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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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wer den Gegensatz und seine Auflösung erkannt hat, dessen natürlicher
Trieb und Beruf ist, dies bekannt und klar zu machen. Angst und
Hoffnung, Haß und Liebe entstehen sofort instinctmäßig, widerstreitende
und gemeinsame Interessen werden offenbar, trennen die Gegensätze
und consolidiren jede Seite in sich. -- In Drntschland befreien sich so
immer nur einzelne theoretisch von den herrschenden Gegensätzen, dann
freilich sehr gründlich, allein die Franzosen, überhaupt das heißere ro¬
manische Blut reagirt praktisch gegen die enge Specialität, in die das
Leben den Einzelnen hineindrängt. -- Der Deutsche ist im Allgemeinen
der gewissenhafteste Arbeiter. Er dreht an den ihm zugewiesenen Rade,
ohne sich umzusehen, weshalb man ihm seinen Beruf auf hundert
Schritte ansehen kann. -- Die romanischen Völker mit ihrer lebhafteren
Menschennatur empören sich weit leichter gegen die unmenschliche Be¬
schränkung des Lebens. -- Die Deutschen lieben, ihnen deshalb den
Vorwurf des Leichtsinns und der Frivolität zu machen, allein dafür
machen die Franzosen die Geschichte und genießen das Leben, so gut
es eben möglich ist. -- Die Italiener haben dieselbe Natur, in noch
höherem Grade, und wenn sie in neuerer Zeit keine Geschichte machten,
so lag dies nur daran, weil das eigentliche Volk unter dem gesegneten
Himmel nie zu dem Grade der Verzweiflung kommen kann, um sich
für fremde Interessen zur Schlachtbank führen zu lassen.

Schon hatten wir den Golf von Bajä, die trümmervolle Frcuden-
stätte des alten Römerreiches und das Cap Misenum hinter uns ge¬
lassen, schon begann der Abend zu dämmern, als die Glocke zum
Mittagessen rief. -- Wahrlich, wir saßen im glänzendsten Speisesaale
der Welt, die untergehende Sonne, das in großen, ruhigen, tiefdunkeln
Wogen sich ausbreitende Meer und darüber der ewigblaue Himmel,
an dem nach und nach die Sterne sich entzündeten. "Wenn ich den
Golf von Bajä betrachte/' sagte mein Reisegefährte, "wird mir die
große Wohlthat der Erfindung des Pulvers klar. -- In meinen ro¬
mantischen Jahren fluchte ich mit Ariost auf sie, als die Ursache des
untergegangenen Ritterthums und der persönlichen Tapferkeit; allein
heute belehren mich die Ruinen dieses Ufers eines Besseren. -- DaS
glänzende Landhauöleben der Römer war der Anfang ihres Unter¬
gangs. So lange die Stärke und Abhärtung des Körpers den Aus¬
schlag des Kampfes bedingte, war die Epoche, wo ein Volk sich der
Philosophie, den Künsten, dem Genusse zuwandte, das Signal für
fremde Barbaren, über sie herzufallen. So unterlagen die Athenienser
den rohen Fechtmeistern aus Sparta, so die Römer den Germanen. ---


wer den Gegensatz und seine Auflösung erkannt hat, dessen natürlicher
Trieb und Beruf ist, dies bekannt und klar zu machen. Angst und
Hoffnung, Haß und Liebe entstehen sofort instinctmäßig, widerstreitende
und gemeinsame Interessen werden offenbar, trennen die Gegensätze
und consolidiren jede Seite in sich. — In Drntschland befreien sich so
immer nur einzelne theoretisch von den herrschenden Gegensätzen, dann
freilich sehr gründlich, allein die Franzosen, überhaupt das heißere ro¬
manische Blut reagirt praktisch gegen die enge Specialität, in die das
Leben den Einzelnen hineindrängt. — Der Deutsche ist im Allgemeinen
der gewissenhafteste Arbeiter. Er dreht an den ihm zugewiesenen Rade,
ohne sich umzusehen, weshalb man ihm seinen Beruf auf hundert
Schritte ansehen kann. — Die romanischen Völker mit ihrer lebhafteren
Menschennatur empören sich weit leichter gegen die unmenschliche Be¬
schränkung des Lebens. — Die Deutschen lieben, ihnen deshalb den
Vorwurf des Leichtsinns und der Frivolität zu machen, allein dafür
machen die Franzosen die Geschichte und genießen das Leben, so gut
es eben möglich ist. — Die Italiener haben dieselbe Natur, in noch
höherem Grade, und wenn sie in neuerer Zeit keine Geschichte machten,
so lag dies nur daran, weil das eigentliche Volk unter dem gesegneten
Himmel nie zu dem Grade der Verzweiflung kommen kann, um sich
für fremde Interessen zur Schlachtbank führen zu lassen.

Schon hatten wir den Golf von Bajä, die trümmervolle Frcuden-
stätte des alten Römerreiches und das Cap Misenum hinter uns ge¬
lassen, schon begann der Abend zu dämmern, als die Glocke zum
Mittagessen rief. — Wahrlich, wir saßen im glänzendsten Speisesaale
der Welt, die untergehende Sonne, das in großen, ruhigen, tiefdunkeln
Wogen sich ausbreitende Meer und darüber der ewigblaue Himmel,
an dem nach und nach die Sterne sich entzündeten. „Wenn ich den
Golf von Bajä betrachte/' sagte mein Reisegefährte, „wird mir die
große Wohlthat der Erfindung des Pulvers klar. — In meinen ro¬
mantischen Jahren fluchte ich mit Ariost auf sie, als die Ursache des
untergegangenen Ritterthums und der persönlichen Tapferkeit; allein
heute belehren mich die Ruinen dieses Ufers eines Besseren. — DaS
glänzende Landhauöleben der Römer war der Anfang ihres Unter¬
gangs. So lange die Stärke und Abhärtung des Körpers den Aus¬
schlag des Kampfes bedingte, war die Epoche, wo ein Volk sich der
Philosophie, den Künsten, dem Genusse zuwandte, das Signal für
fremde Barbaren, über sie herzufallen. So unterlagen die Athenienser
den rohen Fechtmeistern aus Sparta, so die Römer den Germanen. -—


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/24>, abgerufen am 21.05.2024.