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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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von deren Wesen noch Niemand eine Ahnung hat, so eingebildet, daß sie die
Italiener verachten, welche die segensreiche Hand nicht küssen wollen, die bisher
die Ruthe unbarmherzig über sie geschwungen hat"). Die Wiener, scheint es,
sind voll eitler Bewundrung ihrer selbst; sie begreifen jetzt erst den eignen Helden¬
mut!), mit welchem sie die alten Fesseln gebrochen haben". Sie freuen sich wie
Kinder, seitdem man ihnen einige gefahrlose Spielzeuge, wie ein verantwortliches
Ministerium ohne gesetzliche Richter über dessen Verfahren, eine Nationalgarde
ohne Munition, eine freie Presse mit einem censurartigen Reprcssivgesetz gegeben,
seitdem man ihnen das silberne Glöcklein einer Konstitution um den Hals gehängt
hat. Sie sind stark im Glauben an ihre Freiheit und Kraft, aber sie wissen die
neue Freiheit und Kraft nicht recht zu verwerthen. Die ganze neue Gestaltung
der Verhältnisse kam für die so lange Geknechteten zu Plötzlich, als daß die poli¬
tische Bewegung von ihnen zu gleicher Zeit hervorgerufen, erhalten und bemei¬
stert werden könnte.

Es zeigt sich überall in Oestreich ein kräftiger Volkswille, ein warmer Pa¬
triotismus, ein großes Streben für die Sache der Freiheit -- aber der Volkswille
hat noch keinen bestimmten sittlichen und rechtlichen Inhalt und artet daher in
Anarchie aus, der Patriotismus ist sich bis jetzt, durch die verschiedenen Natio¬
nalitätsinteressen getheilt, noch keines gemeinsamen Zieles bewußt, die Freiheit,
nach welcher Alle streben, hat noch keine Rechte erlangt, es fehlt noch allenthalben
ein gemeinsamer Stützpunkt für die politischen Interessen, eine bestimmte Form,
in welcher sich die dringendsten Bedürfnisse einer innern staatlichen Entwicklung be¬
friedigen könnten.

Der Regierung in Oestreich ist jetzt mehr als in allen andern Staaten die
Pflicht auferlegt, die allgemeine Bewegung zu leiten, den Wünschen und Forde¬
rungen des Volkes die gesetzlichen Garantien zu gewähren und so das Vertrauen
zu der neuen Ordnung der Verhältnisse im Staate wieder herzustellen. Wie weit
hat nun das neue Ministerium diese Pflicht erfüllt? Hat es seine Aufgabe, den
Uebergang vom absolutistischen Regiment zu einer volksthümlichen Staatsverfas-
sung rasch und energisch zu vermitteln, gehörig aufgefaßt? Hat es durch frei¬
sinnige Verordnungen, durch durchgreifende Reformen seine Tüchtigkeit bewährt?
Besitzt der Staat in einem solchen Ministerium die hinreichende Bürgschaft, in
kürzester Frist aus dem provisorischen, anarchischen Zustande herauszukommen und
eine neue kräftige Organisation zu erhalten?

Sehen wir einmal zu, mit welchen öffentlichen Funktionen die einzelnen Mi"
nisterien bisher hervorgetreten sind, bevor wir diese Fragen entscheidend beantworten.

Der populärste unter den neuen Ministern, der Minister des Innern, hat



*) Erst in den letzten Tagen hat sich die öffentliche Meinung für die Freigebung der Lom¬
bardei ausgesprochen.

von deren Wesen noch Niemand eine Ahnung hat, so eingebildet, daß sie die
Italiener verachten, welche die segensreiche Hand nicht küssen wollen, die bisher
die Ruthe unbarmherzig über sie geschwungen hat"). Die Wiener, scheint es,
sind voll eitler Bewundrung ihrer selbst; sie begreifen jetzt erst den eignen Helden¬
mut!), mit welchem sie die alten Fesseln gebrochen haben». Sie freuen sich wie
Kinder, seitdem man ihnen einige gefahrlose Spielzeuge, wie ein verantwortliches
Ministerium ohne gesetzliche Richter über dessen Verfahren, eine Nationalgarde
ohne Munition, eine freie Presse mit einem censurartigen Reprcssivgesetz gegeben,
seitdem man ihnen das silberne Glöcklein einer Konstitution um den Hals gehängt
hat. Sie sind stark im Glauben an ihre Freiheit und Kraft, aber sie wissen die
neue Freiheit und Kraft nicht recht zu verwerthen. Die ganze neue Gestaltung
der Verhältnisse kam für die so lange Geknechteten zu Plötzlich, als daß die poli¬
tische Bewegung von ihnen zu gleicher Zeit hervorgerufen, erhalten und bemei¬
stert werden könnte.

Es zeigt sich überall in Oestreich ein kräftiger Volkswille, ein warmer Pa¬
triotismus, ein großes Streben für die Sache der Freiheit — aber der Volkswille
hat noch keinen bestimmten sittlichen und rechtlichen Inhalt und artet daher in
Anarchie aus, der Patriotismus ist sich bis jetzt, durch die verschiedenen Natio¬
nalitätsinteressen getheilt, noch keines gemeinsamen Zieles bewußt, die Freiheit,
nach welcher Alle streben, hat noch keine Rechte erlangt, es fehlt noch allenthalben
ein gemeinsamer Stützpunkt für die politischen Interessen, eine bestimmte Form,
in welcher sich die dringendsten Bedürfnisse einer innern staatlichen Entwicklung be¬
friedigen könnten.

Der Regierung in Oestreich ist jetzt mehr als in allen andern Staaten die
Pflicht auferlegt, die allgemeine Bewegung zu leiten, den Wünschen und Forde¬
rungen des Volkes die gesetzlichen Garantien zu gewähren und so das Vertrauen
zu der neuen Ordnung der Verhältnisse im Staate wieder herzustellen. Wie weit
hat nun das neue Ministerium diese Pflicht erfüllt? Hat es seine Aufgabe, den
Uebergang vom absolutistischen Regiment zu einer volksthümlichen Staatsverfas-
sung rasch und energisch zu vermitteln, gehörig aufgefaßt? Hat es durch frei¬
sinnige Verordnungen, durch durchgreifende Reformen seine Tüchtigkeit bewährt?
Besitzt der Staat in einem solchen Ministerium die hinreichende Bürgschaft, in
kürzester Frist aus dem provisorischen, anarchischen Zustande herauszukommen und
eine neue kräftige Organisation zu erhalten?

Sehen wir einmal zu, mit welchen öffentlichen Funktionen die einzelnen Mi»
nisterien bisher hervorgetreten sind, bevor wir diese Fragen entscheidend beantworten.

Der populärste unter den neuen Ministern, der Minister des Innern, hat



*) Erst in den letzten Tagen hat sich die öffentliche Meinung für die Freigebung der Lom¬
bardei ausgesprochen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/100>, abgerufen am 18.05.2024.