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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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anzuschließen. Ans tausend einzelnen Fäden wob sich das goldene Band zwischen
dem obern und untern Donanlauf, zwischen Euren Grenzbergen und den östreichi¬
schen Alpen. Die pragmatische Sanction, das Kaiserthum Oestreich waren die
Folgen dieser Verbindung. Und in diesem Sinn seid Ihr, sind die Deutschen
im Osten ein Hauptgrund, eine wesentliche Ursache der Entstehung und Dauer
des Habsburgischen Staates. Das Bedürfniß und die treibende Kraft, welche die
Bildung eines Staates bewirken, werden auch die leitende Idee, die geschichtliche
Aufgabe dieses Staats. Der Kaiserstaat entstand, weil die böhmischen und slavi¬
schen Stämme im untern Donaugebiet so bunt durcheinander gewürfelt waren,
durch die Völkerwellen des Ostens so zerstört wurden, dnrch deutsche Cultur und
Einflüsse so bestimmt waren, daß die Entwicklung eines selbstständigen großen
Staatslebens in ihnen unmöglich und eine Verbindung mit deutscher Fürstenmacht
politische Nothwendigkeit wurde; daß Oestreich uach Auflösung des deutschen Rei¬
ches die Kaiserkrone für sich behaupten konnte, verdankt es nicht den deutschen
Provinzen, sondern seiner Ausdehnung bis an die Mündungen der Dona"; und
weil dies so war, ist auch die geschichtliche Aufgabe des Kaiserstaats, eine Ver¬
bindung deutscher Stämme mit ihren Nachbarn in der Art darzustellen, daß die
verschiedenen Völker zu der freien selbstständigen Entwicklung, zu welche ihre Art,
Sitte, Nationalität berechtigen, die Resultate deutschen Wissens und deutsche
Kraft in den Kauf erhalten. Dadurch sind auch die Verfassung, der Umfang,
die Macht Oestreichs bestimmt. Auch seine Dauer? Ja, liebe Brüder, auch
diese. Ein Staat besteht so lange, als die Nothwendigkeiten, welche ihm seinen
Ursprung geben, bestehen; so lange, als die leitende Idee, seine Seele, besteht.
Und die Nothwendigkeit, die Idee Oestreichs, sie sind jetzt so lebendig und ver¬
ständlich geworden, daß ich die feste Ueberzeugung aussprechen kann, wenn heut
dnrch ein ungeheures Schicksal der Kaiserstaat in Trümmer geschlagen würde, in
kurzem würde ein neues Reich, so ziemlich aus denselben Elementen entstehen.
Freilich nach vielen Kämpfen und Uebergängen. -- Wohl geschieht es, daß ein
Staat oder seine Regierung sich des vernünftigen Weges, den sie gehen müssen,
uicht immer bewußt sind. So ging es auch in Oestreich. Kaiser Franz, Metter-
nich und wieder die armen Tollköpfe der Wiener Barrikaden haben für die hohe
Aufgabe Oestreichs kein volles Verständniß gehabt. Daß wir weiser sind, ist nicht
unser Verdienst, die Geschichte dieses Jahres ist ein harter Lehrmeister. Vor die¬
sem Jahr gehörte ein großes Auge dazu, den vernünftigen Zweck des Kaiserstaats
zu erfassen, ein Genie, das Erkannte in That nmzuseiM, und Metternich war ein
feiner Kopf, aber ein Genie war er bekanntlich nicht, ihm und wieder seinen
Gegensatz, der Wiener Jugend war der Staat nicht viel besser als ein Konglomerat
aus Völkertrümmern, jeuer wollte conserviren, was durch die Geschichte so wunderlich
zusammengefügt war, und fand das Bindemittel im complicirten Regiment, einem
Leim, der jeden Theil besonders überzog; die Männer des Umsturzes wollten die


anzuschließen. Ans tausend einzelnen Fäden wob sich das goldene Band zwischen
dem obern und untern Donanlauf, zwischen Euren Grenzbergen und den östreichi¬
schen Alpen. Die pragmatische Sanction, das Kaiserthum Oestreich waren die
Folgen dieser Verbindung. Und in diesem Sinn seid Ihr, sind die Deutschen
im Osten ein Hauptgrund, eine wesentliche Ursache der Entstehung und Dauer
des Habsburgischen Staates. Das Bedürfniß und die treibende Kraft, welche die
Bildung eines Staates bewirken, werden auch die leitende Idee, die geschichtliche
Aufgabe dieses Staats. Der Kaiserstaat entstand, weil die böhmischen und slavi¬
schen Stämme im untern Donaugebiet so bunt durcheinander gewürfelt waren,
durch die Völkerwellen des Ostens so zerstört wurden, dnrch deutsche Cultur und
Einflüsse so bestimmt waren, daß die Entwicklung eines selbstständigen großen
Staatslebens in ihnen unmöglich und eine Verbindung mit deutscher Fürstenmacht
politische Nothwendigkeit wurde; daß Oestreich uach Auflösung des deutschen Rei¬
ches die Kaiserkrone für sich behaupten konnte, verdankt es nicht den deutschen
Provinzen, sondern seiner Ausdehnung bis an die Mündungen der Dona»; und
weil dies so war, ist auch die geschichtliche Aufgabe des Kaiserstaats, eine Ver¬
bindung deutscher Stämme mit ihren Nachbarn in der Art darzustellen, daß die
verschiedenen Völker zu der freien selbstständigen Entwicklung, zu welche ihre Art,
Sitte, Nationalität berechtigen, die Resultate deutschen Wissens und deutsche
Kraft in den Kauf erhalten. Dadurch sind auch die Verfassung, der Umfang,
die Macht Oestreichs bestimmt. Auch seine Dauer? Ja, liebe Brüder, auch
diese. Ein Staat besteht so lange, als die Nothwendigkeiten, welche ihm seinen
Ursprung geben, bestehen; so lange, als die leitende Idee, seine Seele, besteht.
Und die Nothwendigkeit, die Idee Oestreichs, sie sind jetzt so lebendig und ver¬
ständlich geworden, daß ich die feste Ueberzeugung aussprechen kann, wenn heut
dnrch ein ungeheures Schicksal der Kaiserstaat in Trümmer geschlagen würde, in
kurzem würde ein neues Reich, so ziemlich aus denselben Elementen entstehen.
Freilich nach vielen Kämpfen und Uebergängen. — Wohl geschieht es, daß ein
Staat oder seine Regierung sich des vernünftigen Weges, den sie gehen müssen,
uicht immer bewußt sind. So ging es auch in Oestreich. Kaiser Franz, Metter-
nich und wieder die armen Tollköpfe der Wiener Barrikaden haben für die hohe
Aufgabe Oestreichs kein volles Verständniß gehabt. Daß wir weiser sind, ist nicht
unser Verdienst, die Geschichte dieses Jahres ist ein harter Lehrmeister. Vor die¬
sem Jahr gehörte ein großes Auge dazu, den vernünftigen Zweck des Kaiserstaats
zu erfassen, ein Genie, das Erkannte in That nmzuseiM, und Metternich war ein
feiner Kopf, aber ein Genie war er bekanntlich nicht, ihm und wieder seinen
Gegensatz, der Wiener Jugend war der Staat nicht viel besser als ein Konglomerat
aus Völkertrümmern, jeuer wollte conserviren, was durch die Geschichte so wunderlich
zusammengefügt war, und fand das Bindemittel im complicirten Regiment, einem
Leim, der jeden Theil besonders überzog; die Männer des Umsturzes wollten die


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[0218] anzuschließen. Ans tausend einzelnen Fäden wob sich das goldene Band zwischen dem obern und untern Donanlauf, zwischen Euren Grenzbergen und den östreichi¬ schen Alpen. Die pragmatische Sanction, das Kaiserthum Oestreich waren die Folgen dieser Verbindung. Und in diesem Sinn seid Ihr, sind die Deutschen im Osten ein Hauptgrund, eine wesentliche Ursache der Entstehung und Dauer des Habsburgischen Staates. Das Bedürfniß und die treibende Kraft, welche die Bildung eines Staates bewirken, werden auch die leitende Idee, die geschichtliche Aufgabe dieses Staats. Der Kaiserstaat entstand, weil die böhmischen und slavi¬ schen Stämme im untern Donaugebiet so bunt durcheinander gewürfelt waren, durch die Völkerwellen des Ostens so zerstört wurden, dnrch deutsche Cultur und Einflüsse so bestimmt waren, daß die Entwicklung eines selbstständigen großen Staatslebens in ihnen unmöglich und eine Verbindung mit deutscher Fürstenmacht politische Nothwendigkeit wurde; daß Oestreich uach Auflösung des deutschen Rei¬ ches die Kaiserkrone für sich behaupten konnte, verdankt es nicht den deutschen Provinzen, sondern seiner Ausdehnung bis an die Mündungen der Dona»; und weil dies so war, ist auch die geschichtliche Aufgabe des Kaiserstaats, eine Ver¬ bindung deutscher Stämme mit ihren Nachbarn in der Art darzustellen, daß die verschiedenen Völker zu der freien selbstständigen Entwicklung, zu welche ihre Art, Sitte, Nationalität berechtigen, die Resultate deutschen Wissens und deutsche Kraft in den Kauf erhalten. Dadurch sind auch die Verfassung, der Umfang, die Macht Oestreichs bestimmt. Auch seine Dauer? Ja, liebe Brüder, auch diese. Ein Staat besteht so lange, als die Nothwendigkeiten, welche ihm seinen Ursprung geben, bestehen; so lange, als die leitende Idee, seine Seele, besteht. Und die Nothwendigkeit, die Idee Oestreichs, sie sind jetzt so lebendig und ver¬ ständlich geworden, daß ich die feste Ueberzeugung aussprechen kann, wenn heut dnrch ein ungeheures Schicksal der Kaiserstaat in Trümmer geschlagen würde, in kurzem würde ein neues Reich, so ziemlich aus denselben Elementen entstehen. Freilich nach vielen Kämpfen und Uebergängen. — Wohl geschieht es, daß ein Staat oder seine Regierung sich des vernünftigen Weges, den sie gehen müssen, uicht immer bewußt sind. So ging es auch in Oestreich. Kaiser Franz, Metter- nich und wieder die armen Tollköpfe der Wiener Barrikaden haben für die hohe Aufgabe Oestreichs kein volles Verständniß gehabt. Daß wir weiser sind, ist nicht unser Verdienst, die Geschichte dieses Jahres ist ein harter Lehrmeister. Vor die¬ sem Jahr gehörte ein großes Auge dazu, den vernünftigen Zweck des Kaiserstaats zu erfassen, ein Genie, das Erkannte in That nmzuseiM, und Metternich war ein feiner Kopf, aber ein Genie war er bekanntlich nicht, ihm und wieder seinen Gegensatz, der Wiener Jugend war der Staat nicht viel besser als ein Konglomerat aus Völkertrümmern, jeuer wollte conserviren, was durch die Geschichte so wunderlich zusammengefügt war, und fand das Bindemittel im complicirten Regiment, einem Leim, der jeden Theil besonders überzog; die Männer des Umsturzes wollten die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/218>, abgerufen am 10.06.2024.