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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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matischen Politik und der Politik der Verhältnisse, so kann man den "drei
nordischen Mächten" kaum ihre Berechtigung absprechen in dieser Sache.
Gegenüber den Uransprüchen des polnischen Volkes erlahmt jedes Wort,
jede Vertheidigung; gegenüber Denjenigen aber, welche die Theilung Po¬
lens anerkannt haben, gegenüber den papiernen Congrcßverträgen, gegen¬
über den französischen und englischen Cabinetten, die sich nicht für ein
freies Polen, sondern nur für ihr egoistisches Recht des Drcinsprechcns
erheben, müssen wir unserer Ueberzeugung nach auf die Seite der bei¬
den deutschen Machte uns stellen.

Wir wollen hier nicht auf den halb abgedroschenen Streitpunkt
noch einmal eingehen, ob die mitunterzeichneten Machte des Wiener Con¬
gresses dadurch berechtigt sind, Einsprache zu thun; dieser Punkt wird
noch viel hin- und hergezerrt werden. Thatsache ist und bleibt es, daß
die letzte Einthci-lung Polens 18.19 ganz allein eine zwischen den drei
nordischen Mächten abzumachende Sache war. Rußland wollte Krakau,
Thorn und sogar Danzig für sich; Oesterreich, das nicht zugeben konnte,
daß das bis 1814 unter seiner Herrschaft gestandene Krakau unter russi¬
sche Herrschaft komme und so gewissermaßen von ihr e r o b e r twerde, ging aus
die Errichtung einer kleinen Republik ein und die Verfassungsparagraphe
des neuen Freistaats mußten sogar als ein integrirender Theil des Tractats
vom 21. April -- 3. Mai darin aufgenommen werden. Krakau wurde wie
eine Spielsumme, über welche die Spielenden, welche sie gewannen, in der
Theilung nicht einig wurden, nach gemeinschaftlicher Übereinkunft ausgesetzt.
Dies Alles ist bekannt genug, und um einen allerneuesten Beleg dafür zu brin¬
gen, verweisen wir auf den Auszug aus den Genzischen Tagebüchern, welchen
diese Zeitschrift"') vor einigen Wochen brachte: "Die größte und schwie¬
rigste Sache, welche die Höfe in der ersten Periode des Congresses be¬
schäftigte -- sagt Genz -- war die der Territorial-Restitutionen und vor
Allem die Ansprüche, welche Rußland auf einen großen Theil von Polen
und Preußen auf das Königreich Sachsen machten..... Wir mußten
zuletzt froh sein, nur Galizien für Oesterreich und das Großherzogthum
Posen für Preußen gerettet und die armselige Republik Krakau geschaffen
zu haben." Die Existenz der Republik Krakau war ein Ausweg in der
Mein- und Dein-Frage zwischen Rußland und Oesterreich, und dankte
seine Entstehung nicht etwa einem europäischen Gleichgewichts-Gedanken,
sondern rein einer Territorial-Eifersucht zweier Nachbarn. Dies aller¬
dings würde keineswegs die Mitgarantie und das Mitdreinsprechungs-
recht der übrigen Unterzeichner der Congreßschlußacte beseitigen, wenn diese
nicht selbst vielfache Beispiele gegeben hätten, daß sie in der That Krakau
blos als eine Angelegenheit der drei Schutzmächte und als eine von diesen
unter sich auszumachende Sache betrachteten. Als schlagender Beweis
dient Folgendes: Die Krakauer Constitution wurde bekanntlich als ein
wesentlicher Bestandtheil des Tractats vom 21. April -- 3. Mai aus¬
drücklich mit in diesen aufgenommen, sie gehörte also mit diesem zu der
Schlußacte des Congresses. Nichtsdestoweniger haben die übrigen Machte



*) Siehe Grenzboten Ur. 42.
47*

matischen Politik und der Politik der Verhältnisse, so kann man den „drei
nordischen Mächten" kaum ihre Berechtigung absprechen in dieser Sache.
Gegenüber den Uransprüchen des polnischen Volkes erlahmt jedes Wort,
jede Vertheidigung; gegenüber Denjenigen aber, welche die Theilung Po¬
lens anerkannt haben, gegenüber den papiernen Congrcßverträgen, gegen¬
über den französischen und englischen Cabinetten, die sich nicht für ein
freies Polen, sondern nur für ihr egoistisches Recht des Drcinsprechcns
erheben, müssen wir unserer Ueberzeugung nach auf die Seite der bei¬
den deutschen Machte uns stellen.

Wir wollen hier nicht auf den halb abgedroschenen Streitpunkt
noch einmal eingehen, ob die mitunterzeichneten Machte des Wiener Con¬
gresses dadurch berechtigt sind, Einsprache zu thun; dieser Punkt wird
noch viel hin- und hergezerrt werden. Thatsache ist und bleibt es, daß
die letzte Einthci-lung Polens 18.19 ganz allein eine zwischen den drei
nordischen Mächten abzumachende Sache war. Rußland wollte Krakau,
Thorn und sogar Danzig für sich; Oesterreich, das nicht zugeben konnte,
daß das bis 1814 unter seiner Herrschaft gestandene Krakau unter russi¬
sche Herrschaft komme und so gewissermaßen von ihr e r o b e r twerde, ging aus
die Errichtung einer kleinen Republik ein und die Verfassungsparagraphe
des neuen Freistaats mußten sogar als ein integrirender Theil des Tractats
vom 21. April — 3. Mai darin aufgenommen werden. Krakau wurde wie
eine Spielsumme, über welche die Spielenden, welche sie gewannen, in der
Theilung nicht einig wurden, nach gemeinschaftlicher Übereinkunft ausgesetzt.
Dies Alles ist bekannt genug, und um einen allerneuesten Beleg dafür zu brin¬
gen, verweisen wir auf den Auszug aus den Genzischen Tagebüchern, welchen
diese Zeitschrift"') vor einigen Wochen brachte: „Die größte und schwie¬
rigste Sache, welche die Höfe in der ersten Periode des Congresses be¬
schäftigte — sagt Genz — war die der Territorial-Restitutionen und vor
Allem die Ansprüche, welche Rußland auf einen großen Theil von Polen
und Preußen auf das Königreich Sachsen machten..... Wir mußten
zuletzt froh sein, nur Galizien für Oesterreich und das Großherzogthum
Posen für Preußen gerettet und die armselige Republik Krakau geschaffen
zu haben." Die Existenz der Republik Krakau war ein Ausweg in der
Mein- und Dein-Frage zwischen Rußland und Oesterreich, und dankte
seine Entstehung nicht etwa einem europäischen Gleichgewichts-Gedanken,
sondern rein einer Territorial-Eifersucht zweier Nachbarn. Dies aller¬
dings würde keineswegs die Mitgarantie und das Mitdreinsprechungs-
recht der übrigen Unterzeichner der Congreßschlußacte beseitigen, wenn diese
nicht selbst vielfache Beispiele gegeben hätten, daß sie in der That Krakau
blos als eine Angelegenheit der drei Schutzmächte und als eine von diesen
unter sich auszumachende Sache betrachteten. Als schlagender Beweis
dient Folgendes: Die Krakauer Constitution wurde bekanntlich als ein
wesentlicher Bestandtheil des Tractats vom 21. April — 3. Mai aus¬
drücklich mit in diesen aufgenommen, sie gehörte also mit diesem zu der
Schlußacte des Congresses. Nichtsdestoweniger haben die übrigen Machte



*) Siehe Grenzboten Ur. 42.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/355>, abgerufen am 20.05.2024.