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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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verhaßten Deutschen ein, weil sie eben die deutsche Politik, auf ähnliche Weise
wie die Polen, für die italischen Interessen auszubeuten hofften.

Dies ist also ein Bild' des Reichstages, der uns constituiren soll. Er ist
ein getreuer Ausdruck jener dunklen, unklaren Romantik, welche sich der Völker
Oestreichs seit den Märztagen bemächtigt hat. Beinahe überall ist es die Ver¬
gangenheit, welche der Zukunft Gehalt geben soll; man will den ausgelebten Zu¬
stand einer vergangenen Periode durch revolutionäre Mittel restauriren -- denkt
aber nicht daran, daß unsere Zeit weder eine dynastische, noch eine nationale Re¬
stauration für die Länge bestehen läßt. Die Czechen suchen sich ihre Nationaltracht
ans alten Urkunden zusammen, und träumen sich in die Zeiten Ottokar's und
Karls IV. zurück; die Walnchen in Siebenbürgen leisten darin noch mehr, feiern
das Andenken des Kaisers Trajan, des mächtigen Eroberers von Dacier, und
träumen von einer Wiederherstellung des alten Daciens, von einer wunderlichen,
ins Rnmainische übertragenen Fortsetzung des griechischen Freiheitskrieges. Am
meisten fußt noch die Romantik des Magyarismus auf dem Boden der Wirklich¬
keit, sie wird daher nur der bittern, blutigen Nothwendigkeit in einem echt spar¬
tanischen Thermopylenkampfe weichen. Das gebrochene Magyarenthum wird wahr¬
scheinlich gleich dem überwundenen Polen eine eigene, specifische Poesie erzeugen.
Zu den Polenliedern werden sich Magyarcnlieder gesellen, und wie in jenen der
polnische Adler seine blutenden, gelähmten Schwingen regt, so wird sich auch in
diesen der Magyar seiner versunkenen Herrlichkeit mit einem eigenthümlichen, cha¬
rakteristischen Schmerze erinnern. Es ist dies das unvermeidliche Loos der Ro¬
mantik, sobald sie sich in das historische, warmpulsirende Leben hineindrängt: über
kurz oder lang wird sie wieder von demselben zurückgestoßen in das Reich der
Schatten und Träume. Die Magyaren sind nnn in dieser Romantik geboren, sie
wurde ihnen durch ihre bisherige Verfassung garantirt -- und darum werden sie
sich auch von dem bittern Erwachen aus ihrem schönen, jahrhundertlangen Traume
uicht erholen können. Den Deutschen und Slaven wird es viel leichter sein,
ihren unbestimmten nationalen Wünschen durch das östreichische Staaatsbürger-
thum ein verständiges, begrenztes Maß zu geben! denn sie wurden erst durch die
Märzbewegungen an ihr Deutsch- oder Slaventhum kräftig erinnert: unter der
Zwangsherrschaft von ehmals waren sie Oestreicher gewesen, und können es mit¬
hin durch freien Entschluß in dem zukünftigen Oestreich wieder werden. Aber
der Magyar weiß sich nicht darauf zu besinnen, daß er je Oestreicher gewesen
sei; denn er hat von jeher nur als Magyar gegolten, von jeher nur einen König
von Ungarn, aber keinen Kaiser von Oestreich gekannt. --

Wie sonderbar steht nun dieser unklaren Romantik der nationalen Be¬
strebungen die Begriffsverwirrung gegenüber, die in der Politik der Krone
herrscht! Der Unklarheit des Gemüths dort entspricht hier die Unklarheit


verhaßten Deutschen ein, weil sie eben die deutsche Politik, auf ähnliche Weise
wie die Polen, für die italischen Interessen auszubeuten hofften.

Dies ist also ein Bild' des Reichstages, der uns constituiren soll. Er ist
ein getreuer Ausdruck jener dunklen, unklaren Romantik, welche sich der Völker
Oestreichs seit den Märztagen bemächtigt hat. Beinahe überall ist es die Ver¬
gangenheit, welche der Zukunft Gehalt geben soll; man will den ausgelebten Zu¬
stand einer vergangenen Periode durch revolutionäre Mittel restauriren — denkt
aber nicht daran, daß unsere Zeit weder eine dynastische, noch eine nationale Re¬
stauration für die Länge bestehen läßt. Die Czechen suchen sich ihre Nationaltracht
ans alten Urkunden zusammen, und träumen sich in die Zeiten Ottokar's und
Karls IV. zurück; die Walnchen in Siebenbürgen leisten darin noch mehr, feiern
das Andenken des Kaisers Trajan, des mächtigen Eroberers von Dacier, und
träumen von einer Wiederherstellung des alten Daciens, von einer wunderlichen,
ins Rnmainische übertragenen Fortsetzung des griechischen Freiheitskrieges. Am
meisten fußt noch die Romantik des Magyarismus auf dem Boden der Wirklich¬
keit, sie wird daher nur der bittern, blutigen Nothwendigkeit in einem echt spar¬
tanischen Thermopylenkampfe weichen. Das gebrochene Magyarenthum wird wahr¬
scheinlich gleich dem überwundenen Polen eine eigene, specifische Poesie erzeugen.
Zu den Polenliedern werden sich Magyarcnlieder gesellen, und wie in jenen der
polnische Adler seine blutenden, gelähmten Schwingen regt, so wird sich auch in
diesen der Magyar seiner versunkenen Herrlichkeit mit einem eigenthümlichen, cha¬
rakteristischen Schmerze erinnern. Es ist dies das unvermeidliche Loos der Ro¬
mantik, sobald sie sich in das historische, warmpulsirende Leben hineindrängt: über
kurz oder lang wird sie wieder von demselben zurückgestoßen in das Reich der
Schatten und Träume. Die Magyaren sind nnn in dieser Romantik geboren, sie
wurde ihnen durch ihre bisherige Verfassung garantirt — und darum werden sie
sich auch von dem bittern Erwachen aus ihrem schönen, jahrhundertlangen Traume
uicht erholen können. Den Deutschen und Slaven wird es viel leichter sein,
ihren unbestimmten nationalen Wünschen durch das östreichische Staaatsbürger-
thum ein verständiges, begrenztes Maß zu geben! denn sie wurden erst durch die
Märzbewegungen an ihr Deutsch- oder Slaventhum kräftig erinnert: unter der
Zwangsherrschaft von ehmals waren sie Oestreicher gewesen, und können es mit¬
hin durch freien Entschluß in dem zukünftigen Oestreich wieder werden. Aber
der Magyar weiß sich nicht darauf zu besinnen, daß er je Oestreicher gewesen
sei; denn er hat von jeher nur als Magyar gegolten, von jeher nur einen König
von Ungarn, aber keinen Kaiser von Oestreich gekannt. —

Wie sonderbar steht nun dieser unklaren Romantik der nationalen Be¬
strebungen die Begriffsverwirrung gegenüber, die in der Politik der Krone
herrscht! Der Unklarheit des Gemüths dort entspricht hier die Unklarheit


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[0321] verhaßten Deutschen ein, weil sie eben die deutsche Politik, auf ähnliche Weise wie die Polen, für die italischen Interessen auszubeuten hofften. Dies ist also ein Bild' des Reichstages, der uns constituiren soll. Er ist ein getreuer Ausdruck jener dunklen, unklaren Romantik, welche sich der Völker Oestreichs seit den Märztagen bemächtigt hat. Beinahe überall ist es die Ver¬ gangenheit, welche der Zukunft Gehalt geben soll; man will den ausgelebten Zu¬ stand einer vergangenen Periode durch revolutionäre Mittel restauriren — denkt aber nicht daran, daß unsere Zeit weder eine dynastische, noch eine nationale Re¬ stauration für die Länge bestehen läßt. Die Czechen suchen sich ihre Nationaltracht ans alten Urkunden zusammen, und träumen sich in die Zeiten Ottokar's und Karls IV. zurück; die Walnchen in Siebenbürgen leisten darin noch mehr, feiern das Andenken des Kaisers Trajan, des mächtigen Eroberers von Dacier, und träumen von einer Wiederherstellung des alten Daciens, von einer wunderlichen, ins Rnmainische übertragenen Fortsetzung des griechischen Freiheitskrieges. Am meisten fußt noch die Romantik des Magyarismus auf dem Boden der Wirklich¬ keit, sie wird daher nur der bittern, blutigen Nothwendigkeit in einem echt spar¬ tanischen Thermopylenkampfe weichen. Das gebrochene Magyarenthum wird wahr¬ scheinlich gleich dem überwundenen Polen eine eigene, specifische Poesie erzeugen. Zu den Polenliedern werden sich Magyarcnlieder gesellen, und wie in jenen der polnische Adler seine blutenden, gelähmten Schwingen regt, so wird sich auch in diesen der Magyar seiner versunkenen Herrlichkeit mit einem eigenthümlichen, cha¬ rakteristischen Schmerze erinnern. Es ist dies das unvermeidliche Loos der Ro¬ mantik, sobald sie sich in das historische, warmpulsirende Leben hineindrängt: über kurz oder lang wird sie wieder von demselben zurückgestoßen in das Reich der Schatten und Träume. Die Magyaren sind nnn in dieser Romantik geboren, sie wurde ihnen durch ihre bisherige Verfassung garantirt — und darum werden sie sich auch von dem bittern Erwachen aus ihrem schönen, jahrhundertlangen Traume uicht erholen können. Den Deutschen und Slaven wird es viel leichter sein, ihren unbestimmten nationalen Wünschen durch das östreichische Staaatsbürger- thum ein verständiges, begrenztes Maß zu geben! denn sie wurden erst durch die Märzbewegungen an ihr Deutsch- oder Slaventhum kräftig erinnert: unter der Zwangsherrschaft von ehmals waren sie Oestreicher gewesen, und können es mit¬ hin durch freien Entschluß in dem zukünftigen Oestreich wieder werden. Aber der Magyar weiß sich nicht darauf zu besinnen, daß er je Oestreicher gewesen sei; denn er hat von jeher nur als Magyar gegolten, von jeher nur einen König von Ungarn, aber keinen Kaiser von Oestreich gekannt. — Wie sonderbar steht nun dieser unklaren Romantik der nationalen Be¬ strebungen die Begriffsverwirrung gegenüber, die in der Politik der Krone herrscht! Der Unklarheit des Gemüths dort entspricht hier die Unklarheit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/321>, abgerufen am 17.06.2024.