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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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zimmer gebracht, wo eben wieder kein Arzt zugegen war. Da der Kranke
delirirte, so hielt ihn ein Kraut'enführer für einen Irren und brachte ihn
in's Beobachtnngszimmer. Daselbst wegen Mangels des vorschristmäßigew
Parere's zurückgewiesen, ward er in das Aufnahmezimmcr zurückgebracht,
wo er so lange im unruhigen Gedränge hilflos warten mußte, bis der
Journalarzt erschien und ihn auf die entsprechende Abtheilung sandte. Hier
langte der Unglückliche erst nach der ärztlichen Visite an, und da zufällig
auch der inspicirende Arzt ans der Abtheilung nicht zugegen war, so trat
die ohnehin verspätete Hilfe noch später ein. Bald daraus starb der Kranke.

Aehnliches ereignete sich mit einem fremden Schiffskapitain. Erkrankt
in einem Gasthofe der Residenz, wird er in's Spital gebracht. Zum Un¬
glück ist abermals kein Arzt im Anfnahmczimmer. Ein Krankenführer will
sein Leiden errathen und bringt den Unbekannten ans die seiner Diagnose
nach entsprechende Abtheilung. Hier zeigt es sich, daß der Kranken führer,
wie leicht zu begreifen, die Lösung des Räthsels verfehlte; nun räth der
Mann weiter und bringt den Kranken auf eine andere Abtheilung, für die
er eben so wenig geeignet ist als für die erste. Nach mehreren andern Jrr-
gängen in dem riesenhaft ausgedehnten Gebäude, haucht der Kapitain den
letzten Seufzer ans, ehe man noch fein Uebel untersuchte, ehe ihm noch ein
Medicament gereicht wurde!

Ein, drittes Beispiel. Es wurde ein bewußtloses Individuum in das
Spital gebracht, an welchem man nach den bestehenden Vorschriften Rettungs¬
versuche gegen deu Scheintode vornehmen sollte. Da aber weder der Jour-
ualarzt, uoch der Jvurualinspcctor zugegen war, so unterblieben die so noth¬
wendigen, so streug vorgeschriebene" Versuche, durch welche man vielleicht
den gesunkenen Lebensfunken wieder anfachen konnte.

Diese traurigen Ergebnisse blieben kein Geheimniß. Sie veranlaßten
die Verordnung, daß stets ein Primararzt im Hanse anwesend sein müsse. --
Bleibt aber die Wache immer auch auf ihren Posten? oder haben die zur
Aufsicht berufenen Primarärzte Zeit und Wechsel ihres Dienstes so geordnet,
daß der weise Zweck der Verordnung erreicht wird? -- Eingeweihte werden
diese Frage mit tiefem Schmerz verneinen müssen.

Aus dem angedeuteten Verfahren im Anfnahmczimmer entstehen auch
Nachtheile, welche die materiellen Interessen dritter Personen schwer genug
treffen, Nachtheile, die zwar minder wichtig sind als die angedeuteten, aber
die Billigkeit tief verletzen und ein schnödes Maskenspiel begünstigen. Aus
Maugel der entsprechenden Aufsicht im Aufnahmezimmer werden nämlich oft
Individuen im Krankenhause aufgenommen, die aus mancherlei unlauteren


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zimmer gebracht, wo eben wieder kein Arzt zugegen war. Da der Kranke
delirirte, so hielt ihn ein Kraut'enführer für einen Irren und brachte ihn
in's Beobachtnngszimmer. Daselbst wegen Mangels des vorschristmäßigew
Parere's zurückgewiesen, ward er in das Aufnahmezimmcr zurückgebracht,
wo er so lange im unruhigen Gedränge hilflos warten mußte, bis der
Journalarzt erschien und ihn auf die entsprechende Abtheilung sandte. Hier
langte der Unglückliche erst nach der ärztlichen Visite an, und da zufällig
auch der inspicirende Arzt ans der Abtheilung nicht zugegen war, so trat
die ohnehin verspätete Hilfe noch später ein. Bald daraus starb der Kranke.

Aehnliches ereignete sich mit einem fremden Schiffskapitain. Erkrankt
in einem Gasthofe der Residenz, wird er in's Spital gebracht. Zum Un¬
glück ist abermals kein Arzt im Anfnahmczimmer. Ein Krankenführer will
sein Leiden errathen und bringt den Unbekannten ans die seiner Diagnose
nach entsprechende Abtheilung. Hier zeigt es sich, daß der Kranken führer,
wie leicht zu begreifen, die Lösung des Räthsels verfehlte; nun räth der
Mann weiter und bringt den Kranken auf eine andere Abtheilung, für die
er eben so wenig geeignet ist als für die erste. Nach mehreren andern Jrr-
gängen in dem riesenhaft ausgedehnten Gebäude, haucht der Kapitain den
letzten Seufzer ans, ehe man noch fein Uebel untersuchte, ehe ihm noch ein
Medicament gereicht wurde!

Ein, drittes Beispiel. Es wurde ein bewußtloses Individuum in das
Spital gebracht, an welchem man nach den bestehenden Vorschriften Rettungs¬
versuche gegen deu Scheintode vornehmen sollte. Da aber weder der Jour-
ualarzt, uoch der Jvurualinspcctor zugegen war, so unterblieben die so noth¬
wendigen, so streug vorgeschriebene» Versuche, durch welche man vielleicht
den gesunkenen Lebensfunken wieder anfachen konnte.

Diese traurigen Ergebnisse blieben kein Geheimniß. Sie veranlaßten
die Verordnung, daß stets ein Primararzt im Hanse anwesend sein müsse. —
Bleibt aber die Wache immer auch auf ihren Posten? oder haben die zur
Aufsicht berufenen Primarärzte Zeit und Wechsel ihres Dienstes so geordnet,
daß der weise Zweck der Verordnung erreicht wird? — Eingeweihte werden
diese Frage mit tiefem Schmerz verneinen müssen.

Aus dem angedeuteten Verfahren im Anfnahmczimmer entstehen auch
Nachtheile, welche die materiellen Interessen dritter Personen schwer genug
treffen, Nachtheile, die zwar minder wichtig sind als die angedeuteten, aber
die Billigkeit tief verletzen und ein schnödes Maskenspiel begünstigen. Aus
Maugel der entsprechenden Aufsicht im Aufnahmezimmer werden nämlich oft
Individuen im Krankenhause aufgenommen, die aus mancherlei unlauteren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/559>, abgerufen am 18.05.2024.