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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Das von anderweit fertig Ueberkommene muß hier in seine
ursprüngliche Entstehung zurückgeführt werden. Ein gesunder Takt
muß davor bewahren, Abgedroschenes wie eine neue Ernte zu be^
handeln.

Es ist noch nicht lange, seitdem in der Literatur die Mode
abkommt, die natürlichen Haare.wie eine Perücke aufzustutzen. Das
Alltägliche wird in hohe Redensarten eingemummt, von denen man nicht
lassen zu können glaubt, und ohne welche allerdings die Blöße sich
schneller kund geben würde. Wie leicht lassen sich Phrasen hin
und her drehen, aber in einfacher Sprache zeigt sich schnell, was
einer zu bieten hat. Seitdem alle Wissenschaft sich dem Leben
näher anschließt, verliert sich auch die Zigeunersprache der Kathe¬
derweisheit immer mehr und mehr. Die lebendigsten Wahrheiten
erstarren leicht zu Formeln, mit denen die Nachbeter großthun
wie mit selbst gemachten Eroberungen. Muß man diese aber im
Leben umsetzen, so ergibt sich bald, in wieweit das Angeeignete
auch ein Eigenes geworden ist. Alles das ist von unberechenbarem
Einfluß auch auf die volksthümliche Sprache und Schrift. Es
wird und muß immer Erörterungen geben, die weit über das so¬
genannte volksthümliche Bewußtsein hinausragen, die schon von
vorn herein auf einer erhöhten Stufe beginnen und deren Ergeb¬
nisse nur vereinzelt und auf Umwegen in das Volksbewußtsein zu¬
rückkehren; je klarer und bestimmter sich solche aber bewegen, um
so rascher und ersprießlicher ist ihre Rückkehr in's Leben.

Vielfach gelrdnd ist auch die Ansicht, daß die erste Bedingung
einer volksthümlichen Sprache ihre Reinigung von Fremdwörtern
und Kunstausdrücken sei. Gewiß muß das Bestreben dahin gehen,
rein deutsch zu schreiben, aber wir können nur nach und nach dahin
gelangen. Wie die Sachen heute stehen, ist durch das Staatsle-
ben mit seinem fremden Rechte und schriftlich geheimem Verfahren,
durch das Militärwefen, durch Schule und Kirche, eine solche Fluth
von Fremdwörtern und Kunstausdrücken in den Strom her Alltags¬
sprache gelenkt worden, daß wir mit heimischem Ausdrucke geziert
unverständlich und willkürlich werden. Die theoretische Sprachrei¬
nigung ging namentlich darin zu weit, daß sie alle Schattirungen
eines Begriffes oder Merkmale eines Gegenstandes mit in den be¬
zeichnenden Ausdruck aufnehmen wollte; dadurch entstand jene tacher-


Das von anderweit fertig Ueberkommene muß hier in seine
ursprüngliche Entstehung zurückgeführt werden. Ein gesunder Takt
muß davor bewahren, Abgedroschenes wie eine neue Ernte zu be^
handeln.

Es ist noch nicht lange, seitdem in der Literatur die Mode
abkommt, die natürlichen Haare.wie eine Perücke aufzustutzen. Das
Alltägliche wird in hohe Redensarten eingemummt, von denen man nicht
lassen zu können glaubt, und ohne welche allerdings die Blöße sich
schneller kund geben würde. Wie leicht lassen sich Phrasen hin
und her drehen, aber in einfacher Sprache zeigt sich schnell, was
einer zu bieten hat. Seitdem alle Wissenschaft sich dem Leben
näher anschließt, verliert sich auch die Zigeunersprache der Kathe¬
derweisheit immer mehr und mehr. Die lebendigsten Wahrheiten
erstarren leicht zu Formeln, mit denen die Nachbeter großthun
wie mit selbst gemachten Eroberungen. Muß man diese aber im
Leben umsetzen, so ergibt sich bald, in wieweit das Angeeignete
auch ein Eigenes geworden ist. Alles das ist von unberechenbarem
Einfluß auch auf die volksthümliche Sprache und Schrift. Es
wird und muß immer Erörterungen geben, die weit über das so¬
genannte volksthümliche Bewußtsein hinausragen, die schon von
vorn herein auf einer erhöhten Stufe beginnen und deren Ergeb¬
nisse nur vereinzelt und auf Umwegen in das Volksbewußtsein zu¬
rückkehren; je klarer und bestimmter sich solche aber bewegen, um
so rascher und ersprießlicher ist ihre Rückkehr in's Leben.

Vielfach gelrdnd ist auch die Ansicht, daß die erste Bedingung
einer volksthümlichen Sprache ihre Reinigung von Fremdwörtern
und Kunstausdrücken sei. Gewiß muß das Bestreben dahin gehen,
rein deutsch zu schreiben, aber wir können nur nach und nach dahin
gelangen. Wie die Sachen heute stehen, ist durch das Staatsle-
ben mit seinem fremden Rechte und schriftlich geheimem Verfahren,
durch das Militärwefen, durch Schule und Kirche, eine solche Fluth
von Fremdwörtern und Kunstausdrücken in den Strom her Alltags¬
sprache gelenkt worden, daß wir mit heimischem Ausdrucke geziert
unverständlich und willkürlich werden. Die theoretische Sprachrei¬
nigung ging namentlich darin zu weit, daß sie alle Schattirungen
eines Begriffes oder Merkmale eines Gegenstandes mit in den be¬
zeichnenden Ausdruck aufnehmen wollte; dadurch entstand jene tacher-


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[0098] Das von anderweit fertig Ueberkommene muß hier in seine ursprüngliche Entstehung zurückgeführt werden. Ein gesunder Takt muß davor bewahren, Abgedroschenes wie eine neue Ernte zu be^ handeln. Es ist noch nicht lange, seitdem in der Literatur die Mode abkommt, die natürlichen Haare.wie eine Perücke aufzustutzen. Das Alltägliche wird in hohe Redensarten eingemummt, von denen man nicht lassen zu können glaubt, und ohne welche allerdings die Blöße sich schneller kund geben würde. Wie leicht lassen sich Phrasen hin und her drehen, aber in einfacher Sprache zeigt sich schnell, was einer zu bieten hat. Seitdem alle Wissenschaft sich dem Leben näher anschließt, verliert sich auch die Zigeunersprache der Kathe¬ derweisheit immer mehr und mehr. Die lebendigsten Wahrheiten erstarren leicht zu Formeln, mit denen die Nachbeter großthun wie mit selbst gemachten Eroberungen. Muß man diese aber im Leben umsetzen, so ergibt sich bald, in wieweit das Angeeignete auch ein Eigenes geworden ist. Alles das ist von unberechenbarem Einfluß auch auf die volksthümliche Sprache und Schrift. Es wird und muß immer Erörterungen geben, die weit über das so¬ genannte volksthümliche Bewußtsein hinausragen, die schon von vorn herein auf einer erhöhten Stufe beginnen und deren Ergeb¬ nisse nur vereinzelt und auf Umwegen in das Volksbewußtsein zu¬ rückkehren; je klarer und bestimmter sich solche aber bewegen, um so rascher und ersprießlicher ist ihre Rückkehr in's Leben. Vielfach gelrdnd ist auch die Ansicht, daß die erste Bedingung einer volksthümlichen Sprache ihre Reinigung von Fremdwörtern und Kunstausdrücken sei. Gewiß muß das Bestreben dahin gehen, rein deutsch zu schreiben, aber wir können nur nach und nach dahin gelangen. Wie die Sachen heute stehen, ist durch das Staatsle- ben mit seinem fremden Rechte und schriftlich geheimem Verfahren, durch das Militärwefen, durch Schule und Kirche, eine solche Fluth von Fremdwörtern und Kunstausdrücken in den Strom her Alltags¬ sprache gelenkt worden, daß wir mit heimischem Ausdrucke geziert unverständlich und willkürlich werden. Die theoretische Sprachrei¬ nigung ging namentlich darin zu weit, daß sie alle Schattirungen eines Begriffes oder Merkmale eines Gegenstandes mit in den be¬ zeichnenden Ausdruck aufnehmen wollte; dadurch entstand jene tacher-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/98>, abgerufen am 26.05.2024.