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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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man will, der Erfolg, nur nicht der momentane. Friedrich der Große hatte
Recht, das heilige römische Reich mit Füßen zu treten, denn er hat aus den
Trümmern eines höchst unvernünftigen politischen Konglomerats einen vernünfti¬
gen Staat gezimmert.

Um über die gegenwärtige Lage Preußens ein Urtheil zu fällen, vergegen¬
wärtigen wir uns noch einmal, was ihr vorausging.

Gleich bei dem Zusammentritt der Berliner Constituante war es uns klar,
daß aus ihr nur durch ein Wunder eine vernünftige Verfassung hervorgehen würde.
Der Grund davon lag theils in ihrer Lage, theils in ihrer Zusammensetzung.

Eine constituirende Versammlung ist an sich etwas sehr Bedenkliches, weil
sie unvermeidlich in den Wahn verfällt, sie sei allmächtig; und können über Regen
und Sonnenschein verfügen. Man hat leicht sagen, sie könne sich ja innerhalb
ihrer Grenzen halten, die Verfassung zu Stande bringen und dann nach Hause
gehen und die Fortsetzung ihres Werkes ihren Nachfolgern, den auf dem Boden
eines bestimmten Gesetzes stehenden Volksrepräsentanten überlassen. So faßte das
Ministerium Camphausen die Sache ^uf und suchte durch Einschiebung des Cen-
trallandtags die Fiction des gesetzlichen Weges zu vervollständigen. Aber eine
Versammlung, die über die Grundprincipien des neuen Staatswesens die souveräne
Elitscheidung beansprucht, wird leicht zu dem Schluß kommen, daß sie in den klei¬
nern Fragen der Verwaltung noch weit mehr competent sei, und sie wird weit mehr
Interesse zeigen für die unmittelbaren Erfolge im Einzelnen als für das Gesammt-
resultat, mit dessen Ausführung es immer sehr im Weiten steht. Jener Knabe
der Fabel, der einen Dattelkern in die Erde pflanzt, um nach dreißig Jahren
seine süßen Früchte zu kosten, ist eben nur in der Fabel. Ein Decret: die Jagd¬
gerechtigkeit ist abgeschafft, der Zehnte ist aufgehoben n. s. w. ist einfacher, be¬
quemer und dankbarer, als ein mühsam ausgedachtes System der Formen, in¬
nerhalb deren eine solche Aufhebung auf gesetzlichem Wege zu bewerkstelligen sei.
Jede Constituante wird sich zuletzt versucht fühlen, jede Autorität, die in irgend
einer Staatsangelegenheit außer ihr steht, als eine usurpatorische zu zermalmen.

Bei der Berliner Constituante kommen aber noch zwei Umstände hinzu, die
ihre Aufgabe wesentlich erschwerten. Der Berliner hatte eine Revolution gemacht;
er hatte auf den Barrikaden gefochten und wollte nun so schnell als möglich etwas
so Großes und Geistreiches vor seinen Augen entstehen lassen, wie es seiner "Bil¬
dung" und "Intelligenz" angemessen sei. Wenn er das Militär aus der Stadt
in einer Nacht getrieben hatte, so mußte es ihn doch wundern, wenn seine "Be¬
vollmächtigten" nicht eben so schnell alle Uebel, die den Staat drücken, vertreiben
sollten. Beider Ungewohnheit seiner neuen Freiheit war er nur zu geneigt, diese
Verwunderung bei der ersten besten Gelegenheit den Rücken seiner saumseligen
Beamten einzublauen.

Der zweite Umstand war die gleichzeitige Einberufung, der Frankfurter
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man will, der Erfolg, nur nicht der momentane. Friedrich der Große hatte
Recht, das heilige römische Reich mit Füßen zu treten, denn er hat aus den
Trümmern eines höchst unvernünftigen politischen Konglomerats einen vernünfti¬
gen Staat gezimmert.

Um über die gegenwärtige Lage Preußens ein Urtheil zu fällen, vergegen¬
wärtigen wir uns noch einmal, was ihr vorausging.

Gleich bei dem Zusammentritt der Berliner Constituante war es uns klar,
daß aus ihr nur durch ein Wunder eine vernünftige Verfassung hervorgehen würde.
Der Grund davon lag theils in ihrer Lage, theils in ihrer Zusammensetzung.

Eine constituirende Versammlung ist an sich etwas sehr Bedenkliches, weil
sie unvermeidlich in den Wahn verfällt, sie sei allmächtig; und können über Regen
und Sonnenschein verfügen. Man hat leicht sagen, sie könne sich ja innerhalb
ihrer Grenzen halten, die Verfassung zu Stande bringen und dann nach Hause
gehen und die Fortsetzung ihres Werkes ihren Nachfolgern, den auf dem Boden
eines bestimmten Gesetzes stehenden Volksrepräsentanten überlassen. So faßte das
Ministerium Camphausen die Sache ^uf und suchte durch Einschiebung des Cen-
trallandtags die Fiction des gesetzlichen Weges zu vervollständigen. Aber eine
Versammlung, die über die Grundprincipien des neuen Staatswesens die souveräne
Elitscheidung beansprucht, wird leicht zu dem Schluß kommen, daß sie in den klei¬
nern Fragen der Verwaltung noch weit mehr competent sei, und sie wird weit mehr
Interesse zeigen für die unmittelbaren Erfolge im Einzelnen als für das Gesammt-
resultat, mit dessen Ausführung es immer sehr im Weiten steht. Jener Knabe
der Fabel, der einen Dattelkern in die Erde pflanzt, um nach dreißig Jahren
seine süßen Früchte zu kosten, ist eben nur in der Fabel. Ein Decret: die Jagd¬
gerechtigkeit ist abgeschafft, der Zehnte ist aufgehoben n. s. w. ist einfacher, be¬
quemer und dankbarer, als ein mühsam ausgedachtes System der Formen, in¬
nerhalb deren eine solche Aufhebung auf gesetzlichem Wege zu bewerkstelligen sei.
Jede Constituante wird sich zuletzt versucht fühlen, jede Autorität, die in irgend
einer Staatsangelegenheit außer ihr steht, als eine usurpatorische zu zermalmen.

Bei der Berliner Constituante kommen aber noch zwei Umstände hinzu, die
ihre Aufgabe wesentlich erschwerten. Der Berliner hatte eine Revolution gemacht;
er hatte auf den Barrikaden gefochten und wollte nun so schnell als möglich etwas
so Großes und Geistreiches vor seinen Augen entstehen lassen, wie es seiner „Bil¬
dung" und „Intelligenz" angemessen sei. Wenn er das Militär aus der Stadt
in einer Nacht getrieben hatte, so mußte es ihn doch wundern, wenn seine „Be¬
vollmächtigten" nicht eben so schnell alle Uebel, die den Staat drücken, vertreiben
sollten. Beider Ungewohnheit seiner neuen Freiheit war er nur zu geneigt, diese
Verwunderung bei der ersten besten Gelegenheit den Rücken seiner saumseligen
Beamten einzublauen.

Der zweite Umstand war die gleichzeitige Einberufung, der Frankfurter
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/275>, abgerufen am 17.06.2024.