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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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er in jenen furchtbaren Mordtagen kein geliebtes Herz verloren. Er ist jung und
reich warum sollte er nicht leichtsinnig sein dürfen?

Einige Wochen nach meiner Ankunft in Paris, als ich eines Abends träu¬
mend bei den verglimmenden Kohlen meines Kamins im Hütel Violet saß, weckte
mich auf einmal ein seltsamer Höruertou. Er kam näher und näher, es war nur
ein einziger langgezogener Ton, aber so seltsam modulirt, wie ich noch nie einen
ähnlichen gehört hatte. Die alten Bacchantenhörner kamen mir wieder in's Ge¬
dächtniß, ich erinnerte mich gelesen zu haben, daß sie sich in Frankreich wie ein
Nest der römischen Saturnalien erhalten hätten. Ich sah in den Kalender -- es
war Dienstag, der letzte Faschingstag im Jahre. Heute oder nie mußte ich den
Ball der großen Oper sehen. Mein Entschluß war schnell gefaßt. Ich zog mei¬
nen schwarzen Frack an, ging die Treppe hinab und sagte dem Portier, daß ich
erst gegen Morgen nach Hause kommen würde.

Die Nacht war lau, keine Winternacht mit Frost und Schnee, eine schöne
sternhelle Nacht, wie zur Freude geschaffen. Auf dem Boulevard Montmartre
wogte ein Gedränge von eingehüllten Männern und Frauen, unter ihren Mänteln
blickten phantastisch die seltsamen Maskenklcider hervor. Im endlosen Zuge jagten
die Wagen vorbei. Am 1^^"ilxo 60 I'Ojioi-t war das Gedränge so groß, daß
man willenlos wie vom Strome fortgerissen wurde. "I^es Kittel" nour I" bal --
Messieurs ^ii-rviu^ vus billets!" schrien die Ausrufer. Die Stiefelputzer hiel¬
ten, wen sie zuerst erwischen konnten, an dem Fuße fest: Nonslvnr t'iütvs cirer
vos bottes! Im Corridor wurde das Gedränge noch ärger, denn hier war es der¬
selbe ungeduldige Strom vou Menschen, der fortwährend schwoll, aber fast ge¬
dämmt war und nur allmälig ausweichen konnte. Die Mehrzahl waren Masken,
Masken von allen Farben und Nationen, Masken von allen Zeiten und Ländern.
Die Bajazzo und die Wilden, die Savoyarden und die Chalifen, die Lazaroni's
und die Magier, die Ritter und die Postillione, die Tempelherren und die Apotheker,
die Russen und die Ariel'ins drängten sich, wälzten sich, schoben sich, und Alle schrieen
und lachten und quillen mit ihren gellenden Larvcnstimmen. Schaaren junger
Leute, die bei Velour und den er"i-es j,i-c>ven<:lux gegessen haben mochten, kamen
lärmend herein, ohne Maske, doch die Wangen von Champagner geröthet und
das Gesicht mit angebrannten Korkstöpseln angenehm tätowirt. Lauter und wilder
noch als die Männer lärmten die Frauen. Die Minderzahl der Damen waren
Domino's, die Mehrzahl trug die reizende Tracht der Debardeurs. Soll ich eine
Beschreibung dieses Costüms geben? Ein Debardeur steckt ganz in Atlas und
Spitzen. Er hat ein weites Pantalon von weißem oder rosafarbenen Atlas und
trägt ein Männerhcmd von Battist, das den Busen vortheilhaft zeigt. Das lange
Frauenhaar ist eingerollt, wie es die Schauspielerinnen in Pagenrollen auf dem
Theater tragen und leicht gepudert. Ein sammtenes Barett mit goldener Tresse
vollendet den Anzug des Debardeurs. Doch nein! ich vergesse noch die schmale


er in jenen furchtbaren Mordtagen kein geliebtes Herz verloren. Er ist jung und
reich warum sollte er nicht leichtsinnig sein dürfen?

Einige Wochen nach meiner Ankunft in Paris, als ich eines Abends träu¬
mend bei den verglimmenden Kohlen meines Kamins im Hütel Violet saß, weckte
mich auf einmal ein seltsamer Höruertou. Er kam näher und näher, es war nur
ein einziger langgezogener Ton, aber so seltsam modulirt, wie ich noch nie einen
ähnlichen gehört hatte. Die alten Bacchantenhörner kamen mir wieder in's Ge¬
dächtniß, ich erinnerte mich gelesen zu haben, daß sie sich in Frankreich wie ein
Nest der römischen Saturnalien erhalten hätten. Ich sah in den Kalender — es
war Dienstag, der letzte Faschingstag im Jahre. Heute oder nie mußte ich den
Ball der großen Oper sehen. Mein Entschluß war schnell gefaßt. Ich zog mei¬
nen schwarzen Frack an, ging die Treppe hinab und sagte dem Portier, daß ich
erst gegen Morgen nach Hause kommen würde.

Die Nacht war lau, keine Winternacht mit Frost und Schnee, eine schöne
sternhelle Nacht, wie zur Freude geschaffen. Auf dem Boulevard Montmartre
wogte ein Gedränge von eingehüllten Männern und Frauen, unter ihren Mänteln
blickten phantastisch die seltsamen Maskenklcider hervor. Im endlosen Zuge jagten
die Wagen vorbei. Am 1^^«ilxo 60 I'Ojioi-t war das Gedränge so groß, daß
man willenlos wie vom Strome fortgerissen wurde. „I^es Kittel« nour I« bal —
Messieurs ^ii-rviu^ vus billets!" schrien die Ausrufer. Die Stiefelputzer hiel¬
ten, wen sie zuerst erwischen konnten, an dem Fuße fest: Nonslvnr t'iütvs cirer
vos bottes! Im Corridor wurde das Gedränge noch ärger, denn hier war es der¬
selbe ungeduldige Strom vou Menschen, der fortwährend schwoll, aber fast ge¬
dämmt war und nur allmälig ausweichen konnte. Die Mehrzahl waren Masken,
Masken von allen Farben und Nationen, Masken von allen Zeiten und Ländern.
Die Bajazzo und die Wilden, die Savoyarden und die Chalifen, die Lazaroni's
und die Magier, die Ritter und die Postillione, die Tempelherren und die Apotheker,
die Russen und die Ariel'ins drängten sich, wälzten sich, schoben sich, und Alle schrieen
und lachten und quillen mit ihren gellenden Larvcnstimmen. Schaaren junger
Leute, die bei Velour und den er«i-es j,i-c>ven<:lux gegessen haben mochten, kamen
lärmend herein, ohne Maske, doch die Wangen von Champagner geröthet und
das Gesicht mit angebrannten Korkstöpseln angenehm tätowirt. Lauter und wilder
noch als die Männer lärmten die Frauen. Die Minderzahl der Damen waren
Domino's, die Mehrzahl trug die reizende Tracht der Debardeurs. Soll ich eine
Beschreibung dieses Costüms geben? Ein Debardeur steckt ganz in Atlas und
Spitzen. Er hat ein weites Pantalon von weißem oder rosafarbenen Atlas und
trägt ein Männerhcmd von Battist, das den Busen vortheilhaft zeigt. Das lange
Frauenhaar ist eingerollt, wie es die Schauspielerinnen in Pagenrollen auf dem
Theater tragen und leicht gepudert. Ein sammtenes Barett mit goldener Tresse
vollendet den Anzug des Debardeurs. Doch nein! ich vergesse noch die schmale


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/222>, abgerufen am 18.05.2024.