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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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waltsam wieder in den Sturm des Augenblicks hineinführten, so muß ich gestehen,
daß in dem "Barbier" mich der reizende Gesang der Signora Fodor für den
Moment den politischen Clubb, die polnische Frage und die Arbeiteranfstände ver¬
gessen ließ. Das Berliner Publikum war darin besser gesinnt als ich, und hatte
sich nnr in der möglichst geringen Zahl eingefunden.

Im Königstädter Theater ist das Ensemble demokratisch genug, um mit dem
Augenblick in Einklang zu stehen. Dagegen weckt das aristokratische Aussehen des
Opernhauses unwillkürlich die Erinnerung an das, was draußen vorgeht. Der
Hauch der Freiheit hat in diesen Petrefacten kein anderes Leben eingeführt, als
daß er ihre Zopfbänder schwarz-roth-golden gefärbt hat. Diese Farben drän¬
gen sich von allen Seiten so herauf, daß man sich mitunter wundert, wenn ein
frühes Veilchen die Kühnheit hat, in andern Farben als der deutschen Tricolore
aufzubinden. Ich sah im Opernhaus Figaro's Hochzeit. Es ist merkwürdig, diese
Nymphe", Götter, Delphine, Musen, diese Bilder und Statuen sahen noch ebenso
ans, als wenn keine Revolution in Berlin gewesen wäre. Das diplomatische Corps
-- freilich mehr in seinen männlichen Mitgliedern, amüsirt sich noch eben so an der
lieblichen Musik, als wenn wir nicht am Vorabend eines blutigen Kriegs ständen!
Roth und gold ist genug in dem prächtigen Hause verschwendet, aber die weißen
Stuckwände sind noch nicht schwarz geworden. Graf Almaviva erscheint noch im¬
mer in der Tracht eines Ritters in einem arkadischen Schäferromane, Susanna ist
noch immer die Salondame, die sich in eine Kammerjungfer verkleidet hat, die
Ironie gegen das System des vorigen Jahrhunderts, die erkauften Richterstellcn und
das <Ir">it 6" seiAnem'i-lFe übt noch immer seine unschuldigen Scherze aus, Basil
hat sein "Vivat" noch ebensowenig vergessen, als den Witz beim Ausfall der gro¬
ßen Arie im 4. Act, aber seine Nase ist länger geworden; ich habe es genau be¬
obachtet; sie reicht jetzt über das Kinn hinaus, in der Revolution ist sie gewachsen.
Noch ein Fortschritt: Das Duett zwischen dem Grafen und Susanna wird nicht
Dacapo gerufen! Der neue Geist duldet keine Widerholung!

Die Kunst wird sich zusammennehmen müssen, wenn sie sich in der neuen Be¬
wegung erhalten will, es steht ihr eine Revolution bevor, wie dem Leben. In
ihr, wie in der Politik fragt es sich jetzt sehr ernstlich, ob die Kräfte sich finden
werden, die der Höhe der Zeit gewachsen sind. Schiller's Ausspruch: "Ernst
ist das Leben, heiter ist die Kunst!" wird für den Augenblick zurücktreten
müssen. --

Auch wir wenden uns von dem heitern Gebiet der freien Kunst wieder in
den Ernst des bedingten Lebens zurück.

Als der erste Rausch der Revolution vorüber war, als der gesammte Staat
in dem darauf einbrechenden Interregnum wie eine tabul" r-^it erschien, die sich
bequem einem jeden philosophisch-politischen System fügen könne, fing man an sich
zu besinnen, was nun eigentlich Neues auszuführen sei. Die alte Opposition ge-


waltsam wieder in den Sturm des Augenblicks hineinführten, so muß ich gestehen,
daß in dem „Barbier" mich der reizende Gesang der Signora Fodor für den
Moment den politischen Clubb, die polnische Frage und die Arbeiteranfstände ver¬
gessen ließ. Das Berliner Publikum war darin besser gesinnt als ich, und hatte
sich nnr in der möglichst geringen Zahl eingefunden.

Im Königstädter Theater ist das Ensemble demokratisch genug, um mit dem
Augenblick in Einklang zu stehen. Dagegen weckt das aristokratische Aussehen des
Opernhauses unwillkürlich die Erinnerung an das, was draußen vorgeht. Der
Hauch der Freiheit hat in diesen Petrefacten kein anderes Leben eingeführt, als
daß er ihre Zopfbänder schwarz-roth-golden gefärbt hat. Diese Farben drän¬
gen sich von allen Seiten so herauf, daß man sich mitunter wundert, wenn ein
frühes Veilchen die Kühnheit hat, in andern Farben als der deutschen Tricolore
aufzubinden. Ich sah im Opernhaus Figaro's Hochzeit. Es ist merkwürdig, diese
Nymphe«, Götter, Delphine, Musen, diese Bilder und Statuen sahen noch ebenso
ans, als wenn keine Revolution in Berlin gewesen wäre. Das diplomatische Corps
— freilich mehr in seinen männlichen Mitgliedern, amüsirt sich noch eben so an der
lieblichen Musik, als wenn wir nicht am Vorabend eines blutigen Kriegs ständen!
Roth und gold ist genug in dem prächtigen Hause verschwendet, aber die weißen
Stuckwände sind noch nicht schwarz geworden. Graf Almaviva erscheint noch im¬
mer in der Tracht eines Ritters in einem arkadischen Schäferromane, Susanna ist
noch immer die Salondame, die sich in eine Kammerjungfer verkleidet hat, die
Ironie gegen das System des vorigen Jahrhunderts, die erkauften Richterstellcn und
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hat sein „Vivat" noch ebensowenig vergessen, als den Witz beim Ausfall der gro¬
ßen Arie im 4. Act, aber seine Nase ist länger geworden; ich habe es genau be¬
obachtet; sie reicht jetzt über das Kinn hinaus, in der Revolution ist sie gewachsen.
Noch ein Fortschritt: Das Duett zwischen dem Grafen und Susanna wird nicht
Dacapo gerufen! Der neue Geist duldet keine Widerholung!

Die Kunst wird sich zusammennehmen müssen, wenn sie sich in der neuen Be¬
wegung erhalten will, es steht ihr eine Revolution bevor, wie dem Leben. In
ihr, wie in der Politik fragt es sich jetzt sehr ernstlich, ob die Kräfte sich finden
werden, die der Höhe der Zeit gewachsen sind. Schiller's Ausspruch: „Ernst
ist das Leben, heiter ist die Kunst!" wird für den Augenblick zurücktreten
müssen. —

Auch wir wenden uns von dem heitern Gebiet der freien Kunst wieder in
den Ernst des bedingten Lebens zurück.

Als der erste Rausch der Revolution vorüber war, als der gesammte Staat
in dem darauf einbrechenden Interregnum wie eine tabul» r-^it erschien, die sich
bequem einem jeden philosophisch-politischen System fügen könne, fing man an sich
zu besinnen, was nun eigentlich Neues auszuführen sei. Die alte Opposition ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/23>, abgerufen am 27.05.2024.