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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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überflüssig und ganz geeignet, dem ohnehin unerträglichen Gerede von preußischem
Pcirticularismus auch bei diesem Falle neue Nahrung zu geben. Der Grund ist
nichtig. Es handelt sich bei diesen Versammlungen sür jetzt um eine Enquete,
eine möglichst vollständige Ergründung der Universitätsbedürfnisse und um vor¬
läufige Deklarationen über ihre Abhilfe zur Kenntniß nähme der befugten
Organe. Ohne Austrag war Michelet von Berlin erschienen. Das war wenig¬
stens lobenswert!), obwohl er Berlin so nicht vertreten konnte. Aus Oestreich
waren von Wien neun Abgeordnete erschienen, zwei andere Docenten freiwillig,
von den übrigen östreichischen Universitäten keiner.

Der größte Theil der Versammelten hatte sich vorher über die Wahl Wäch¬
ter's von Tübingen zum Präsidenten geeinigt, die sich denn auch gleich bei dem
ersten Scrutinium mit überwiegender Majorität ergab. Nun entstand die Frage:
Wer darf abstimmen? Alle oder blos die Deputaten? Einige von diesen erklär¬
ten, ihr Mandat erlaube ihnen nicht, in einer gemischten Versammlung zu stim¬
men. Bei einer Versammlung, die nicht autonom, ist der repräsentative Charakter
von untergeordneter Bedeutung. Die Aufforderung zu Wahlen konnte nur den
Zweck haben, das Zustandekommen (nicht die Zusammensetzung) der Versammlung
nicht dem Zufall zu überlassen. Indessen hob Vangerow hervor, daß auch das
moralische Gewicht der Versammlung größer sei, wenn ihre Abstimmungen als
der möglichst gleichmäßige Ausdruck der verschiedene" Universitäten gelten könnten.
Wenn die Kopfzahl gelten solle, so könne Berlin allein mit einer größern Kopfzahl
der Versammlung entgegentreten. Die Frage wurde erledigt durch die Erklärung
des größten Theils der Nichtdeputirten, freiwillig aus das Stimmrecht verzichten
zu wollen. Damit ist insofern ein gutes Präcedenz für die Zukunft aufgestellt,
als diese Versammlungen um so leichter den Uebergang zur relativen Autonomie
einer Gesammtvertretuug der Universitäten bilden werden. Man einigte sich noch
schnell über die Geschäftsordnung, um zur Hauptsache zu kommen.

Die Versammlung wäre ohne vorbereitetes Material gewesen, wenn nicht der
Rcformverein von Jena ein systematisches Reformprogramm vorgelegt und die ein¬
gegangenen Anträge an den passenden Stellen aufgeführt hätte. An dieses Pro¬
gramm mußte man sich nothgedrungen halten, wenn man nicht auseinander gehen
und einen Vorbereitungsausschuß niedersetzen wollte. Man beschäftigte sich zuerst
mit der Lehrfreiheit. Bei der Lehrfreiheit auf Universitäten handelt es sich um
die wissenschaftliche Befähigung, dann, ob ein anderes Gesetz, als das der Wissen¬
schaft, hier eingreifen darf. Diese Gesichtspunkte wurden Anfaugs der Debatte
vermengt. Später einigte man sich über den zweiten Punkt zu der Fassung: die
akademische Lehrfreiheit dürfe durch keine politischen oder polizeilichen Rücksichten
beschränkt werden. Bei dem ersten Punkt handelt es sich um die Habilitations¬
bedingungen, deren nähere Bestimmung in die Organisation der Facultäten ge¬
hört. Es entstand die Frage, ob nicht Jeder über Alles lesen dürfe. Sollte


überflüssig und ganz geeignet, dem ohnehin unerträglichen Gerede von preußischem
Pcirticularismus auch bei diesem Falle neue Nahrung zu geben. Der Grund ist
nichtig. Es handelt sich bei diesen Versammlungen sür jetzt um eine Enquete,
eine möglichst vollständige Ergründung der Universitätsbedürfnisse und um vor¬
läufige Deklarationen über ihre Abhilfe zur Kenntniß nähme der befugten
Organe. Ohne Austrag war Michelet von Berlin erschienen. Das war wenig¬
stens lobenswert!), obwohl er Berlin so nicht vertreten konnte. Aus Oestreich
waren von Wien neun Abgeordnete erschienen, zwei andere Docenten freiwillig,
von den übrigen östreichischen Universitäten keiner.

Der größte Theil der Versammelten hatte sich vorher über die Wahl Wäch¬
ter's von Tübingen zum Präsidenten geeinigt, die sich denn auch gleich bei dem
ersten Scrutinium mit überwiegender Majorität ergab. Nun entstand die Frage:
Wer darf abstimmen? Alle oder blos die Deputaten? Einige von diesen erklär¬
ten, ihr Mandat erlaube ihnen nicht, in einer gemischten Versammlung zu stim¬
men. Bei einer Versammlung, die nicht autonom, ist der repräsentative Charakter
von untergeordneter Bedeutung. Die Aufforderung zu Wahlen konnte nur den
Zweck haben, das Zustandekommen (nicht die Zusammensetzung) der Versammlung
nicht dem Zufall zu überlassen. Indessen hob Vangerow hervor, daß auch das
moralische Gewicht der Versammlung größer sei, wenn ihre Abstimmungen als
der möglichst gleichmäßige Ausdruck der verschiedene» Universitäten gelten könnten.
Wenn die Kopfzahl gelten solle, so könne Berlin allein mit einer größern Kopfzahl
der Versammlung entgegentreten. Die Frage wurde erledigt durch die Erklärung
des größten Theils der Nichtdeputirten, freiwillig aus das Stimmrecht verzichten
zu wollen. Damit ist insofern ein gutes Präcedenz für die Zukunft aufgestellt,
als diese Versammlungen um so leichter den Uebergang zur relativen Autonomie
einer Gesammtvertretuug der Universitäten bilden werden. Man einigte sich noch
schnell über die Geschäftsordnung, um zur Hauptsache zu kommen.

Die Versammlung wäre ohne vorbereitetes Material gewesen, wenn nicht der
Rcformverein von Jena ein systematisches Reformprogramm vorgelegt und die ein¬
gegangenen Anträge an den passenden Stellen aufgeführt hätte. An dieses Pro¬
gramm mußte man sich nothgedrungen halten, wenn man nicht auseinander gehen
und einen Vorbereitungsausschuß niedersetzen wollte. Man beschäftigte sich zuerst
mit der Lehrfreiheit. Bei der Lehrfreiheit auf Universitäten handelt es sich um
die wissenschaftliche Befähigung, dann, ob ein anderes Gesetz, als das der Wissen¬
schaft, hier eingreifen darf. Diese Gesichtspunkte wurden Anfaugs der Debatte
vermengt. Später einigte man sich über den zweiten Punkt zu der Fassung: die
akademische Lehrfreiheit dürfe durch keine politischen oder polizeilichen Rücksichten
beschränkt werden. Bei dem ersten Punkt handelt es sich um die Habilitations¬
bedingungen, deren nähere Bestimmung in die Organisation der Facultäten ge¬
hört. Es entstand die Frage, ob nicht Jeder über Alles lesen dürfe. Sollte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/18>, abgerufen am 17.06.2024.