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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Nemesis der Geschichte hat zuvörderst die Institutionen berührt und zu Boden
geschlagen, die mehr oder minder mit dein specifischen Königthum verflochten waren,
d. h. den absichtlich durch Schonung der Krone betriebenen falschen Consti-
tutionalismus. Der König wird fortan, wo er ist, nur des Volkes wegen
da sein. Das war auch der Grund, weshalb die ersten Märztage für Baiern
entscheidend wurden. Auch die Thronentsagung des Königs Ludwig l. kann, sie
mag sonst noch aus welchen Geheimquellen immer geflossen sein, keinen andern
Hauptgrund haben, als den, daß der königliche Sohn die Zeit des Scheinconsti-
tutionalismus, in welchem er allein nach seiner eigensten Natur sich gesund fühlen
konnte, für durchaus verlebt erkannte. Sicherlich ist Baiern durch Ludwig's
Thronentsagung der herbsten Krisis entgangen, und vielleicht war dieser Schritt
der erste, durch welchen der König der Künstler sich den aufrichtigen Dank der
Mit- und Nachwelt erworben. Die Märztage fanden bei uns wohl einzelne De¬
mokraten, Konstitutionelle der alten Tradition und heißblutige Monarchisten, aber
keine gegliederte Partei dieser Farben. Die baierischen Staatsmänner und ihr
allezeit sehr geringer Anhang hatten mit Ausnahme Abel's, dessen Blicke ans
der Weltstellung des Katholicismus ruhten, mit mehr oder minder Geschick und
Glück an der Hebung der Stellung Baierns in Deutschland gearbeitet; sie hatten
es für möglich gehalten, das Land mit Beibehaltung aller Traditionen der Ver¬
gangenheit zu heben und waren an dieser Sisiphusarbeit erlegen. Der streng
positiv-religiöse Typus des Landes in beiden Konfessionen und die demokratischen
Forderungen der Neuzeit können auf die Länge hin nicht zusammengehen. Die
Männer, welchen es in Folge der eingetretenen Bewegung sehr leicht geworden
war, sich durch einige Zeitungsaussätze an's Staatsruder zu schreiben, mögen wohl
anfangs auch uur die erhöhte Stellung Baierns im neuen Deutschland vor Augen
gehabt haben, wenn sie auch freilich über die rechten Mittel und Wege dazu nicht
im Klaren gewesen zu sein scheinen und mit dem Hauptproject sicherlich zu Boden
gefallen sind. Es war nur eine sichere, feste Partei, welche in den Kreis der
modernen Bewegung eintrat, die ultramontane; wie weit diese Antheil an
der Bewegung der ersten Märztage hat, wird die Geschichte wohl später constati-
ren; so viel ist jetzt schon sicher, daß sie mit der unabweisbaren Thatsache bald
einen sehr elastischen Contract abgeschlossen hatte; gelangen die Massen zur Herr¬
schaft, so hat diese Partei anch im Grunde nichts zu verlieren, nach Verhältnisse"
viel zu gewinnen. Der practisch überstürzte Unglaube der Massen bringt unfehlbar,
wie die Geschichte aller Zeiten erweist, eine solche Verwirrung zu Wege, daß die
durch alle politischen, wie socialen Schrecken zermalmten Völker sich selber zuletzt
neue Banden anlegen. Vom politischen Aberglauben aber ist für den Ultramonta¬
nismus ohnehin nichts zu gefahren. Im ersten Sturmlauf der Märztage war das
Project einer Regentschaft aufgetaucht; es paradirte der Name des Prinzen Luit-
pold, den die genannte Partei, ob mit Recht oder Unrecht, gern für sich nennen


Nemesis der Geschichte hat zuvörderst die Institutionen berührt und zu Boden
geschlagen, die mehr oder minder mit dein specifischen Königthum verflochten waren,
d. h. den absichtlich durch Schonung der Krone betriebenen falschen Consti-
tutionalismus. Der König wird fortan, wo er ist, nur des Volkes wegen
da sein. Das war auch der Grund, weshalb die ersten Märztage für Baiern
entscheidend wurden. Auch die Thronentsagung des Königs Ludwig l. kann, sie
mag sonst noch aus welchen Geheimquellen immer geflossen sein, keinen andern
Hauptgrund haben, als den, daß der königliche Sohn die Zeit des Scheinconsti-
tutionalismus, in welchem er allein nach seiner eigensten Natur sich gesund fühlen
konnte, für durchaus verlebt erkannte. Sicherlich ist Baiern durch Ludwig's
Thronentsagung der herbsten Krisis entgangen, und vielleicht war dieser Schritt
der erste, durch welchen der König der Künstler sich den aufrichtigen Dank der
Mit- und Nachwelt erworben. Die Märztage fanden bei uns wohl einzelne De¬
mokraten, Konstitutionelle der alten Tradition und heißblutige Monarchisten, aber
keine gegliederte Partei dieser Farben. Die baierischen Staatsmänner und ihr
allezeit sehr geringer Anhang hatten mit Ausnahme Abel's, dessen Blicke ans
der Weltstellung des Katholicismus ruhten, mit mehr oder minder Geschick und
Glück an der Hebung der Stellung Baierns in Deutschland gearbeitet; sie hatten
es für möglich gehalten, das Land mit Beibehaltung aller Traditionen der Ver¬
gangenheit zu heben und waren an dieser Sisiphusarbeit erlegen. Der streng
positiv-religiöse Typus des Landes in beiden Konfessionen und die demokratischen
Forderungen der Neuzeit können auf die Länge hin nicht zusammengehen. Die
Männer, welchen es in Folge der eingetretenen Bewegung sehr leicht geworden
war, sich durch einige Zeitungsaussätze an's Staatsruder zu schreiben, mögen wohl
anfangs auch uur die erhöhte Stellung Baierns im neuen Deutschland vor Augen
gehabt haben, wenn sie auch freilich über die rechten Mittel und Wege dazu nicht
im Klaren gewesen zu sein scheinen und mit dem Hauptproject sicherlich zu Boden
gefallen sind. Es war nur eine sichere, feste Partei, welche in den Kreis der
modernen Bewegung eintrat, die ultramontane; wie weit diese Antheil an
der Bewegung der ersten Märztage hat, wird die Geschichte wohl später constati-
ren; so viel ist jetzt schon sicher, daß sie mit der unabweisbaren Thatsache bald
einen sehr elastischen Contract abgeschlossen hatte; gelangen die Massen zur Herr¬
schaft, so hat diese Partei anch im Grunde nichts zu verlieren, nach Verhältnisse»
viel zu gewinnen. Der practisch überstürzte Unglaube der Massen bringt unfehlbar,
wie die Geschichte aller Zeiten erweist, eine solche Verwirrung zu Wege, daß die
durch alle politischen, wie socialen Schrecken zermalmten Völker sich selber zuletzt
neue Banden anlegen. Vom politischen Aberglauben aber ist für den Ultramonta¬
nismus ohnehin nichts zu gefahren. Im ersten Sturmlauf der Märztage war das
Project einer Regentschaft aufgetaucht; es paradirte der Name des Prinzen Luit-
pold, den die genannte Partei, ob mit Recht oder Unrecht, gern für sich nennen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/266>, abgerufen am 10.06.2024.