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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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weil in Italien die uiuingenehme Sitte herrscht, durch's ganze Land
hin in derselben Saison ein und dieselbe Oper fortwährend zu geben.
Die Sänger und Sängerinnen müssen gegen die unsrigen ein sehr
bequemes Leben haben. -- Ich glaube Verdi verdankt einen Theil sei¬
nes Ruhmes den meistens der italienischen Geschichte entnommenen
Texten. -- Niemand ist politisch erregbarer, als die besitzenden Klassen
in Italien, besonders die Lombarden. -- Sie sehen, ganz verschieden
von den gutmüthigen Neapolitanern, finster und gefährlich aus. --
Sogar der Adel lebt meistens für sich, verschmäht es, Dienste zu neh¬
men, und hält sich jeden Deutschen so fern wie möglich vom Leibe,
daher es für Letztern in gesellschaftlicher Beziehung nichts weniger wie
angenehm in Mailand sein soll. In Neapel erklärte ich einem Advo-
caten, ich sei ein ^rusLinno, und die piussi.nil hätten 7 Jahre lang
Krieg mit den Oesterreichern geführt und ihnen bedeutende Länder ab¬
genommen, worauf er ganz gerührt und erfreut mir die Hand drückte
und zutraulich zu werden anfing. -- Verdi'S Melodien gingen an mir
vorüber wie eine lange Klage Italiens, ich sah die Brüder Bandiera
sterben, hörte die Opfer seufze" in der Engelsburg und auf dem Spiel¬
berg, und es.war nicht mehr der alte Foscari, dem die Glocke, welche
die Ernennung seines Nachfolgers verkündete, zur Sterbeglocke wurde,
sondern Italien selbst, welchem der Purpurmantel von Yen Schultern
fiel. -- Leider verstand Verdi weder Deutsch noch Französisch, und
wir wußten zu wenig Italienisch, als daß die Conversation sich wei¬
ter, als über das. Dürftigste hinaus hätte ausdehnen können- --

"Mich," sagte Maria auf meine Frage, wie ihr das Spiel ge¬
fallen, "hat am meisten sein schönes Gesicht gefesselt, obschon es auch
nicht mehr ganz rein ist, wie der krampfhaft geschlossene Mund mir
bezeugt. -- Der hat manchen impertinenten Impressario schmeicheln,
manche Dummheit, manche Gemeinheit belächeln müssen, bis er end¬
lich frei geworden ist. Aber solche Gefangenschaft läßt doch immer
ihre Spuren zurück. -- Am andern Morgen kamen wir nach Civita-
vecchia. Bekanntlich darf Niemand an's Land, bis Polizei, Sanitäts-
und Zollbehörden das Schiff und seine Papiere gehörig visitirt haben.
Ein eleganter junger Mann, wie es schien der erste der Beamten, der
eavilliere titulirt wurde, sah nicht sobald Verdi, als er auf ihn los¬
stürzte, ihn umschlang, als wollte er ihn erdrücken, herzte, küßte und
mit ihm forteilte. Wie muß der Mann, dachte ich, erst bei seiner
Geliebten sein; -- wahrlich die italienische Musik übertreibt nicht. --


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weil in Italien die uiuingenehme Sitte herrscht, durch's ganze Land
hin in derselben Saison ein und dieselbe Oper fortwährend zu geben.
Die Sänger und Sängerinnen müssen gegen die unsrigen ein sehr
bequemes Leben haben. — Ich glaube Verdi verdankt einen Theil sei¬
nes Ruhmes den meistens der italienischen Geschichte entnommenen
Texten. — Niemand ist politisch erregbarer, als die besitzenden Klassen
in Italien, besonders die Lombarden. — Sie sehen, ganz verschieden
von den gutmüthigen Neapolitanern, finster und gefährlich aus. —
Sogar der Adel lebt meistens für sich, verschmäht es, Dienste zu neh¬
men, und hält sich jeden Deutschen so fern wie möglich vom Leibe,
daher es für Letztern in gesellschaftlicher Beziehung nichts weniger wie
angenehm in Mailand sein soll. In Neapel erklärte ich einem Advo-
caten, ich sei ein ^rusLinno, und die piussi.nil hätten 7 Jahre lang
Krieg mit den Oesterreichern geführt und ihnen bedeutende Länder ab¬
genommen, worauf er ganz gerührt und erfreut mir die Hand drückte
und zutraulich zu werden anfing. — Verdi'S Melodien gingen an mir
vorüber wie eine lange Klage Italiens, ich sah die Brüder Bandiera
sterben, hörte die Opfer seufze» in der Engelsburg und auf dem Spiel¬
berg, und es.war nicht mehr der alte Foscari, dem die Glocke, welche
die Ernennung seines Nachfolgers verkündete, zur Sterbeglocke wurde,
sondern Italien selbst, welchem der Purpurmantel von Yen Schultern
fiel. — Leider verstand Verdi weder Deutsch noch Französisch, und
wir wußten zu wenig Italienisch, als daß die Conversation sich wei¬
ter, als über das. Dürftigste hinaus hätte ausdehnen können- —

„Mich," sagte Maria auf meine Frage, wie ihr das Spiel ge¬
fallen, „hat am meisten sein schönes Gesicht gefesselt, obschon es auch
nicht mehr ganz rein ist, wie der krampfhaft geschlossene Mund mir
bezeugt. — Der hat manchen impertinenten Impressario schmeicheln,
manche Dummheit, manche Gemeinheit belächeln müssen, bis er end¬
lich frei geworden ist. Aber solche Gefangenschaft läßt doch immer
ihre Spuren zurück. — Am andern Morgen kamen wir nach Civita-
vecchia. Bekanntlich darf Niemand an's Land, bis Polizei, Sanitäts-
und Zollbehörden das Schiff und seine Papiere gehörig visitirt haben.
Ein eleganter junger Mann, wie es schien der erste der Beamten, der
eavilliere titulirt wurde, sah nicht sobald Verdi, als er auf ihn los¬
stürzte, ihn umschlang, als wollte er ihn erdrücken, herzte, küßte und
mit ihm forteilte. Wie muß der Mann, dachte ich, erst bei seiner
Geliebten sein; — wahrlich die italienische Musik übertreibt nicht. —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/31>, abgerufen am 21.05.2024.