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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Gottlob! Nun hat die Noth ein End',
Gefängniß! du Himmel des Armen,
Nur eine Woche Erquickung dort,
Und dann auf's Neue gehungert.



Ich bereute, daß ich diese Verse zu hören verlangt hatte. Herr
S. sah eine Schmähung der königl. preuß. Religion und Gensd'ar-
merie darin, er machte dem Verhör ein Ende, und ließ die Leute
mit groben Worten in ihr Gefängniß zurückbringen, wo sie auf halbe
Kost gesetzt wurden, damit sie nicht aus der Gewohnheit des Hun-
gerns herausgerissen würden. In der nächsten Criminalgerichtssttzung
machte er den Antrag, dies gottlose Volk prügeln lassen zu dürfen.

Nach einigelt Tagen sah ich die beiden Unglücklichen in Beglei¬
tung eines Gensdarmen und eines Polizeidieners forttransportirt
werden. Sie wurden über die nächste Grenze gebracht.

Ich folgte den Unglücklichen nach, um ihnen ein Almosen zuzu¬
stellen und Muth und Trost zuzureden. Es ist doch merkwürdig,
meinte der alte Zigeuner, daß man uns nirgends brauchen k.an.
Jetzt werden wir in's --sehe gebracht; dort von --sehen Polizeidie¬
nern eingesteckt, bis daß wir wieder in ein anderes Gebiet fortge¬
schickt werden. Und so kommen wir von einem Gefängniß zum an¬
dern, von einem Gebiet zum andern, -- und in Deutschland sind
gar viele Länder, -- und nirgends behält man uns, nirgends gibt
man uns Arbeit. Und gar, wer schon so alt ist, wie ich, den Schil-
ler sie schnell wieder fort, denn sie fürchten, er könne sterben und
die Gemeinde müsse die Begräbnißkosten bezahlen. Und dazu will
der Pfarrer meist keinen Zigeuner mitbegrabe" helfen, weil er meint,
wir wären Heiden; umsonst thut er es nun einmal gar nicht.

Die Socialisten sollten doch zuerst, dachte ich beim Rückweg
bei mir selbst, dahin wirken, daß die Todtengräber bei armen Leu¬
ten ihr Amt umsonst verrichten.




Gottlob! Nun hat die Noth ein End',
Gefängniß! du Himmel des Armen,
Nur eine Woche Erquickung dort,
Und dann auf's Neue gehungert.



Ich bereute, daß ich diese Verse zu hören verlangt hatte. Herr
S. sah eine Schmähung der königl. preuß. Religion und Gensd'ar-
merie darin, er machte dem Verhör ein Ende, und ließ die Leute
mit groben Worten in ihr Gefängniß zurückbringen, wo sie auf halbe
Kost gesetzt wurden, damit sie nicht aus der Gewohnheit des Hun-
gerns herausgerissen würden. In der nächsten Criminalgerichtssttzung
machte er den Antrag, dies gottlose Volk prügeln lassen zu dürfen.

Nach einigelt Tagen sah ich die beiden Unglücklichen in Beglei¬
tung eines Gensdarmen und eines Polizeidieners forttransportirt
werden. Sie wurden über die nächste Grenze gebracht.

Ich folgte den Unglücklichen nach, um ihnen ein Almosen zuzu¬
stellen und Muth und Trost zuzureden. Es ist doch merkwürdig,
meinte der alte Zigeuner, daß man uns nirgends brauchen k.an.
Jetzt werden wir in's —sehe gebracht; dort von —sehen Polizeidie¬
nern eingesteckt, bis daß wir wieder in ein anderes Gebiet fortge¬
schickt werden. Und so kommen wir von einem Gefängniß zum an¬
dern, von einem Gebiet zum andern, — und in Deutschland sind
gar viele Länder, — und nirgends behält man uns, nirgends gibt
man uns Arbeit. Und gar, wer schon so alt ist, wie ich, den Schil-
ler sie schnell wieder fort, denn sie fürchten, er könne sterben und
die Gemeinde müsse die Begräbnißkosten bezahlen. Und dazu will
der Pfarrer meist keinen Zigeuner mitbegrabe» helfen, weil er meint,
wir wären Heiden; umsonst thut er es nun einmal gar nicht.

Die Socialisten sollten doch zuerst, dachte ich beim Rückweg
bei mir selbst, dahin wirken, daß die Todtengräber bei armen Leu¬
ten ihr Amt umsonst verrichten.




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[0059] Gottlob! Nun hat die Noth ein End', Gefängniß! du Himmel des Armen, Nur eine Woche Erquickung dort, Und dann auf's Neue gehungert. Ich bereute, daß ich diese Verse zu hören verlangt hatte. Herr S. sah eine Schmähung der königl. preuß. Religion und Gensd'ar- merie darin, er machte dem Verhör ein Ende, und ließ die Leute mit groben Worten in ihr Gefängniß zurückbringen, wo sie auf halbe Kost gesetzt wurden, damit sie nicht aus der Gewohnheit des Hun- gerns herausgerissen würden. In der nächsten Criminalgerichtssttzung machte er den Antrag, dies gottlose Volk prügeln lassen zu dürfen. Nach einigelt Tagen sah ich die beiden Unglücklichen in Beglei¬ tung eines Gensdarmen und eines Polizeidieners forttransportirt werden. Sie wurden über die nächste Grenze gebracht. Ich folgte den Unglücklichen nach, um ihnen ein Almosen zuzu¬ stellen und Muth und Trost zuzureden. Es ist doch merkwürdig, meinte der alte Zigeuner, daß man uns nirgends brauchen k.an. Jetzt werden wir in's —sehe gebracht; dort von —sehen Polizeidie¬ nern eingesteckt, bis daß wir wieder in ein anderes Gebiet fortge¬ schickt werden. Und so kommen wir von einem Gefängniß zum an¬ dern, von einem Gebiet zum andern, — und in Deutschland sind gar viele Länder, — und nirgends behält man uns, nirgends gibt man uns Arbeit. Und gar, wer schon so alt ist, wie ich, den Schil- ler sie schnell wieder fort, denn sie fürchten, er könne sterben und die Gemeinde müsse die Begräbnißkosten bezahlen. Und dazu will der Pfarrer meist keinen Zigeuner mitbegrabe» helfen, weil er meint, wir wären Heiden; umsonst thut er es nun einmal gar nicht. Die Socialisten sollten doch zuerst, dachte ich beim Rückweg bei mir selbst, dahin wirken, daß die Todtengräber bei armen Leu¬ ten ihr Amt umsonst verrichten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/59>, abgerufen am 19.05.2024.