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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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genau. Wir müssen daher gleichfalls mit dem Recensenten in den Jahrbüchern daran
Anstoß nehmen, daß für das Morgenland das freie Denken unbedingt als eine
Unmöglichkeit erklärt, Griechenland dagegen die unbedingte Denkfreiheit zuerkannt
wird, da uns ja nothwendig der Gedanke an die jüdischen Propheten und an den
Geistesdruck in Sparta kommen muß. Außerdem hätten wir wohl noch manches
Kleine ans dem Herzen. Z. B. wünschte ich, der Verfasser hätte dem zur Cha¬
rakteristik jener Zeit unstreitig höchst bedeutsamen Ovid, dessen moralischer Charakter
von ihm selbst (S. 292) über Horaz und Properz gestellt wird, die gleiche Aus¬
führlichkeit wie diesen beiden angedeihen lassen.

Allein wir halten alle diese Ausstellungen in Betracht des Geleisteten doch
nur für Kleinigkeiten. Der Grund des Plans sowohl als der Ausführung erscheint
uns unangreifbar. Denn -- man kann es nicht genug wiederholen - - die Fackel
des Verständnisses seiner Gegenwart mit ihren Bedürfnissen hat den Geschicht¬
schreiber in der Vergangenheit auf die rechten Pfade geleuchtet. Dies prägt sich
auch in der ganzen Darstellung ans, wodurch denn das Werk mit einem frischen,
ihm durchaus eigenthümlichen Reize angethan erscheint. Hier kommen wir nnn
freilich in den Fall, eben das an dem Buche am Meisten zu rühmen, was Andere
mit dem heftigsten Tadel verfolgen zu müssen geglaubt: das sogenannte Moder-
nisiren nämlich. Wir bekennen: so ist es uns eben recht. Wir fordern es
sogar, daß der Geschichtschreiber das "Alterthum fruchtbar mache, daß es
warm und voll an uns herantrete/' Wer über den Tacitus selbst historisch mit
zu berichten hat, kann eine Periode nicht auf eine Weise beschreiben, wie es
Tacitus gethan, der sie zum Theil selbst mit erlebt hat. Wir haben von nnserm
Standpunkte aus jetzt weit andere Dinge zu sehen und zu erkennen, weit andere
Räthsel zu lösen, die für jenen großen Geschichtschreiber noch nicht vorhanden
waren. ^- Wenn also der Verfasser (S. 225) vom Jungstoicismus spricht,
so ist das ganz gut und wir nennen das: Lehren und begreiflich machen. Wenn
es heißt: "Plato suchte das Heil wesentlich auf communistischen
Wegen" -- so wüßten wir nicht, wie man sich treffender ausdrücken konnte.
Wenn er ferner (S. 262) vom "frivolen Offiziercorps " redet und die
Staatsreligion "Kirche" und die Priester nach Pers. 2l5 "Dickwänste" nennt,
so finden wir das sehr richtig, sehr verdeutlicht, sehr gut. -- Was kann man denn
auch dafür, wenn Einem bei Schilderung der I^x .tuu-t et l^i-i k^pu-le-r (S. ,'MN)
das gleich ohnmächtige preußische Ehegesetz einfallen muß?!

Aber was rede ich viel, um zu empfehlen, was sich von selbst empfiehlt!
Ist es doch nur die "Literarische Zeitung" welche (Ur. :) 8 und 40, 1847) als ein
der Wissenschaft unwürdiges Organ, unter andern Kunstgriffen hauptsächlich sich
jenes schwächlichen Vorwurfs bedient hat, um (aus leicht durchscheinenden Motiven)
unser Buch bei dem Publikum zu verdächtigen. -- Ueber jene sogenannte Recen¬
sion fühlen wir uns im Interesse der Wahrheit und des Guten gedrungen, einige


genau. Wir müssen daher gleichfalls mit dem Recensenten in den Jahrbüchern daran
Anstoß nehmen, daß für das Morgenland das freie Denken unbedingt als eine
Unmöglichkeit erklärt, Griechenland dagegen die unbedingte Denkfreiheit zuerkannt
wird, da uns ja nothwendig der Gedanke an die jüdischen Propheten und an den
Geistesdruck in Sparta kommen muß. Außerdem hätten wir wohl noch manches
Kleine ans dem Herzen. Z. B. wünschte ich, der Verfasser hätte dem zur Cha¬
rakteristik jener Zeit unstreitig höchst bedeutsamen Ovid, dessen moralischer Charakter
von ihm selbst (S. 292) über Horaz und Properz gestellt wird, die gleiche Aus¬
führlichkeit wie diesen beiden angedeihen lassen.

Allein wir halten alle diese Ausstellungen in Betracht des Geleisteten doch
nur für Kleinigkeiten. Der Grund des Plans sowohl als der Ausführung erscheint
uns unangreifbar. Denn — man kann es nicht genug wiederholen - - die Fackel
des Verständnisses seiner Gegenwart mit ihren Bedürfnissen hat den Geschicht¬
schreiber in der Vergangenheit auf die rechten Pfade geleuchtet. Dies prägt sich
auch in der ganzen Darstellung ans, wodurch denn das Werk mit einem frischen,
ihm durchaus eigenthümlichen Reize angethan erscheint. Hier kommen wir nnn
freilich in den Fall, eben das an dem Buche am Meisten zu rühmen, was Andere
mit dem heftigsten Tadel verfolgen zu müssen geglaubt: das sogenannte Moder-
nisiren nämlich. Wir bekennen: so ist es uns eben recht. Wir fordern es
sogar, daß der Geschichtschreiber das „Alterthum fruchtbar mache, daß es
warm und voll an uns herantrete/' Wer über den Tacitus selbst historisch mit
zu berichten hat, kann eine Periode nicht auf eine Weise beschreiben, wie es
Tacitus gethan, der sie zum Theil selbst mit erlebt hat. Wir haben von nnserm
Standpunkte aus jetzt weit andere Dinge zu sehen und zu erkennen, weit andere
Räthsel zu lösen, die für jenen großen Geschichtschreiber noch nicht vorhanden
waren. ^- Wenn also der Verfasser (S. 225) vom Jungstoicismus spricht,
so ist das ganz gut und wir nennen das: Lehren und begreiflich machen. Wenn
es heißt: „Plato suchte das Heil wesentlich auf communistischen
Wegen" — so wüßten wir nicht, wie man sich treffender ausdrücken konnte.
Wenn er ferner (S. 262) vom „frivolen Offiziercorps " redet und die
Staatsreligion „Kirche" und die Priester nach Pers. 2l5 „Dickwänste" nennt,
so finden wir das sehr richtig, sehr verdeutlicht, sehr gut. — Was kann man denn
auch dafür, wenn Einem bei Schilderung der I^x .tuu-t et l^i-i k^pu-le-r (S. ,'MN)
das gleich ohnmächtige preußische Ehegesetz einfallen muß?!

Aber was rede ich viel, um zu empfehlen, was sich von selbst empfiehlt!
Ist es doch nur die „Literarische Zeitung" welche (Ur. :) 8 und 40, 1847) als ein
der Wissenschaft unwürdiges Organ, unter andern Kunstgriffen hauptsächlich sich
jenes schwächlichen Vorwurfs bedient hat, um (aus leicht durchscheinenden Motiven)
unser Buch bei dem Publikum zu verdächtigen. — Ueber jene sogenannte Recen¬
sion fühlen wir uns im Interesse der Wahrheit und des Guten gedrungen, einige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/168>, abgerufen am 27.05.2024.