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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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vortragen lassen. Jene tricoloren Schärpen schienen, wie Herr Blum erzählte,
die Behörden in Schrecken zu setzen und man empfing sie mit unverholenem Mi߬
trauen. Die Unruhen waren daraus hervorgegangen, daß die preußischen Kriegs-
reservisten von den Proletariern durch häufige Insulten genöthigt waren, die Stadt
zu räumen. Diese Reservisten hatten sich, nach Herrn Blum's Ausdruck, nicht
wie die Menschen, sondern wie das Vieh benommen: so hatten sie
z. B. einmal die dreifarbige Fahne abgerissen und um eine schwarz-weiße Fahne
Bacchanalien gefeiert. -- Ich muß bemerken, daß dieser Ausdruck dem Fünf¬
ziger-Ausschuß vollkommen verständlich vorkommen mußte, denn es fiel keinem
der Herren ein, Herrn Blum um eine nähere Erklärung zu ersuchen. -- Es sei
bald dahin gekommen, daß jene Reservisten sich vor der Wuth des "Volkes" nicht
auf die Straße wagen durften; man habe sie einzeln durch Bürgerwachen an den
Ort ihres Abmarsches transportiren müssen. Selbst hier haben sie ihr viehisches
Betragen nicht aufgegeben, sondern der einzelne Reservist habe auf der Straße den
Bürgersoldaten, die ihn escortirten und vor der Wuth der Masse schützten, die
Cocarde abgerissen!!!! Als sie abmcirschircn wollten, sei das Volk auf sie einge¬
drungen, um sie umzubringen und die Bürgergarde habe sich dazu hergegeben,
diese "schlechten Menschen" zu schützen, als sie es nicht anders konnte, durch
Flintenschüsse. Seitdem erwarte man eine Plünderung der Stadt. -- "Wäre ich
Regierungscommissär gewesen," fügte Herr Blum hinzu, "so hätte ich den Magistrat
und die Stadtverordneten sofort abgesetzt, so aber begnügte ich mich, meine Ver¬
mittelung bei den Proletariern anzubieten." Sonderbar! Der Magistrat lehnte
diese Vermittelung höflichst ab!! Und Herr Blum verließ sofort die Stadt, um
nicht Zeuge der Greuel zu sein, die sich nnn entspinnen mußten. Freilich mußte
er schon auf der nächsten Station erfahren, daß man in der Stadt mit leichter
Mühe und ohne Blutvergießen des "Volkes" Herr geworden sei.

Gegen diesen Bericht erhob sich im Ausschuß keine einzige
Stimme. Als einige Tage darauf Herr Blum ähnliche "viehische Austritte" vom
Nassauer Militär erzählte, wurden schon einige Bedenken laut, als er aber einen
Brief vorlas, worin den in Baden gegen die Republikaner angewendeten Truppen
grobe Excesse zur Last gelegt wurden, brach ein allgemeiner Sturm von Seiten
der conservativen Badenser gegen ihn los; was gegen die preußischen Truppen
vollkommen in der Ordnung erschienen war, wurde, gegen die Badenser ange¬
wendet, als eine Art Hochverrath angesehen.

Die preußischen Deputirten waren die leidenschaftlichsten in jedem Angriff auf
Preußen; sie waren groß geworden im Haß des alten Systems, und "altes Sy¬
stem" und "preußische Negierung" erschien ihnen identisch. Alle andern Deputirten
sprachen eben sowohl im Interesse Deutschlands, als ihres besonderen Staates --
Oestreich, Sachsen, Baiern, Baden, Hannover, Braunschweig ze., nur die Preu¬
ßen nicht.


vortragen lassen. Jene tricoloren Schärpen schienen, wie Herr Blum erzählte,
die Behörden in Schrecken zu setzen und man empfing sie mit unverholenem Mi߬
trauen. Die Unruhen waren daraus hervorgegangen, daß die preußischen Kriegs-
reservisten von den Proletariern durch häufige Insulten genöthigt waren, die Stadt
zu räumen. Diese Reservisten hatten sich, nach Herrn Blum's Ausdruck, nicht
wie die Menschen, sondern wie das Vieh benommen: so hatten sie
z. B. einmal die dreifarbige Fahne abgerissen und um eine schwarz-weiße Fahne
Bacchanalien gefeiert. — Ich muß bemerken, daß dieser Ausdruck dem Fünf¬
ziger-Ausschuß vollkommen verständlich vorkommen mußte, denn es fiel keinem
der Herren ein, Herrn Blum um eine nähere Erklärung zu ersuchen. — Es sei
bald dahin gekommen, daß jene Reservisten sich vor der Wuth des „Volkes" nicht
auf die Straße wagen durften; man habe sie einzeln durch Bürgerwachen an den
Ort ihres Abmarsches transportiren müssen. Selbst hier haben sie ihr viehisches
Betragen nicht aufgegeben, sondern der einzelne Reservist habe auf der Straße den
Bürgersoldaten, die ihn escortirten und vor der Wuth der Masse schützten, die
Cocarde abgerissen!!!! Als sie abmcirschircn wollten, sei das Volk auf sie einge¬
drungen, um sie umzubringen und die Bürgergarde habe sich dazu hergegeben,
diese „schlechten Menschen" zu schützen, als sie es nicht anders konnte, durch
Flintenschüsse. Seitdem erwarte man eine Plünderung der Stadt. — „Wäre ich
Regierungscommissär gewesen," fügte Herr Blum hinzu, „so hätte ich den Magistrat
und die Stadtverordneten sofort abgesetzt, so aber begnügte ich mich, meine Ver¬
mittelung bei den Proletariern anzubieten." Sonderbar! Der Magistrat lehnte
diese Vermittelung höflichst ab!! Und Herr Blum verließ sofort die Stadt, um
nicht Zeuge der Greuel zu sein, die sich nnn entspinnen mußten. Freilich mußte
er schon auf der nächsten Station erfahren, daß man in der Stadt mit leichter
Mühe und ohne Blutvergießen des „Volkes" Herr geworden sei.

Gegen diesen Bericht erhob sich im Ausschuß keine einzige
Stimme. Als einige Tage darauf Herr Blum ähnliche „viehische Austritte" vom
Nassauer Militär erzählte, wurden schon einige Bedenken laut, als er aber einen
Brief vorlas, worin den in Baden gegen die Republikaner angewendeten Truppen
grobe Excesse zur Last gelegt wurden, brach ein allgemeiner Sturm von Seiten
der conservativen Badenser gegen ihn los; was gegen die preußischen Truppen
vollkommen in der Ordnung erschienen war, wurde, gegen die Badenser ange¬
wendet, als eine Art Hochverrath angesehen.

Die preußischen Deputirten waren die leidenschaftlichsten in jedem Angriff auf
Preußen; sie waren groß geworden im Haß des alten Systems, und „altes Sy¬
stem" und „preußische Negierung" erschien ihnen identisch. Alle andern Deputirten
sprachen eben sowohl im Interesse Deutschlands, als ihres besonderen Staates —
Oestreich, Sachsen, Baiern, Baden, Hannover, Braunschweig ze., nur die Preu¬
ßen nicht.


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[0252] vortragen lassen. Jene tricoloren Schärpen schienen, wie Herr Blum erzählte, die Behörden in Schrecken zu setzen und man empfing sie mit unverholenem Mi߬ trauen. Die Unruhen waren daraus hervorgegangen, daß die preußischen Kriegs- reservisten von den Proletariern durch häufige Insulten genöthigt waren, die Stadt zu räumen. Diese Reservisten hatten sich, nach Herrn Blum's Ausdruck, nicht wie die Menschen, sondern wie das Vieh benommen: so hatten sie z. B. einmal die dreifarbige Fahne abgerissen und um eine schwarz-weiße Fahne Bacchanalien gefeiert. — Ich muß bemerken, daß dieser Ausdruck dem Fünf¬ ziger-Ausschuß vollkommen verständlich vorkommen mußte, denn es fiel keinem der Herren ein, Herrn Blum um eine nähere Erklärung zu ersuchen. — Es sei bald dahin gekommen, daß jene Reservisten sich vor der Wuth des „Volkes" nicht auf die Straße wagen durften; man habe sie einzeln durch Bürgerwachen an den Ort ihres Abmarsches transportiren müssen. Selbst hier haben sie ihr viehisches Betragen nicht aufgegeben, sondern der einzelne Reservist habe auf der Straße den Bürgersoldaten, die ihn escortirten und vor der Wuth der Masse schützten, die Cocarde abgerissen!!!! Als sie abmcirschircn wollten, sei das Volk auf sie einge¬ drungen, um sie umzubringen und die Bürgergarde habe sich dazu hergegeben, diese „schlechten Menschen" zu schützen, als sie es nicht anders konnte, durch Flintenschüsse. Seitdem erwarte man eine Plünderung der Stadt. — „Wäre ich Regierungscommissär gewesen," fügte Herr Blum hinzu, „so hätte ich den Magistrat und die Stadtverordneten sofort abgesetzt, so aber begnügte ich mich, meine Ver¬ mittelung bei den Proletariern anzubieten." Sonderbar! Der Magistrat lehnte diese Vermittelung höflichst ab!! Und Herr Blum verließ sofort die Stadt, um nicht Zeuge der Greuel zu sein, die sich nnn entspinnen mußten. Freilich mußte er schon auf der nächsten Station erfahren, daß man in der Stadt mit leichter Mühe und ohne Blutvergießen des „Volkes" Herr geworden sei. Gegen diesen Bericht erhob sich im Ausschuß keine einzige Stimme. Als einige Tage darauf Herr Blum ähnliche „viehische Austritte" vom Nassauer Militär erzählte, wurden schon einige Bedenken laut, als er aber einen Brief vorlas, worin den in Baden gegen die Republikaner angewendeten Truppen grobe Excesse zur Last gelegt wurden, brach ein allgemeiner Sturm von Seiten der conservativen Badenser gegen ihn los; was gegen die preußischen Truppen vollkommen in der Ordnung erschienen war, wurde, gegen die Badenser ange¬ wendet, als eine Art Hochverrath angesehen. Die preußischen Deputirten waren die leidenschaftlichsten in jedem Angriff auf Preußen; sie waren groß geworden im Haß des alten Systems, und „altes Sy¬ stem" und „preußische Negierung" erschien ihnen identisch. Alle andern Deputirten sprachen eben sowohl im Interesse Deutschlands, als ihres besonderen Staates — Oestreich, Sachsen, Baiern, Baden, Hannover, Braunschweig ze., nur die Preu¬ ßen nicht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/252>, abgerufen am 19.05.2024.