Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nennt, fast komischer Weise so durchdrungen, daß eine Rede aus dem Munde eines
reichen, besternten Grasen mehr Eindruck als die eines schlichten Landpsarrers
oder titellvsen Advokaten auf einen großen Kreis macht. Dies Gefühl beginnt
glücklicherweise immer mehr und mehr zu schwinden, und wir glauben, daß es
hohe Zeit für unsere Aristokratie sei, einen ganz anderen Weg einzuschlagen, wenn
sie ihren früheren Einfluß auf das Volk nicht ganz verlieren will. Wir glauben,
sie thäte recht gut daran, sich in dieser Hinsicht mehr als bisher geschehen, die
englische Aristokratie zum Muster zu nehmen. Diese steht uicht einseitig zurück,
sondern geht mit fort und bleibt auch deshalb stets an der Spitze der Nation.
Darum hat das Haus der Lords in England beim Volke auch eine ganz andere
Geltung, als unsere ersten Kammern bei uus besitzen. Mit feudalistischen Ansich¬
ten macht man sich höchstens lächerlich!

Daß Mitglieder der ersten Kammer uoch einen bedeutenden Einfluß aus das Volk
ausüben können, hat sich im vorigen Jahre in München gezeigt. Hier hatte der Theil
des NeichsratheS, welcher sich dem Umsichgreifen und Uebergriffen der ultramontanen
Partei so kräftig widersetzte, eine ungeheure Wirksamkeit errungen auf die öffent¬
liche Stimmung, die zweite Kammer ward eine Zeit lang förmlich durch die erste
zurückgedrängt, und die Fürsten Wrede und mehr noch Wallerstein, der Graf
Bassenheim, Freiher v. Niedthammer und zu Rhein, waren Männer der Nation
geworden. In Darmstadt haben die Namen von Gagern, des alten vielerfahre¬
ner, körperlich zwar gebeugten, aber geistig frisch und aufrechten Nestors der ersten
Kammer, dem seine Schriften auch über die Grenzen seines Landes und Alters
einen dauernden Rang angewiesen haben, und des würdigen, aristokratisch-geist¬
vollen und aufgeklärten Freiherrn von Breitenstein einen vollwichtigen Klang, und
wenn der Freiherr von Andlaw in Karlsruhe seine feurigen Reden gegen das
Unwesen der öffentlichen Spielbanken in den deutschen Bädern hält und ihre end¬
liche Aufhebung fordert, so hallen dieselben uicht allein in Baden, sondern in
ganz Deutschland wieder. Auch in Stuttgart find in der Kammer der Standes¬
herren wohl einzelne Mitglieder zu finden, die im ganzen Lande volles Ansehen
haben. Wenn aber, wie es so oft geschieht, ein großer Theil der erblichen Mit¬
glieder aller dieser ersten Kammern es gar nicht einmal der Mühe werth hält,
seinen Sitz in denselben einzunehmen, und so entweder seine Nichtachtung gegen
das ganze constitutionelle System, oder auch das eigene Gefühl der gänzlichen
Untüchtigkeit für diesen Platz zeigt, wenn ein anderer sich förmlich in Hohn gegen
alle Anforderungen der Zeit zu überbieten strebt, dann freilich darf es diese Her¬
ren nicht wundern, wenn sie für zu unbedeutend gehalten werden, um Gewicht
aus ihre Meinung zu legen.

Wenn wir nun in Folgendem eine vergleichende Charakteristik der zweiten
Kammern Süddeutschlands zu geben versuchen, so können dies natürlich nur An¬
deutungen sein, die weder aus unbedingte Vollständigkeit, noch auf tieferes Ein-


nennt, fast komischer Weise so durchdrungen, daß eine Rede aus dem Munde eines
reichen, besternten Grasen mehr Eindruck als die eines schlichten Landpsarrers
oder titellvsen Advokaten auf einen großen Kreis macht. Dies Gefühl beginnt
glücklicherweise immer mehr und mehr zu schwinden, und wir glauben, daß es
hohe Zeit für unsere Aristokratie sei, einen ganz anderen Weg einzuschlagen, wenn
sie ihren früheren Einfluß auf das Volk nicht ganz verlieren will. Wir glauben,
sie thäte recht gut daran, sich in dieser Hinsicht mehr als bisher geschehen, die
englische Aristokratie zum Muster zu nehmen. Diese steht uicht einseitig zurück,
sondern geht mit fort und bleibt auch deshalb stets an der Spitze der Nation.
Darum hat das Haus der Lords in England beim Volke auch eine ganz andere
Geltung, als unsere ersten Kammern bei uus besitzen. Mit feudalistischen Ansich¬
ten macht man sich höchstens lächerlich!

Daß Mitglieder der ersten Kammer uoch einen bedeutenden Einfluß aus das Volk
ausüben können, hat sich im vorigen Jahre in München gezeigt. Hier hatte der Theil
des NeichsratheS, welcher sich dem Umsichgreifen und Uebergriffen der ultramontanen
Partei so kräftig widersetzte, eine ungeheure Wirksamkeit errungen auf die öffent¬
liche Stimmung, die zweite Kammer ward eine Zeit lang förmlich durch die erste
zurückgedrängt, und die Fürsten Wrede und mehr noch Wallerstein, der Graf
Bassenheim, Freiher v. Niedthammer und zu Rhein, waren Männer der Nation
geworden. In Darmstadt haben die Namen von Gagern, des alten vielerfahre¬
ner, körperlich zwar gebeugten, aber geistig frisch und aufrechten Nestors der ersten
Kammer, dem seine Schriften auch über die Grenzen seines Landes und Alters
einen dauernden Rang angewiesen haben, und des würdigen, aristokratisch-geist¬
vollen und aufgeklärten Freiherrn von Breitenstein einen vollwichtigen Klang, und
wenn der Freiherr von Andlaw in Karlsruhe seine feurigen Reden gegen das
Unwesen der öffentlichen Spielbanken in den deutschen Bädern hält und ihre end¬
liche Aufhebung fordert, so hallen dieselben uicht allein in Baden, sondern in
ganz Deutschland wieder. Auch in Stuttgart find in der Kammer der Standes¬
herren wohl einzelne Mitglieder zu finden, die im ganzen Lande volles Ansehen
haben. Wenn aber, wie es so oft geschieht, ein großer Theil der erblichen Mit¬
glieder aller dieser ersten Kammern es gar nicht einmal der Mühe werth hält,
seinen Sitz in denselben einzunehmen, und so entweder seine Nichtachtung gegen
das ganze constitutionelle System, oder auch das eigene Gefühl der gänzlichen
Untüchtigkeit für diesen Platz zeigt, wenn ein anderer sich förmlich in Hohn gegen
alle Anforderungen der Zeit zu überbieten strebt, dann freilich darf es diese Her¬
ren nicht wundern, wenn sie für zu unbedeutend gehalten werden, um Gewicht
aus ihre Meinung zu legen.

Wenn wir nun in Folgendem eine vergleichende Charakteristik der zweiten
Kammern Süddeutschlands zu geben versuchen, so können dies natürlich nur An¬
deutungen sein, die weder aus unbedingte Vollständigkeit, noch auf tieferes Ein-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0194" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/184958"/>
          <p xml:id="ID_652" prev="#ID_651"> nennt, fast komischer Weise so durchdrungen, daß eine Rede aus dem Munde eines<lb/>
reichen, besternten Grasen mehr Eindruck als die eines schlichten Landpsarrers<lb/>
oder titellvsen Advokaten auf einen großen Kreis macht. Dies Gefühl beginnt<lb/>
glücklicherweise immer mehr und mehr zu schwinden, und wir glauben, daß es<lb/>
hohe Zeit für unsere Aristokratie sei, einen ganz anderen Weg einzuschlagen, wenn<lb/>
sie ihren früheren Einfluß auf das Volk nicht ganz verlieren will. Wir glauben,<lb/>
sie thäte recht gut daran, sich in dieser Hinsicht mehr als bisher geschehen, die<lb/>
englische Aristokratie zum Muster zu nehmen. Diese steht uicht einseitig zurück,<lb/>
sondern geht mit fort und bleibt auch deshalb stets an der Spitze der Nation.<lb/>
Darum hat das Haus der Lords in England beim Volke auch eine ganz andere<lb/>
Geltung, als unsere ersten Kammern bei uus besitzen. Mit feudalistischen Ansich¬<lb/>
ten macht man sich höchstens lächerlich!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_653"> Daß Mitglieder der ersten Kammer uoch einen bedeutenden Einfluß aus das Volk<lb/>
ausüben können, hat sich im vorigen Jahre in München gezeigt. Hier hatte der Theil<lb/>
des NeichsratheS, welcher sich dem Umsichgreifen und Uebergriffen der ultramontanen<lb/>
Partei so kräftig widersetzte, eine ungeheure Wirksamkeit errungen auf die öffent¬<lb/>
liche Stimmung, die zweite Kammer ward eine Zeit lang förmlich durch die erste<lb/>
zurückgedrängt, und die Fürsten Wrede und mehr noch Wallerstein, der Graf<lb/>
Bassenheim, Freiher v. Niedthammer und zu Rhein, waren Männer der Nation<lb/>
geworden. In Darmstadt haben die Namen von Gagern, des alten vielerfahre¬<lb/>
ner, körperlich zwar gebeugten, aber geistig frisch und aufrechten Nestors der ersten<lb/>
Kammer, dem seine Schriften auch über die Grenzen seines Landes und Alters<lb/>
einen dauernden Rang angewiesen haben, und des würdigen, aristokratisch-geist¬<lb/>
vollen und aufgeklärten Freiherrn von Breitenstein einen vollwichtigen Klang, und<lb/>
wenn der Freiherr von Andlaw in Karlsruhe seine feurigen Reden gegen das<lb/>
Unwesen der öffentlichen Spielbanken in den deutschen Bädern hält und ihre end¬<lb/>
liche Aufhebung fordert, so hallen dieselben uicht allein in Baden, sondern in<lb/>
ganz Deutschland wieder. Auch in Stuttgart find in der Kammer der Standes¬<lb/>
herren wohl einzelne Mitglieder zu finden, die im ganzen Lande volles Ansehen<lb/>
haben. Wenn aber, wie es so oft geschieht, ein großer Theil der erblichen Mit¬<lb/>
glieder aller dieser ersten Kammern es gar nicht einmal der Mühe werth hält,<lb/>
seinen Sitz in denselben einzunehmen, und so entweder seine Nichtachtung gegen<lb/>
das ganze constitutionelle System, oder auch das eigene Gefühl der gänzlichen<lb/>
Untüchtigkeit für diesen Platz zeigt, wenn ein anderer sich förmlich in Hohn gegen<lb/>
alle Anforderungen der Zeit zu überbieten strebt, dann freilich darf es diese Her¬<lb/>
ren nicht wundern, wenn sie für zu unbedeutend gehalten werden, um Gewicht<lb/>
aus ihre Meinung zu legen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_654" next="#ID_655"> Wenn wir nun in Folgendem eine vergleichende Charakteristik der zweiten<lb/>
Kammern Süddeutschlands zu geben versuchen, so können dies natürlich nur An¬<lb/>
deutungen sein, die weder aus unbedingte Vollständigkeit, noch auf tieferes Ein-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0194] nennt, fast komischer Weise so durchdrungen, daß eine Rede aus dem Munde eines reichen, besternten Grasen mehr Eindruck als die eines schlichten Landpsarrers oder titellvsen Advokaten auf einen großen Kreis macht. Dies Gefühl beginnt glücklicherweise immer mehr und mehr zu schwinden, und wir glauben, daß es hohe Zeit für unsere Aristokratie sei, einen ganz anderen Weg einzuschlagen, wenn sie ihren früheren Einfluß auf das Volk nicht ganz verlieren will. Wir glauben, sie thäte recht gut daran, sich in dieser Hinsicht mehr als bisher geschehen, die englische Aristokratie zum Muster zu nehmen. Diese steht uicht einseitig zurück, sondern geht mit fort und bleibt auch deshalb stets an der Spitze der Nation. Darum hat das Haus der Lords in England beim Volke auch eine ganz andere Geltung, als unsere ersten Kammern bei uus besitzen. Mit feudalistischen Ansich¬ ten macht man sich höchstens lächerlich! Daß Mitglieder der ersten Kammer uoch einen bedeutenden Einfluß aus das Volk ausüben können, hat sich im vorigen Jahre in München gezeigt. Hier hatte der Theil des NeichsratheS, welcher sich dem Umsichgreifen und Uebergriffen der ultramontanen Partei so kräftig widersetzte, eine ungeheure Wirksamkeit errungen auf die öffent¬ liche Stimmung, die zweite Kammer ward eine Zeit lang förmlich durch die erste zurückgedrängt, und die Fürsten Wrede und mehr noch Wallerstein, der Graf Bassenheim, Freiher v. Niedthammer und zu Rhein, waren Männer der Nation geworden. In Darmstadt haben die Namen von Gagern, des alten vielerfahre¬ ner, körperlich zwar gebeugten, aber geistig frisch und aufrechten Nestors der ersten Kammer, dem seine Schriften auch über die Grenzen seines Landes und Alters einen dauernden Rang angewiesen haben, und des würdigen, aristokratisch-geist¬ vollen und aufgeklärten Freiherrn von Breitenstein einen vollwichtigen Klang, und wenn der Freiherr von Andlaw in Karlsruhe seine feurigen Reden gegen das Unwesen der öffentlichen Spielbanken in den deutschen Bädern hält und ihre end¬ liche Aufhebung fordert, so hallen dieselben uicht allein in Baden, sondern in ganz Deutschland wieder. Auch in Stuttgart find in der Kammer der Standes¬ herren wohl einzelne Mitglieder zu finden, die im ganzen Lande volles Ansehen haben. Wenn aber, wie es so oft geschieht, ein großer Theil der erblichen Mit¬ glieder aller dieser ersten Kammern es gar nicht einmal der Mühe werth hält, seinen Sitz in denselben einzunehmen, und so entweder seine Nichtachtung gegen das ganze constitutionelle System, oder auch das eigene Gefühl der gänzlichen Untüchtigkeit für diesen Platz zeigt, wenn ein anderer sich förmlich in Hohn gegen alle Anforderungen der Zeit zu überbieten strebt, dann freilich darf es diese Her¬ ren nicht wundern, wenn sie für zu unbedeutend gehalten werden, um Gewicht aus ihre Meinung zu legen. Wenn wir nun in Folgendem eine vergleichende Charakteristik der zweiten Kammern Süddeutschlands zu geben versuchen, so können dies natürlich nur An¬ deutungen sein, die weder aus unbedingte Vollständigkeit, noch auf tieferes Ein-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/194
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/194>, abgerufen am 18.05.2024.