Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Aber auch, wem ich sie zeigen könnte, wie ihr Bild hier über meinem Sopha
hängt, schon der würde mir hoffentlich zugeben, daß sie reizender und lieb¬
licher aus der Verschlingung von Bergen, Thälern, Wiesen, Fluß und Wald
hervorragt als die meisten andern Burgen unseres Vaterlandes. Wie eine
frische Wasserpflanze erhebt sie sich inmitten der aus der Fülle und Schön¬
heit blühender Nueu uus eutgcgeulachenden Natur.

Die Nudelsburg eröffnet eine Reihe thüringischer Burgen, welche sich
in der bei Freiburg beginnenden goldenen Ane bis uach dem Kyffhäuser
hinziehen und in historischer Hinsicht fast alle bedeutender sind als sie. Da
ist sogleich Burgschciduugcn, welch' ein gewaltiger Ort! Man hat er¬
mittelt, daß es die Hauptstadt des alten thüringischen Reiches gewesen ist,
und will sogar vermuthen, daß es sich einst zwei Stunde" weit im Unstrut-
thale erstreckt hat. "Manche Quadratmeile thüringischer Boden ist mehr
werth, ist denkwürdiger als die ganze Mark Brandenburg sammt Pommer-
land," sagt Wetzel, und diese Worte finden auf den Raum, den einst Burg-
scheiduugeu eingenommen hat, gewiß Anwendung. Die Gelehrten nehmen
an, daß der alte Stamm der Thüringer, der früher mit den mächtigen Go-
then vereinigt war, im vierten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung da,
wo zwischen dem thüringer Walde und der Elbe fruchtbare Auen und Weide¬
triften sich ausbreiten, ein selbstständiges Reich begründete, welches uuter
mächtigen Königen zu eiuer bedeutenden Macht 'gelangte, so daß die Grenzen
dieses Reiches sich auf eine Zeit lang bis zur Donau und zum Rhein aus¬
dehnten. Die treulose Gattin eines der frühesten thüringischen Könige warf
sich dem Frankenkönige Childerich in die Arme. So wurde sie die Mutter
des mächtigen Chlodwig, aber zugleich die Ursache beständiger Fehden zwi¬
schen Thüringen und Franken. Seit dieser Zeit stand es fest, daß von
beiden Völkern, welche schon früher selten einig gewesen waren, eins ans
der Geschichte verschwinden müsse; und es verschwand der Stamm der Thü¬
ringer, welcher unter Hermanfried bezwungen wurde. Diesem Hermanfried
schickte in sehr alterthümlicher Weise der König Theoderich seine Nichte Amal-
berge nach Bnrgscheidungen "als eine Zierde seines Hofes, als eine Ver¬
mehrer,! seines Geschlechts, als eine treue Gehülfin seiner Rathschläge, als
eine liebliche Süßigkeit der Ehe," wie es in dem köstlich weisen Begleit¬
schreiben heißt, das er ihr mit nach Thüringen gab. In diesem Begleit¬
schreiben dankt Theoderich dem Hermanfried zunächst für die "nach Sitte
der Völker ihm bestimmten Gaben, jene silberfarbenen Rosse, die sich für
hochzeitliche Geschenke ganz eignen." Ihre Brust und ihre Schenkel seien
durch schwellendes Fleisch mäßig gehoben, die Nippen erstreckten sich in


Aber auch, wem ich sie zeigen könnte, wie ihr Bild hier über meinem Sopha
hängt, schon der würde mir hoffentlich zugeben, daß sie reizender und lieb¬
licher aus der Verschlingung von Bergen, Thälern, Wiesen, Fluß und Wald
hervorragt als die meisten andern Burgen unseres Vaterlandes. Wie eine
frische Wasserpflanze erhebt sie sich inmitten der aus der Fülle und Schön¬
heit blühender Nueu uus eutgcgeulachenden Natur.

Die Nudelsburg eröffnet eine Reihe thüringischer Burgen, welche sich
in der bei Freiburg beginnenden goldenen Ane bis uach dem Kyffhäuser
hinziehen und in historischer Hinsicht fast alle bedeutender sind als sie. Da
ist sogleich Burgschciduugcn, welch' ein gewaltiger Ort! Man hat er¬
mittelt, daß es die Hauptstadt des alten thüringischen Reiches gewesen ist,
und will sogar vermuthen, daß es sich einst zwei Stunde» weit im Unstrut-
thale erstreckt hat. „Manche Quadratmeile thüringischer Boden ist mehr
werth, ist denkwürdiger als die ganze Mark Brandenburg sammt Pommer-
land," sagt Wetzel, und diese Worte finden auf den Raum, den einst Burg-
scheiduugeu eingenommen hat, gewiß Anwendung. Die Gelehrten nehmen
an, daß der alte Stamm der Thüringer, der früher mit den mächtigen Go-
then vereinigt war, im vierten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung da,
wo zwischen dem thüringer Walde und der Elbe fruchtbare Auen und Weide¬
triften sich ausbreiten, ein selbstständiges Reich begründete, welches uuter
mächtigen Königen zu eiuer bedeutenden Macht 'gelangte, so daß die Grenzen
dieses Reiches sich auf eine Zeit lang bis zur Donau und zum Rhein aus¬
dehnten. Die treulose Gattin eines der frühesten thüringischen Könige warf
sich dem Frankenkönige Childerich in die Arme. So wurde sie die Mutter
des mächtigen Chlodwig, aber zugleich die Ursache beständiger Fehden zwi¬
schen Thüringen und Franken. Seit dieser Zeit stand es fest, daß von
beiden Völkern, welche schon früher selten einig gewesen waren, eins ans
der Geschichte verschwinden müsse; und es verschwand der Stamm der Thü¬
ringer, welcher unter Hermanfried bezwungen wurde. Diesem Hermanfried
schickte in sehr alterthümlicher Weise der König Theoderich seine Nichte Amal-
berge nach Bnrgscheidungen „als eine Zierde seines Hofes, als eine Ver¬
mehrer,! seines Geschlechts, als eine treue Gehülfin seiner Rathschläge, als
eine liebliche Süßigkeit der Ehe," wie es in dem köstlich weisen Begleit¬
schreiben heißt, das er ihr mit nach Thüringen gab. In diesem Begleit¬
schreiben dankt Theoderich dem Hermanfried zunächst für die „nach Sitte
der Völker ihm bestimmten Gaben, jene silberfarbenen Rosse, die sich für
hochzeitliche Geschenke ganz eignen." Ihre Brust und ihre Schenkel seien
durch schwellendes Fleisch mäßig gehoben, die Nippen erstreckten sich in


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0030" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/184190"/>
              <p xml:id="ID_66" prev="#ID_65"> Aber auch, wem ich sie zeigen könnte, wie ihr Bild hier über meinem Sopha<lb/>
hängt, schon der würde mir hoffentlich zugeben, daß sie reizender und lieb¬<lb/>
licher aus der Verschlingung von Bergen, Thälern, Wiesen, Fluß und Wald<lb/>
hervorragt als die meisten andern Burgen unseres Vaterlandes. Wie eine<lb/>
frische Wasserpflanze erhebt sie sich inmitten der aus der Fülle und Schön¬<lb/>
heit blühender Nueu uus eutgcgeulachenden Natur.</p><lb/>
              <p xml:id="ID_67" next="#ID_68"> Die Nudelsburg eröffnet eine Reihe thüringischer Burgen, welche sich<lb/>
in der bei Freiburg beginnenden goldenen Ane bis uach dem Kyffhäuser<lb/>
hinziehen und in historischer Hinsicht fast alle bedeutender sind als sie. Da<lb/>
ist sogleich Burgschciduugcn, welch' ein gewaltiger Ort! Man hat er¬<lb/>
mittelt, daß es die Hauptstadt des alten thüringischen Reiches gewesen ist,<lb/>
und will sogar vermuthen, daß es sich einst zwei Stunde» weit im Unstrut-<lb/>
thale erstreckt hat. &#x201E;Manche Quadratmeile thüringischer Boden ist mehr<lb/>
werth, ist denkwürdiger als die ganze Mark Brandenburg sammt Pommer-<lb/>
land," sagt Wetzel, und diese Worte finden auf den Raum, den einst Burg-<lb/>
scheiduugeu eingenommen hat, gewiß Anwendung. Die Gelehrten nehmen<lb/>
an, daß der alte Stamm der Thüringer, der früher mit den mächtigen Go-<lb/>
then vereinigt war, im vierten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung da,<lb/>
wo zwischen dem thüringer Walde und der Elbe fruchtbare Auen und Weide¬<lb/>
triften sich ausbreiten, ein selbstständiges Reich begründete, welches uuter<lb/>
mächtigen Königen zu eiuer bedeutenden Macht 'gelangte, so daß die Grenzen<lb/>
dieses Reiches sich auf eine Zeit lang bis zur Donau und zum Rhein aus¬<lb/>
dehnten. Die treulose Gattin eines der frühesten thüringischen Könige warf<lb/>
sich dem Frankenkönige Childerich in die Arme. So wurde sie die Mutter<lb/>
des mächtigen Chlodwig, aber zugleich die Ursache beständiger Fehden zwi¬<lb/>
schen Thüringen und Franken. Seit dieser Zeit stand es fest, daß von<lb/>
beiden Völkern, welche schon früher selten einig gewesen waren, eins ans<lb/>
der Geschichte verschwinden müsse; und es verschwand der Stamm der Thü¬<lb/>
ringer, welcher unter Hermanfried bezwungen wurde. Diesem Hermanfried<lb/>
schickte in sehr alterthümlicher Weise der König Theoderich seine Nichte Amal-<lb/>
berge nach Bnrgscheidungen &#x201E;als eine Zierde seines Hofes, als eine Ver¬<lb/>
mehrer,! seines Geschlechts, als eine treue Gehülfin seiner Rathschläge, als<lb/>
eine liebliche Süßigkeit der Ehe," wie es in dem köstlich weisen Begleit¬<lb/>
schreiben heißt, das er ihr mit nach Thüringen gab. In diesem Begleit¬<lb/>
schreiben dankt Theoderich dem Hermanfried zunächst für die &#x201E;nach Sitte<lb/>
der Völker ihm bestimmten Gaben, jene silberfarbenen Rosse, die sich für<lb/>
hochzeitliche Geschenke ganz eignen." Ihre Brust und ihre Schenkel seien<lb/>
durch schwellendes Fleisch mäßig gehoben, die Nippen erstreckten sich in</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0030] Aber auch, wem ich sie zeigen könnte, wie ihr Bild hier über meinem Sopha hängt, schon der würde mir hoffentlich zugeben, daß sie reizender und lieb¬ licher aus der Verschlingung von Bergen, Thälern, Wiesen, Fluß und Wald hervorragt als die meisten andern Burgen unseres Vaterlandes. Wie eine frische Wasserpflanze erhebt sie sich inmitten der aus der Fülle und Schön¬ heit blühender Nueu uus eutgcgeulachenden Natur. Die Nudelsburg eröffnet eine Reihe thüringischer Burgen, welche sich in der bei Freiburg beginnenden goldenen Ane bis uach dem Kyffhäuser hinziehen und in historischer Hinsicht fast alle bedeutender sind als sie. Da ist sogleich Burgschciduugcn, welch' ein gewaltiger Ort! Man hat er¬ mittelt, daß es die Hauptstadt des alten thüringischen Reiches gewesen ist, und will sogar vermuthen, daß es sich einst zwei Stunde» weit im Unstrut- thale erstreckt hat. „Manche Quadratmeile thüringischer Boden ist mehr werth, ist denkwürdiger als die ganze Mark Brandenburg sammt Pommer- land," sagt Wetzel, und diese Worte finden auf den Raum, den einst Burg- scheiduugeu eingenommen hat, gewiß Anwendung. Die Gelehrten nehmen an, daß der alte Stamm der Thüringer, der früher mit den mächtigen Go- then vereinigt war, im vierten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung da, wo zwischen dem thüringer Walde und der Elbe fruchtbare Auen und Weide¬ triften sich ausbreiten, ein selbstständiges Reich begründete, welches uuter mächtigen Königen zu eiuer bedeutenden Macht 'gelangte, so daß die Grenzen dieses Reiches sich auf eine Zeit lang bis zur Donau und zum Rhein aus¬ dehnten. Die treulose Gattin eines der frühesten thüringischen Könige warf sich dem Frankenkönige Childerich in die Arme. So wurde sie die Mutter des mächtigen Chlodwig, aber zugleich die Ursache beständiger Fehden zwi¬ schen Thüringen und Franken. Seit dieser Zeit stand es fest, daß von beiden Völkern, welche schon früher selten einig gewesen waren, eins ans der Geschichte verschwinden müsse; und es verschwand der Stamm der Thü¬ ringer, welcher unter Hermanfried bezwungen wurde. Diesem Hermanfried schickte in sehr alterthümlicher Weise der König Theoderich seine Nichte Amal- berge nach Bnrgscheidungen „als eine Zierde seines Hofes, als eine Ver¬ mehrer,! seines Geschlechts, als eine treue Gehülfin seiner Rathschläge, als eine liebliche Süßigkeit der Ehe," wie es in dem köstlich weisen Begleit¬ schreiben heißt, das er ihr mit nach Thüringen gab. In diesem Begleit¬ schreiben dankt Theoderich dem Hermanfried zunächst für die „nach Sitte der Völker ihm bestimmten Gaben, jene silberfarbenen Rosse, die sich für hochzeitliche Geschenke ganz eignen." Ihre Brust und ihre Schenkel seien durch schwellendes Fleisch mäßig gehoben, die Nippen erstreckten sich in

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/30
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/30>, abgerufen am 19.05.2024.