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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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rationalistisch gebildeten Bureaukratie, endlich des größern Theils des Volkes, durch
die Brutalität physischer Überlegenheit geltend machte. Es war die Usurpation
des Fürstendespotismus, der den Völkern ihr wohlerworbenes Recht vorenthielt
und nur zum Schein die Sophismen höfischer Advocaten, wie des Herrn v. Sa-
vigny, in der That die Bayonnette, den eben so vernünftigen als legalen Ansprüchen
der Volksvertreter entgegensetzte; es war die eitle suffisance der Romantik, die
mit echt Berliner Frivolität durch die Inspirationen ihres genialen Gemüths, d. h.
durch Berliner Witze, durch mystische Doctrinen dem gesunden Menschenverstand
zu imponiren, und wenn das nicht ging, jeden Widerspruch durch die Censur
abzuschneiden versuchte; es war der in seinem Innersten faule, ans aristokratischer
Blasirtheit aufgeschossene, reflectirte Pietismus, der mit dem Nebelflor des alten
Blödsinns das' Reich des Tages überbreiten zu wollen die Frechheit hatte. Mit
dieser fluchwürdigen Vergangenheit unbedingt und für immer zu brechen, war die
erste Pflicht der Regierung, deren Mitglieder sie in frühern Tagen mit so edler
Ausdauer und so schönem Erfolg bekämpft hatten. Diese feierliche Sühne war
die Regierung dem Volke schuldig, und daß sie sich dnrch Rücksichten der Klug¬
heit und einer etwas pedantischen Ehrlichkeit davon abhalten ließ, ist eben so wohl
ein Unrecht als ein Fehler.

Ja, die Revolution war ein Unrecht, wie jede Revolution; man kann das
nicht oft genng wiederholen. Durch Barrikaden wird die Vernunft eines politi¬
schen Prinzips nicht erwiesen, durch Emeuten ein gesetzlicher Zustand nicht herge¬
stellt. Aber auf wessen Haupt fällt dieses Unrecht! Wenn der Hochmuth eines
Einzelnen dem Willen eines gesammten Volkes seine höhere Einsicht oder sein !>in>
pluisii- entgegenstellt; wenn er das Gesetz und das Recht durch eine Jnterjection,
einen Witz, einen Anruf des Himmels und dergleichen romantische Grimassen zu
widerlegen gedenkt; wenn er in den Zeiten der furchtbarsten Noth, wo der Sturm
der Revolution von allen Seiten her über gebrochene Tempel hereinbricht, seine
Mission von Gottes Gnaden durch ein bequemes Lächeln, durch ein geistreiches
Bonmot an den Tag legt; wenn er dem edlen Zorn des Volkes, das mit Gewalt seine
Leidenschaft zurückdrängt, das mit Zähneknirschen bis zum letzten Augenblick harrt
und vertraut, durch ein aristokratisch ironisches Lächeln zu imponiren meint --
was bleibt da zuletzt dem geknechteten, in seinem Heiligsten angefochtenen und grau¬
sam verhöhnten Volke anders übrig, als seiner Natur freien Lauf zu lassen und
in der Verzweiflung blindlings um sich zu schlagen, ohne Rücksicht darauf zu neh¬
men, wen seine Schläge treffen? Es ist darum nicht weniger ein Unrecht, aber --


das eben ist der Fluch der bösen That,
daß sie fottzeugend Böses muß gebären.

Die Willkür des alten Despotismus schnitt dem gesetzlichen Fortschritt jede
Thür ab; sie setzte das gesetzliche Organ des Volkswillens zu einem Redeübnngs-
perein herab. Sie bekämpfte nicht nur den Liberalismus, sie schulmeisterte ihn;


rationalistisch gebildeten Bureaukratie, endlich des größern Theils des Volkes, durch
die Brutalität physischer Überlegenheit geltend machte. Es war die Usurpation
des Fürstendespotismus, der den Völkern ihr wohlerworbenes Recht vorenthielt
und nur zum Schein die Sophismen höfischer Advocaten, wie des Herrn v. Sa-
vigny, in der That die Bayonnette, den eben so vernünftigen als legalen Ansprüchen
der Volksvertreter entgegensetzte; es war die eitle suffisance der Romantik, die
mit echt Berliner Frivolität durch die Inspirationen ihres genialen Gemüths, d. h.
durch Berliner Witze, durch mystische Doctrinen dem gesunden Menschenverstand
zu imponiren, und wenn das nicht ging, jeden Widerspruch durch die Censur
abzuschneiden versuchte; es war der in seinem Innersten faule, ans aristokratischer
Blasirtheit aufgeschossene, reflectirte Pietismus, der mit dem Nebelflor des alten
Blödsinns das' Reich des Tages überbreiten zu wollen die Frechheit hatte. Mit
dieser fluchwürdigen Vergangenheit unbedingt und für immer zu brechen, war die
erste Pflicht der Regierung, deren Mitglieder sie in frühern Tagen mit so edler
Ausdauer und so schönem Erfolg bekämpft hatten. Diese feierliche Sühne war
die Regierung dem Volke schuldig, und daß sie sich dnrch Rücksichten der Klug¬
heit und einer etwas pedantischen Ehrlichkeit davon abhalten ließ, ist eben so wohl
ein Unrecht als ein Fehler.

Ja, die Revolution war ein Unrecht, wie jede Revolution; man kann das
nicht oft genng wiederholen. Durch Barrikaden wird die Vernunft eines politi¬
schen Prinzips nicht erwiesen, durch Emeuten ein gesetzlicher Zustand nicht herge¬
stellt. Aber auf wessen Haupt fällt dieses Unrecht! Wenn der Hochmuth eines
Einzelnen dem Willen eines gesammten Volkes seine höhere Einsicht oder sein !>in>
pluisii- entgegenstellt; wenn er das Gesetz und das Recht durch eine Jnterjection,
einen Witz, einen Anruf des Himmels und dergleichen romantische Grimassen zu
widerlegen gedenkt; wenn er in den Zeiten der furchtbarsten Noth, wo der Sturm
der Revolution von allen Seiten her über gebrochene Tempel hereinbricht, seine
Mission von Gottes Gnaden durch ein bequemes Lächeln, durch ein geistreiches
Bonmot an den Tag legt; wenn er dem edlen Zorn des Volkes, das mit Gewalt seine
Leidenschaft zurückdrängt, das mit Zähneknirschen bis zum letzten Augenblick harrt
und vertraut, durch ein aristokratisch ironisches Lächeln zu imponiren meint —
was bleibt da zuletzt dem geknechteten, in seinem Heiligsten angefochtenen und grau¬
sam verhöhnten Volke anders übrig, als seiner Natur freien Lauf zu lassen und
in der Verzweiflung blindlings um sich zu schlagen, ohne Rücksicht darauf zu neh¬
men, wen seine Schläge treffen? Es ist darum nicht weniger ein Unrecht, aber —


das eben ist der Fluch der bösen That,
daß sie fottzeugend Böses muß gebären.

Die Willkür des alten Despotismus schnitt dem gesetzlichen Fortschritt jede
Thür ab; sie setzte das gesetzliche Organ des Volkswillens zu einem Redeübnngs-
perein herab. Sie bekämpfte nicht nur den Liberalismus, sie schulmeisterte ihn;


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[0384] rationalistisch gebildeten Bureaukratie, endlich des größern Theils des Volkes, durch die Brutalität physischer Überlegenheit geltend machte. Es war die Usurpation des Fürstendespotismus, der den Völkern ihr wohlerworbenes Recht vorenthielt und nur zum Schein die Sophismen höfischer Advocaten, wie des Herrn v. Sa- vigny, in der That die Bayonnette, den eben so vernünftigen als legalen Ansprüchen der Volksvertreter entgegensetzte; es war die eitle suffisance der Romantik, die mit echt Berliner Frivolität durch die Inspirationen ihres genialen Gemüths, d. h. durch Berliner Witze, durch mystische Doctrinen dem gesunden Menschenverstand zu imponiren, und wenn das nicht ging, jeden Widerspruch durch die Censur abzuschneiden versuchte; es war der in seinem Innersten faule, ans aristokratischer Blasirtheit aufgeschossene, reflectirte Pietismus, der mit dem Nebelflor des alten Blödsinns das' Reich des Tages überbreiten zu wollen die Frechheit hatte. Mit dieser fluchwürdigen Vergangenheit unbedingt und für immer zu brechen, war die erste Pflicht der Regierung, deren Mitglieder sie in frühern Tagen mit so edler Ausdauer und so schönem Erfolg bekämpft hatten. Diese feierliche Sühne war die Regierung dem Volke schuldig, und daß sie sich dnrch Rücksichten der Klug¬ heit und einer etwas pedantischen Ehrlichkeit davon abhalten ließ, ist eben so wohl ein Unrecht als ein Fehler. Ja, die Revolution war ein Unrecht, wie jede Revolution; man kann das nicht oft genng wiederholen. Durch Barrikaden wird die Vernunft eines politi¬ schen Prinzips nicht erwiesen, durch Emeuten ein gesetzlicher Zustand nicht herge¬ stellt. Aber auf wessen Haupt fällt dieses Unrecht! Wenn der Hochmuth eines Einzelnen dem Willen eines gesammten Volkes seine höhere Einsicht oder sein !>in> pluisii- entgegenstellt; wenn er das Gesetz und das Recht durch eine Jnterjection, einen Witz, einen Anruf des Himmels und dergleichen romantische Grimassen zu widerlegen gedenkt; wenn er in den Zeiten der furchtbarsten Noth, wo der Sturm der Revolution von allen Seiten her über gebrochene Tempel hereinbricht, seine Mission von Gottes Gnaden durch ein bequemes Lächeln, durch ein geistreiches Bonmot an den Tag legt; wenn er dem edlen Zorn des Volkes, das mit Gewalt seine Leidenschaft zurückdrängt, das mit Zähneknirschen bis zum letzten Augenblick harrt und vertraut, durch ein aristokratisch ironisches Lächeln zu imponiren meint — was bleibt da zuletzt dem geknechteten, in seinem Heiligsten angefochtenen und grau¬ sam verhöhnten Volke anders übrig, als seiner Natur freien Lauf zu lassen und in der Verzweiflung blindlings um sich zu schlagen, ohne Rücksicht darauf zu neh¬ men, wen seine Schläge treffen? Es ist darum nicht weniger ein Unrecht, aber — das eben ist der Fluch der bösen That, daß sie fottzeugend Böses muß gebären. Die Willkür des alten Despotismus schnitt dem gesetzlichen Fortschritt jede Thür ab; sie setzte das gesetzliche Organ des Volkswillens zu einem Redeübnngs- perein herab. Sie bekämpfte nicht nur den Liberalismus, sie schulmeisterte ihn;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/384>, abgerufen am 19.05.2024.