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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Holzschnitt-Scenen mit den Prinzen von Marokko und Aragonien nehmen sich
albern aus, das fortwährende Wechseln der Scene, wenn so wenig als möglich
vorgegangen ist, ermüdet, von den Episoden mit Lanzelot und seinem Vater wird
auch wohl der unbedingteste Verehrer Shakespeare's nicht angeben können, was
sie eigentlich sollen, der letzte Act endlich ist entschieden langweilig; nach Shylock's
Abtreten, nach dem Fallen des Vorhangs, sich noch einmal zu versammeln, um
einige zierliche Witze zu hören, dazu hat ein Sohn des neunzehnten Jahrhunderts
nicht mehr die Geduld.

Die Romantiker meinten, ein solches "Aussnmmen" des Tons sei zur Be¬
ruhigung des Gemüths nothwendig. Es wäre nichts dagegen zu sagen, wenn das
Aussummen unmittelbar dem letzten Accord folgte, aber zum Behuf des Aus-
summens eine neue Melodie anzufangen, das hat keine Berechtigung. Kuranda
hat nach meiner Ansicht die richtige Erklärung gegeben. Für uns wird Shylock
die Hauptfigur, um welche die Handlung sich dreht; wenn er abgefertigt ist, ha¬
ben wir kein Interesse mehr. So sollte es eigentlich nicht sein. Shylock war
die komische Episode eines zierlichen Konversationsstücks, der Buffo, der gar nicht
irgend ein sittliches Interesse erregen sollte, über den mau uur lachen durste und
der dann, nachdem er die nöthige Anzahl Grimassen geschnitten hatte, mit einem
Fußtritt beseitigt wurde. Es lag in des Dichters großer Conception, daß er
auch den bloßen Hanswurst nicht anders geben mochte, als daß er die Idee seiner
relativen Berechtigung hineinlegte. Die tragische Idee, die im Judenthum un¬
mittelbar mit der lächerlichen Seite desselben verwachsen ist, hat im Laufe der
Zeit, wo man mehr und mehr sich gewöhnte, die Judenfrage von der menschlichen
Seite zu betrachten, die übrigen Momente des Dramas zurückgedrängt.

Wir haben nnn die Juden emancipirt, sie sind nicht mehr die Parias aller
Nationen, und es läßt sich erwarten, wenn auch noch einige Generationen vorüber
gehen sollten, daß das specifische Judenthum aufhören wird. Der ewige Jude
wird eingehen zu seinen Vätern, ohne deshalb, wie im Roman von Eugen Sue,
nach Sibirien flüchten zu dürfen, es wird aus ihm eine bloß historische Person
werden. Es ist daher jetzt an der Zeit, zu untersuchen, wie weit seine Existenz
eine berechtigte war -- in ästhetischem Sinn meine ich, denn sein geschichtliches
Recht geht uns hier nichts an.

Der Charakter des Judenthums beginnt nicht erst mit der Zerstörung Jeru¬
salems, mit der Zerstreuung des auserwählten Volks durch alle Nationen. Frei¬
lich kam erst da das Wesen zu seiner angemessenen Erscheinung; der wunderbare
Schatten von unglaublicher Zähigkeit und Konsistenz, obgleich er seinen Körper
verloren hatte, das Volk der reinen Verheißung, der Abstraktion und der Trauer,
das aber durch beides sich nicht verhindern ließ, im Praktischen sehr gewitzt auf
alles Detail einzugehen. Dieser Dualismus zwischen der abstrakten Unendlich¬
keit und dem geistlosen Haften am Endlichen, macht sich eben so in seiner frühern


Holzschnitt-Scenen mit den Prinzen von Marokko und Aragonien nehmen sich
albern aus, das fortwährende Wechseln der Scene, wenn so wenig als möglich
vorgegangen ist, ermüdet, von den Episoden mit Lanzelot und seinem Vater wird
auch wohl der unbedingteste Verehrer Shakespeare's nicht angeben können, was
sie eigentlich sollen, der letzte Act endlich ist entschieden langweilig; nach Shylock's
Abtreten, nach dem Fallen des Vorhangs, sich noch einmal zu versammeln, um
einige zierliche Witze zu hören, dazu hat ein Sohn des neunzehnten Jahrhunderts
nicht mehr die Geduld.

Die Romantiker meinten, ein solches „Aussnmmen" des Tons sei zur Be¬
ruhigung des Gemüths nothwendig. Es wäre nichts dagegen zu sagen, wenn das
Aussummen unmittelbar dem letzten Accord folgte, aber zum Behuf des Aus-
summens eine neue Melodie anzufangen, das hat keine Berechtigung. Kuranda
hat nach meiner Ansicht die richtige Erklärung gegeben. Für uns wird Shylock
die Hauptfigur, um welche die Handlung sich dreht; wenn er abgefertigt ist, ha¬
ben wir kein Interesse mehr. So sollte es eigentlich nicht sein. Shylock war
die komische Episode eines zierlichen Konversationsstücks, der Buffo, der gar nicht
irgend ein sittliches Interesse erregen sollte, über den mau uur lachen durste und
der dann, nachdem er die nöthige Anzahl Grimassen geschnitten hatte, mit einem
Fußtritt beseitigt wurde. Es lag in des Dichters großer Conception, daß er
auch den bloßen Hanswurst nicht anders geben mochte, als daß er die Idee seiner
relativen Berechtigung hineinlegte. Die tragische Idee, die im Judenthum un¬
mittelbar mit der lächerlichen Seite desselben verwachsen ist, hat im Laufe der
Zeit, wo man mehr und mehr sich gewöhnte, die Judenfrage von der menschlichen
Seite zu betrachten, die übrigen Momente des Dramas zurückgedrängt.

Wir haben nnn die Juden emancipirt, sie sind nicht mehr die Parias aller
Nationen, und es läßt sich erwarten, wenn auch noch einige Generationen vorüber
gehen sollten, daß das specifische Judenthum aufhören wird. Der ewige Jude
wird eingehen zu seinen Vätern, ohne deshalb, wie im Roman von Eugen Sue,
nach Sibirien flüchten zu dürfen, es wird aus ihm eine bloß historische Person
werden. Es ist daher jetzt an der Zeit, zu untersuchen, wie weit seine Existenz
eine berechtigte war — in ästhetischem Sinn meine ich, denn sein geschichtliches
Recht geht uns hier nichts an.

Der Charakter des Judenthums beginnt nicht erst mit der Zerstörung Jeru¬
salems, mit der Zerstreuung des auserwählten Volks durch alle Nationen. Frei¬
lich kam erst da das Wesen zu seiner angemessenen Erscheinung; der wunderbare
Schatten von unglaublicher Zähigkeit und Konsistenz, obgleich er seinen Körper
verloren hatte, das Volk der reinen Verheißung, der Abstraktion und der Trauer,
das aber durch beides sich nicht verhindern ließ, im Praktischen sehr gewitzt auf
alles Detail einzugehen. Dieser Dualismus zwischen der abstrakten Unendlich¬
keit und dem geistlosen Haften am Endlichen, macht sich eben so in seiner frühern


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[0024] Holzschnitt-Scenen mit den Prinzen von Marokko und Aragonien nehmen sich albern aus, das fortwährende Wechseln der Scene, wenn so wenig als möglich vorgegangen ist, ermüdet, von den Episoden mit Lanzelot und seinem Vater wird auch wohl der unbedingteste Verehrer Shakespeare's nicht angeben können, was sie eigentlich sollen, der letzte Act endlich ist entschieden langweilig; nach Shylock's Abtreten, nach dem Fallen des Vorhangs, sich noch einmal zu versammeln, um einige zierliche Witze zu hören, dazu hat ein Sohn des neunzehnten Jahrhunderts nicht mehr die Geduld. Die Romantiker meinten, ein solches „Aussnmmen" des Tons sei zur Be¬ ruhigung des Gemüths nothwendig. Es wäre nichts dagegen zu sagen, wenn das Aussummen unmittelbar dem letzten Accord folgte, aber zum Behuf des Aus- summens eine neue Melodie anzufangen, das hat keine Berechtigung. Kuranda hat nach meiner Ansicht die richtige Erklärung gegeben. Für uns wird Shylock die Hauptfigur, um welche die Handlung sich dreht; wenn er abgefertigt ist, ha¬ ben wir kein Interesse mehr. So sollte es eigentlich nicht sein. Shylock war die komische Episode eines zierlichen Konversationsstücks, der Buffo, der gar nicht irgend ein sittliches Interesse erregen sollte, über den mau uur lachen durste und der dann, nachdem er die nöthige Anzahl Grimassen geschnitten hatte, mit einem Fußtritt beseitigt wurde. Es lag in des Dichters großer Conception, daß er auch den bloßen Hanswurst nicht anders geben mochte, als daß er die Idee seiner relativen Berechtigung hineinlegte. Die tragische Idee, die im Judenthum un¬ mittelbar mit der lächerlichen Seite desselben verwachsen ist, hat im Laufe der Zeit, wo man mehr und mehr sich gewöhnte, die Judenfrage von der menschlichen Seite zu betrachten, die übrigen Momente des Dramas zurückgedrängt. Wir haben nnn die Juden emancipirt, sie sind nicht mehr die Parias aller Nationen, und es läßt sich erwarten, wenn auch noch einige Generationen vorüber gehen sollten, daß das specifische Judenthum aufhören wird. Der ewige Jude wird eingehen zu seinen Vätern, ohne deshalb, wie im Roman von Eugen Sue, nach Sibirien flüchten zu dürfen, es wird aus ihm eine bloß historische Person werden. Es ist daher jetzt an der Zeit, zu untersuchen, wie weit seine Existenz eine berechtigte war — in ästhetischem Sinn meine ich, denn sein geschichtliches Recht geht uns hier nichts an. Der Charakter des Judenthums beginnt nicht erst mit der Zerstörung Jeru¬ salems, mit der Zerstreuung des auserwählten Volks durch alle Nationen. Frei¬ lich kam erst da das Wesen zu seiner angemessenen Erscheinung; der wunderbare Schatten von unglaublicher Zähigkeit und Konsistenz, obgleich er seinen Körper verloren hatte, das Volk der reinen Verheißung, der Abstraktion und der Trauer, das aber durch beides sich nicht verhindern ließ, im Praktischen sehr gewitzt auf alles Detail einzugehen. Dieser Dualismus zwischen der abstrakten Unendlich¬ keit und dem geistlosen Haften am Endlichen, macht sich eben so in seiner frühern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/24>, abgerufen am 17.06.2024.