Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Diese eine Seite der Revolution stellen ihre Anhänger gewöhnlich in den
Vordergrund. In der Berliner Singakademie sagte Herr Woll heim, einer der
Staatsweisen, die über Preußens Zukunft zu Rath sitzen: "Eine Revolution hat
in der Regel Nichts mit Gemüthlichkeit zu thun, sie geht nicht aus der Pietät,
sondern aus der Vernunft hervor, uicht aus der Zügellosigkeit oder Ueber-
spannung, sondern aus der Vernunft des neuen Menschenrechtes. Auf diesem
Standpunkt befinden wir uns."

Wer an die unbefangene Anschauung des Concreten gewöhnt ist, wird in
solchen Phrasen nichts weiter finden, als einen Ausfluß des heiligen Geistes von
Bedlam, der oft genng seine segnenden Schwingen über diesem hohen Staats¬
körper ausgebreitet hat. Aber in Zeiten der universellen Verwirrung, wie die unsrige,
muß mau kenne", scharf zu abstrahirei^ um auch dem Unsinn sein relatives Recht
zu lassen. Das Ideal, die productive Macht der Revolution, entspringt aller?
dings ans einer Kritik des Begriffs.

Aber diese Kritik wird nur dadurch That, daß sie in Leidenschaft, übergeht.
Der weitere Verlauf der Revolution, die in ihrem Ursprung geistiger zu sein
schien, als ihr Gegensatz, fällt dem Naturgesetz in seiner schlimmsten Bedeutung
anheim, wie die Flamme, die sich zuerst ebenfalls sehr spiritualistisch und kritisch
gegen die Naturwüchsigkeit des Bestehenden verhält.

Im gewöhnlichen Leben ist wohl der Einzelne berufen, sich frei zu verhalten
dem Gesetz gegenüber, je nach dem Maß seiner Genialität oder seines Eigensinns;
die Masse dagegen wird durch deu gesunden Menschenverstand geleitet, d. h. von
den Regeln der Gewohnheit. In der Revolution reißt die Masse diese Freiheit
an sich, das kann sie aber, da ihr die wirkliche Freiheit der Genialität fehlt, nur
durch blinde Hingebung an irgend eine Abstractiv", die sich ihr bei ihrem unkriti¬
schen Wesen in eine Phrase verwandelt. Was man Konvenienz nennt, ist freilich
gleichfalls die Macht der Phrasen, aber diese haben ihren Boden im Gegebenen;
die Phrasen der revolutionären Eouvenienz finden ihren Inhalt nur im Gegensatz
zu demselben.

Ein wunderliches Verhältniß entspringt nun dadurch, daß in der Masse die
nur scheinbar überwundene naturwüchsige Convenienz im Stillen sortoperirt, neben
jener künstlichen, spiritualistischen Convenieiiz. So glaubt man z. B. an die Volks-
souveränität, die alle Entscheidung in den bloßen Willen des Volks legt und
die daher den Begriff des Gesetzes, an welchem der bloße Wille sich brechen soll,
aufhebt, und doch schwebt auch wieder die Idee der Gesetzlichkeit vor, so daß man
in demselben Augenblick das gesammte Gesetz durch die Revolution für aufgehoben
erklärt, und doch wieder von einem "ungesetzliche"" Schritte der Krone spricht
ans alter Gewohnheit. Man pocht auf die geschehene Revolution als auf ein
historisches Recht, d. h. man proclamirt den Zustand der reinen Gewalt und
will dann mit dem Schalten einer früheren Gewalt gegen die neue Gewalt zu


Diese eine Seite der Revolution stellen ihre Anhänger gewöhnlich in den
Vordergrund. In der Berliner Singakademie sagte Herr Woll heim, einer der
Staatsweisen, die über Preußens Zukunft zu Rath sitzen: „Eine Revolution hat
in der Regel Nichts mit Gemüthlichkeit zu thun, sie geht nicht aus der Pietät,
sondern aus der Vernunft hervor, uicht aus der Zügellosigkeit oder Ueber-
spannung, sondern aus der Vernunft des neuen Menschenrechtes. Auf diesem
Standpunkt befinden wir uns."

Wer an die unbefangene Anschauung des Concreten gewöhnt ist, wird in
solchen Phrasen nichts weiter finden, als einen Ausfluß des heiligen Geistes von
Bedlam, der oft genng seine segnenden Schwingen über diesem hohen Staats¬
körper ausgebreitet hat. Aber in Zeiten der universellen Verwirrung, wie die unsrige,
muß mau kenne», scharf zu abstrahirei^ um auch dem Unsinn sein relatives Recht
zu lassen. Das Ideal, die productive Macht der Revolution, entspringt aller?
dings ans einer Kritik des Begriffs.

Aber diese Kritik wird nur dadurch That, daß sie in Leidenschaft, übergeht.
Der weitere Verlauf der Revolution, die in ihrem Ursprung geistiger zu sein
schien, als ihr Gegensatz, fällt dem Naturgesetz in seiner schlimmsten Bedeutung
anheim, wie die Flamme, die sich zuerst ebenfalls sehr spiritualistisch und kritisch
gegen die Naturwüchsigkeit des Bestehenden verhält.

Im gewöhnlichen Leben ist wohl der Einzelne berufen, sich frei zu verhalten
dem Gesetz gegenüber, je nach dem Maß seiner Genialität oder seines Eigensinns;
die Masse dagegen wird durch deu gesunden Menschenverstand geleitet, d. h. von
den Regeln der Gewohnheit. In der Revolution reißt die Masse diese Freiheit
an sich, das kann sie aber, da ihr die wirkliche Freiheit der Genialität fehlt, nur
durch blinde Hingebung an irgend eine Abstractiv», die sich ihr bei ihrem unkriti¬
schen Wesen in eine Phrase verwandelt. Was man Konvenienz nennt, ist freilich
gleichfalls die Macht der Phrasen, aber diese haben ihren Boden im Gegebenen;
die Phrasen der revolutionären Eouvenienz finden ihren Inhalt nur im Gegensatz
zu demselben.

Ein wunderliches Verhältniß entspringt nun dadurch, daß in der Masse die
nur scheinbar überwundene naturwüchsige Convenienz im Stillen sortoperirt, neben
jener künstlichen, spiritualistischen Convenieiiz. So glaubt man z. B. an die Volks-
souveränität, die alle Entscheidung in den bloßen Willen des Volks legt und
die daher den Begriff des Gesetzes, an welchem der bloße Wille sich brechen soll,
aufhebt, und doch schwebt auch wieder die Idee der Gesetzlichkeit vor, so daß man
in demselben Augenblick das gesammte Gesetz durch die Revolution für aufgehoben
erklärt, und doch wieder von einem „ungesetzliche»" Schritte der Krone spricht
ans alter Gewohnheit. Man pocht auf die geschehene Revolution als auf ein
historisches Recht, d. h. man proclamirt den Zustand der reinen Gewalt und
will dann mit dem Schalten einer früheren Gewalt gegen die neue Gewalt zu


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0258" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/277014"/>
          <p xml:id="ID_737"> Diese eine Seite der Revolution stellen ihre Anhänger gewöhnlich in den<lb/>
Vordergrund. In der Berliner Singakademie sagte Herr Woll heim, einer der<lb/>
Staatsweisen, die über Preußens Zukunft zu Rath sitzen: &#x201E;Eine Revolution hat<lb/>
in der Regel Nichts mit Gemüthlichkeit zu thun, sie geht nicht aus der Pietät,<lb/>
sondern aus der Vernunft hervor, uicht aus der Zügellosigkeit oder Ueber-<lb/>
spannung, sondern aus der Vernunft des neuen Menschenrechtes. Auf diesem<lb/>
Standpunkt befinden wir uns."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_738"> Wer an die unbefangene Anschauung des Concreten gewöhnt ist, wird in<lb/>
solchen Phrasen nichts weiter finden, als einen Ausfluß des heiligen Geistes von<lb/>
Bedlam, der oft genng seine segnenden Schwingen über diesem hohen Staats¬<lb/>
körper ausgebreitet hat. Aber in Zeiten der universellen Verwirrung, wie die unsrige,<lb/>
muß mau kenne», scharf zu abstrahirei^ um auch dem Unsinn sein relatives Recht<lb/>
zu lassen. Das Ideal, die productive Macht der Revolution, entspringt aller?<lb/>
dings ans einer Kritik des Begriffs.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_739"> Aber diese Kritik wird nur dadurch That, daß sie in Leidenschaft, übergeht.<lb/>
Der weitere Verlauf der Revolution, die in ihrem Ursprung geistiger zu sein<lb/>
schien, als ihr Gegensatz, fällt dem Naturgesetz in seiner schlimmsten Bedeutung<lb/>
anheim, wie die Flamme, die sich zuerst ebenfalls sehr spiritualistisch und kritisch<lb/>
gegen die Naturwüchsigkeit des Bestehenden verhält.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_740"> Im gewöhnlichen Leben ist wohl der Einzelne berufen, sich frei zu verhalten<lb/>
dem Gesetz gegenüber, je nach dem Maß seiner Genialität oder seines Eigensinns;<lb/>
die Masse dagegen wird durch deu gesunden Menschenverstand geleitet, d. h. von<lb/>
den Regeln der Gewohnheit. In der Revolution reißt die Masse diese Freiheit<lb/>
an sich, das kann sie aber, da ihr die wirkliche Freiheit der Genialität fehlt, nur<lb/>
durch blinde Hingebung an irgend eine Abstractiv», die sich ihr bei ihrem unkriti¬<lb/>
schen Wesen in eine Phrase verwandelt. Was man Konvenienz nennt, ist freilich<lb/>
gleichfalls die Macht der Phrasen, aber diese haben ihren Boden im Gegebenen;<lb/>
die Phrasen der revolutionären Eouvenienz finden ihren Inhalt nur im Gegensatz<lb/>
zu demselben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_741" next="#ID_742"> Ein wunderliches Verhältniß entspringt nun dadurch, daß in der Masse die<lb/>
nur scheinbar überwundene naturwüchsige Convenienz im Stillen sortoperirt, neben<lb/>
jener künstlichen, spiritualistischen Convenieiiz. So glaubt man z. B. an die Volks-<lb/>
souveränität, die alle Entscheidung in den bloßen Willen des Volks legt und<lb/>
die daher den Begriff des Gesetzes, an welchem der bloße Wille sich brechen soll,<lb/>
aufhebt, und doch schwebt auch wieder die Idee der Gesetzlichkeit vor, so daß man<lb/>
in demselben Augenblick das gesammte Gesetz durch die Revolution für aufgehoben<lb/>
erklärt, und doch wieder von einem &#x201E;ungesetzliche»" Schritte der Krone spricht<lb/>
ans alter Gewohnheit. Man pocht auf die geschehene Revolution als auf ein<lb/>
historisches Recht, d. h. man proclamirt den Zustand der reinen Gewalt und<lb/>
will dann mit dem Schalten einer früheren Gewalt gegen die neue Gewalt zu</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0258] Diese eine Seite der Revolution stellen ihre Anhänger gewöhnlich in den Vordergrund. In der Berliner Singakademie sagte Herr Woll heim, einer der Staatsweisen, die über Preußens Zukunft zu Rath sitzen: „Eine Revolution hat in der Regel Nichts mit Gemüthlichkeit zu thun, sie geht nicht aus der Pietät, sondern aus der Vernunft hervor, uicht aus der Zügellosigkeit oder Ueber- spannung, sondern aus der Vernunft des neuen Menschenrechtes. Auf diesem Standpunkt befinden wir uns." Wer an die unbefangene Anschauung des Concreten gewöhnt ist, wird in solchen Phrasen nichts weiter finden, als einen Ausfluß des heiligen Geistes von Bedlam, der oft genng seine segnenden Schwingen über diesem hohen Staats¬ körper ausgebreitet hat. Aber in Zeiten der universellen Verwirrung, wie die unsrige, muß mau kenne», scharf zu abstrahirei^ um auch dem Unsinn sein relatives Recht zu lassen. Das Ideal, die productive Macht der Revolution, entspringt aller? dings ans einer Kritik des Begriffs. Aber diese Kritik wird nur dadurch That, daß sie in Leidenschaft, übergeht. Der weitere Verlauf der Revolution, die in ihrem Ursprung geistiger zu sein schien, als ihr Gegensatz, fällt dem Naturgesetz in seiner schlimmsten Bedeutung anheim, wie die Flamme, die sich zuerst ebenfalls sehr spiritualistisch und kritisch gegen die Naturwüchsigkeit des Bestehenden verhält. Im gewöhnlichen Leben ist wohl der Einzelne berufen, sich frei zu verhalten dem Gesetz gegenüber, je nach dem Maß seiner Genialität oder seines Eigensinns; die Masse dagegen wird durch deu gesunden Menschenverstand geleitet, d. h. von den Regeln der Gewohnheit. In der Revolution reißt die Masse diese Freiheit an sich, das kann sie aber, da ihr die wirkliche Freiheit der Genialität fehlt, nur durch blinde Hingebung an irgend eine Abstractiv», die sich ihr bei ihrem unkriti¬ schen Wesen in eine Phrase verwandelt. Was man Konvenienz nennt, ist freilich gleichfalls die Macht der Phrasen, aber diese haben ihren Boden im Gegebenen; die Phrasen der revolutionären Eouvenienz finden ihren Inhalt nur im Gegensatz zu demselben. Ein wunderliches Verhältniß entspringt nun dadurch, daß in der Masse die nur scheinbar überwundene naturwüchsige Convenienz im Stillen sortoperirt, neben jener künstlichen, spiritualistischen Convenieiiz. So glaubt man z. B. an die Volks- souveränität, die alle Entscheidung in den bloßen Willen des Volks legt und die daher den Begriff des Gesetzes, an welchem der bloße Wille sich brechen soll, aufhebt, und doch schwebt auch wieder die Idee der Gesetzlichkeit vor, so daß man in demselben Augenblick das gesammte Gesetz durch die Revolution für aufgehoben erklärt, und doch wieder von einem „ungesetzliche»" Schritte der Krone spricht ans alter Gewohnheit. Man pocht auf die geschehene Revolution als auf ein historisches Recht, d. h. man proclamirt den Zustand der reinen Gewalt und will dann mit dem Schalten einer früheren Gewalt gegen die neue Gewalt zu

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/258
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/258>, abgerufen am 17.06.2024.