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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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und große Gewandtheit in der Stellung der Fragen. Bei der Betrachtung Wäch¬
ter's wurde mir ein Zug recht deutlich, welcher die Norddeutschen, besonders die
Preußen den Süddeutschen so verhaßt macht. Eine so gewiegte Persönlichkeit wie
Wächter, wird als Norddeutscher mit einem ganz andern Aplomb in der Erschei¬
nung austreten. Das Aeußere wird, sest, straff, determinirt, sogleich ein supe-
riores Bewußtsein verrathen. Wächter bewegte sich mit der größten Nonchalance
und Bequemlichkeit bei einem unscheinbaren Aeußern. Den Süddeutschen ist Nichts
so verhaßt, als eine Persönlichkeit, in der sich Bestimmtheit dnrch ein Allgemei¬
nes, Tendenz, ausprägt. Ihr uncultivirtes Schamgefühl läßt ihnen jede erhöhte
Form als Affectation erscheinen. Man soll so unmittelbar sein als möglich. Da¬
her trifft man in Süddeutschland entweder rohe Gesellen, maulende Murrköpfe,
oder sehr liebenswürdige Leute, solche nämlich, bei denen die convennonelle Form
natürlicher Ausfluß der-Humanität oder Bonhommie ist. Zu diesen gehört Wäch¬
ter. Wächter ist nicht, wie der selige Atta Troll, "kein Talent, doch ein Charak¬
ter," sondern umgekehrt. Obwohl frivoler Weltmann, machte er sich als Kanz¬
ler von Tübingen zum Organ der pietistischer Hofpartci (des Hofpredigers Grün-
eisen) und unterdrückte die freie Philosophie. Dabei suchte er sich auf alle Weise
die Gunst des Thronfolgers zu erwerben. Er ist daher in Würtemberg neuer¬
dings stark discreditirt. Die allgemeine Auszeichnung auf dieser Versammlung
war ihm deshalb überraschend und im höchsten Grade wohlthuend. Er sprach
dies in einem Toast etwa folgendermaßen aus: "In unsern Tagen wird man
heute vergöttert, morgen in Stücke gerissen. Wenn ich erlebe, was uns Allen
passiren kann, daß mir der Kopf vor die Füße gelegt werden soll, so wird mich
das Bewußtsein trösten, von einer solchen Versammlung anerkannt worden zu sein,
deren Urtheil einen ganz andern Werth hat, als die flüchtige Laune des Tages."
Nun das Massacriren wird wohl durch die brutalen Gelüste unserer Demagogen
allein noch nicht permanent werden, und Männer wie Wächter haben nothwendi¬
gerweise noch eine Zukunft. Verstand und Kenntnisse sind zu selteu und zu un¬
entbehrlich, als daß man so wählerisch sein dürste, sie wegen zweifelhafter Ante-
cedenzien irgendwo zu verwerfen. Einen Tribut an sittlicher Verderbniß mußten
fast Alle der alten Zeit abtragen, die ihr zu lange angehörten. Diese Männer
können sich reinigen und am Ausbau der neuen Zeit mitarbeiten. Dem Verstand
kann man trauen, denn er wird auf das Mögliche, Haltbare bedroht sein, wäh¬
rend die boshaften und heuchlerischen Demagogen das Unsinnigste fordern mit dem
Gedanken: -tprv8 unus lo et",'l>ig'o.

Neben Wächter zeigte sich Vangerow als das bedeutendste Talent. Dieser
berühmte Pandckteulehrer besitzt eine seltene Frische und Ursprünglichkeit der gei¬
stigen Kraft. Er traf immer den Nagel auf den Kopf. Nur ist er für die par¬
lamentarische Praxis zu ungeduldig. Er wollte immer dazwischen springen, wenn


und große Gewandtheit in der Stellung der Fragen. Bei der Betrachtung Wäch¬
ter's wurde mir ein Zug recht deutlich, welcher die Norddeutschen, besonders die
Preußen den Süddeutschen so verhaßt macht. Eine so gewiegte Persönlichkeit wie
Wächter, wird als Norddeutscher mit einem ganz andern Aplomb in der Erschei¬
nung austreten. Das Aeußere wird, sest, straff, determinirt, sogleich ein supe-
riores Bewußtsein verrathen. Wächter bewegte sich mit der größten Nonchalance
und Bequemlichkeit bei einem unscheinbaren Aeußern. Den Süddeutschen ist Nichts
so verhaßt, als eine Persönlichkeit, in der sich Bestimmtheit dnrch ein Allgemei¬
nes, Tendenz, ausprägt. Ihr uncultivirtes Schamgefühl läßt ihnen jede erhöhte
Form als Affectation erscheinen. Man soll so unmittelbar sein als möglich. Da¬
her trifft man in Süddeutschland entweder rohe Gesellen, maulende Murrköpfe,
oder sehr liebenswürdige Leute, solche nämlich, bei denen die convennonelle Form
natürlicher Ausfluß der-Humanität oder Bonhommie ist. Zu diesen gehört Wäch¬
ter. Wächter ist nicht, wie der selige Atta Troll, „kein Talent, doch ein Charak¬
ter," sondern umgekehrt. Obwohl frivoler Weltmann, machte er sich als Kanz¬
ler von Tübingen zum Organ der pietistischer Hofpartci (des Hofpredigers Grün-
eisen) und unterdrückte die freie Philosophie. Dabei suchte er sich auf alle Weise
die Gunst des Thronfolgers zu erwerben. Er ist daher in Würtemberg neuer¬
dings stark discreditirt. Die allgemeine Auszeichnung auf dieser Versammlung
war ihm deshalb überraschend und im höchsten Grade wohlthuend. Er sprach
dies in einem Toast etwa folgendermaßen aus: „In unsern Tagen wird man
heute vergöttert, morgen in Stücke gerissen. Wenn ich erlebe, was uns Allen
passiren kann, daß mir der Kopf vor die Füße gelegt werden soll, so wird mich
das Bewußtsein trösten, von einer solchen Versammlung anerkannt worden zu sein,
deren Urtheil einen ganz andern Werth hat, als die flüchtige Laune des Tages."
Nun das Massacriren wird wohl durch die brutalen Gelüste unserer Demagogen
allein noch nicht permanent werden, und Männer wie Wächter haben nothwendi¬
gerweise noch eine Zukunft. Verstand und Kenntnisse sind zu selteu und zu un¬
entbehrlich, als daß man so wählerisch sein dürste, sie wegen zweifelhafter Ante-
cedenzien irgendwo zu verwerfen. Einen Tribut an sittlicher Verderbniß mußten
fast Alle der alten Zeit abtragen, die ihr zu lange angehörten. Diese Männer
können sich reinigen und am Ausbau der neuen Zeit mitarbeiten. Dem Verstand
kann man trauen, denn er wird auf das Mögliche, Haltbare bedroht sein, wäh¬
rend die boshaften und heuchlerischen Demagogen das Unsinnigste fordern mit dem
Gedanken: -tprv8 unus lo et«,'l>ig'o.

Neben Wächter zeigte sich Vangerow als das bedeutendste Talent. Dieser
berühmte Pandckteulehrer besitzt eine seltene Frische und Ursprünglichkeit der gei¬
stigen Kraft. Er traf immer den Nagel auf den Kopf. Nur ist er für die par¬
lamentarische Praxis zu ungeduldig. Er wollte immer dazwischen springen, wenn


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[0022] und große Gewandtheit in der Stellung der Fragen. Bei der Betrachtung Wäch¬ ter's wurde mir ein Zug recht deutlich, welcher die Norddeutschen, besonders die Preußen den Süddeutschen so verhaßt macht. Eine so gewiegte Persönlichkeit wie Wächter, wird als Norddeutscher mit einem ganz andern Aplomb in der Erschei¬ nung austreten. Das Aeußere wird, sest, straff, determinirt, sogleich ein supe- riores Bewußtsein verrathen. Wächter bewegte sich mit der größten Nonchalance und Bequemlichkeit bei einem unscheinbaren Aeußern. Den Süddeutschen ist Nichts so verhaßt, als eine Persönlichkeit, in der sich Bestimmtheit dnrch ein Allgemei¬ nes, Tendenz, ausprägt. Ihr uncultivirtes Schamgefühl läßt ihnen jede erhöhte Form als Affectation erscheinen. Man soll so unmittelbar sein als möglich. Da¬ her trifft man in Süddeutschland entweder rohe Gesellen, maulende Murrköpfe, oder sehr liebenswürdige Leute, solche nämlich, bei denen die convennonelle Form natürlicher Ausfluß der-Humanität oder Bonhommie ist. Zu diesen gehört Wäch¬ ter. Wächter ist nicht, wie der selige Atta Troll, „kein Talent, doch ein Charak¬ ter," sondern umgekehrt. Obwohl frivoler Weltmann, machte er sich als Kanz¬ ler von Tübingen zum Organ der pietistischer Hofpartci (des Hofpredigers Grün- eisen) und unterdrückte die freie Philosophie. Dabei suchte er sich auf alle Weise die Gunst des Thronfolgers zu erwerben. Er ist daher in Würtemberg neuer¬ dings stark discreditirt. Die allgemeine Auszeichnung auf dieser Versammlung war ihm deshalb überraschend und im höchsten Grade wohlthuend. Er sprach dies in einem Toast etwa folgendermaßen aus: „In unsern Tagen wird man heute vergöttert, morgen in Stücke gerissen. Wenn ich erlebe, was uns Allen passiren kann, daß mir der Kopf vor die Füße gelegt werden soll, so wird mich das Bewußtsein trösten, von einer solchen Versammlung anerkannt worden zu sein, deren Urtheil einen ganz andern Werth hat, als die flüchtige Laune des Tages." Nun das Massacriren wird wohl durch die brutalen Gelüste unserer Demagogen allein noch nicht permanent werden, und Männer wie Wächter haben nothwendi¬ gerweise noch eine Zukunft. Verstand und Kenntnisse sind zu selteu und zu un¬ entbehrlich, als daß man so wählerisch sein dürste, sie wegen zweifelhafter Ante- cedenzien irgendwo zu verwerfen. Einen Tribut an sittlicher Verderbniß mußten fast Alle der alten Zeit abtragen, die ihr zu lange angehörten. Diese Männer können sich reinigen und am Ausbau der neuen Zeit mitarbeiten. Dem Verstand kann man trauen, denn er wird auf das Mögliche, Haltbare bedroht sein, wäh¬ rend die boshaften und heuchlerischen Demagogen das Unsinnigste fordern mit dem Gedanken: -tprv8 unus lo et«,'l>ig'o. Neben Wächter zeigte sich Vangerow als das bedeutendste Talent. Dieser berühmte Pandckteulehrer besitzt eine seltene Frische und Ursprünglichkeit der gei¬ stigen Kraft. Er traf immer den Nagel auf den Kopf. Nur ist er für die par¬ lamentarische Praxis zu ungeduldig. Er wollte immer dazwischen springen, wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/22>, abgerufen am 17.06.2024.