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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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diesen Namen führt, beinahe die Aussicht hat, durch freie Wahl zum Herrscher
eines mächtigen Volks erhoben zu werden; wo nur die Generäle es sind, die
aus Patriotismus diesem knabenhaften Kricgsgelüst entgegentraten -- in diesem
Augenblick, wo Europa leicht zum zweitenmal von einem wilden Fieber erschüttert
werden kann, wuchert auch in unserm Vaterlande von allen Seiten das Unkraut
der Realität mächtig über die Zierpflanze des Idealismus hinaus und mit eben
so viel Unmuth als Verwunderung sehen die ephemeren Helden unserer frühreifen
Revolution sich um in dem Land ihrer Träume und staunen, wie die bunten
Nebel sich zerstreuen beim ersten Hahnenruf, die Nachtgestalten verschwinden, und
wie die Frühsonne Nichts als die Prosa der bekannten vaterländischen Pflanzun¬
gen bescheint.

In Oestreich hat die Stunde der Entscheidung bereits geschlagen; in Preußen
steht sie bevor, und der künstlichen Zeitrechnung in Frankfurt wird Nichts anderes
übrig bleiben, als sich nach diesen naturwüchsigen Messungen reguliren zu lassen.
Es ist eine wüste Stimmung, die jetzt ans allen Gemüthern ruht; das peinliche
Gefühl einer in Rausch durchwachten Nacht. Sie mußte komme", aber der An¬
blick ist nicht erfreulich. Glücklich die Sachsen, denen noch im Messerschmid Löwe
oder Advocat Bertliug eine unmittelbare Zukunft blüht!

Wenden wir unsere Aufmerksamkeit zunächst auf Oestreich. Die Thronent¬
sagung des "gütigen" Kaisers ist nichts als ein symbolischer Act, der junge Franz
Joseph wird auch nicht unmittelbar eingreifen in die Geschicke seiner Völker, aber
an die Person des alten Kaisers knüpfte sich die Erinnerung an die Märztage.
Es sollte mit dem System der Concessionen definitiv gebrochen werden, und auf
dem Namen des neuen "konstitutionellen" Herrschers durfte kein rother Fleck
bleiben.

Mit dem System der neuen Regierung, wie sie dasselbe in ihrem dem Reichs¬
tag vorgelegten Programm ausgesprochen hat, können wir uns unbedingt einver¬
standen erklären. ES sind dieselben Ansichten, welche die Grenzboten vielfältig
ausgesprochen haben. Wir lassen die wesentlichen Punkte folgen.

"Wir wollen die konstitutionelle Monarchie aufrichtig und ohne Rückhalt.
Wir wollen diese Staatsform, deren Wesen und gesicherten Bestand wir in der
gemeinschaftlichen Ausübung der gesetzgebenden Gewalt dnrch den Monarchen und
die Repräsentanten-Körper Oestreichs erkennen, -- wir wollen sie begründet auf
der gleichen Berechtigung und unbehinderten Entwickelung aller Nationalitäten,
sowie auf der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetze, gewährleistet durch
Oeffentlichkeit in allen Zweigen des Staatslebens; getragen von der freien Ge¬
meinde und der freien Gestaltung der Ländertheile in allen innern Angelegen¬
heiten, umschlungen von dem gemeinsamen Baude einer kräftigen Centralgewalt.
°- Das Ministerium wird die Verwaltung nach den Bedürfnissen der Zeit um-


diesen Namen führt, beinahe die Aussicht hat, durch freie Wahl zum Herrscher
eines mächtigen Volks erhoben zu werden; wo nur die Generäle es sind, die
aus Patriotismus diesem knabenhaften Kricgsgelüst entgegentraten — in diesem
Augenblick, wo Europa leicht zum zweitenmal von einem wilden Fieber erschüttert
werden kann, wuchert auch in unserm Vaterlande von allen Seiten das Unkraut
der Realität mächtig über die Zierpflanze des Idealismus hinaus und mit eben
so viel Unmuth als Verwunderung sehen die ephemeren Helden unserer frühreifen
Revolution sich um in dem Land ihrer Träume und staunen, wie die bunten
Nebel sich zerstreuen beim ersten Hahnenruf, die Nachtgestalten verschwinden, und
wie die Frühsonne Nichts als die Prosa der bekannten vaterländischen Pflanzun¬
gen bescheint.

In Oestreich hat die Stunde der Entscheidung bereits geschlagen; in Preußen
steht sie bevor, und der künstlichen Zeitrechnung in Frankfurt wird Nichts anderes
übrig bleiben, als sich nach diesen naturwüchsigen Messungen reguliren zu lassen.
Es ist eine wüste Stimmung, die jetzt ans allen Gemüthern ruht; das peinliche
Gefühl einer in Rausch durchwachten Nacht. Sie mußte komme», aber der An¬
blick ist nicht erfreulich. Glücklich die Sachsen, denen noch im Messerschmid Löwe
oder Advocat Bertliug eine unmittelbare Zukunft blüht!

Wenden wir unsere Aufmerksamkeit zunächst auf Oestreich. Die Thronent¬
sagung des „gütigen" Kaisers ist nichts als ein symbolischer Act, der junge Franz
Joseph wird auch nicht unmittelbar eingreifen in die Geschicke seiner Völker, aber
an die Person des alten Kaisers knüpfte sich die Erinnerung an die Märztage.
Es sollte mit dem System der Concessionen definitiv gebrochen werden, und auf
dem Namen des neuen „konstitutionellen" Herrschers durfte kein rother Fleck
bleiben.

Mit dem System der neuen Regierung, wie sie dasselbe in ihrem dem Reichs¬
tag vorgelegten Programm ausgesprochen hat, können wir uns unbedingt einver¬
standen erklären. ES sind dieselben Ansichten, welche die Grenzboten vielfältig
ausgesprochen haben. Wir lassen die wesentlichen Punkte folgen.

„Wir wollen die konstitutionelle Monarchie aufrichtig und ohne Rückhalt.
Wir wollen diese Staatsform, deren Wesen und gesicherten Bestand wir in der
gemeinschaftlichen Ausübung der gesetzgebenden Gewalt dnrch den Monarchen und
die Repräsentanten-Körper Oestreichs erkennen, — wir wollen sie begründet auf
der gleichen Berechtigung und unbehinderten Entwickelung aller Nationalitäten,
sowie auf der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetze, gewährleistet durch
Oeffentlichkeit in allen Zweigen des Staatslebens; getragen von der freien Ge¬
meinde und der freien Gestaltung der Ländertheile in allen innern Angelegen¬
heiten, umschlungen von dem gemeinsamen Baude einer kräftigen Centralgewalt.
°- Das Ministerium wird die Verwaltung nach den Bedürfnissen der Zeit um-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/404>, abgerufen am 17.06.2024.