meinen stillen Beschäftigungen nachhänge, das was ich zeit¬ lebens vorgenommen wieder aufnehme, um das Brauchbare davon meinen zwar wunderlichen, jedoch immer geliebten Landsleuten aufzu¬ bewahren. Möge ich von Ihnen und Ihrem theuren Gemahl bald recht viel WünschenswertheS vernehmen. (Eigenhändig.) Riemer, dessen Hand Sie wohl in diesem Blatte erkennen, grüßt zum schönsten. Möge ich Ihnen immer empfohlen sein. Goethe. (Nach Berlin.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/523>, abgerufen am 02.05.2024.