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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Und später:

Diese Schrift ist nicht, wie die krummen Zeichen,
Die mich der Schreiber des Abt's wollt' lehren,
Diese Zeichen sind unendlich schwer zu erklären!
Es liegt wie eines dunkeln Zaubers Zwang
In der Schrift, und nerwirrl des Beschauers Sinn.
Jeder Buchstab' liegt so tief, so tief darin
In des Apf.is brennender Wang';
Hat sich verbunden mit seinem Sast,
Hat ausgesaugt seine beste Kraft.
Man merkt es wohl: diese Schuft wird bestehn,
Bis der Apfel selbst muß vergehn.

Beiläufig, welche schauderhafte Trivialität verbirgt der letzte Satz hinter einer
mystisch-heiligen Miene.

Nun sind wir über die eigentliche Bewandtniß dieses LicbcszanberS doch nicht
so recht im Klaren, aber es ist uns doch so, als ob, wir wissen nicht recht was.
Es zuckt uns dnrch alle Glieder die herrliche Walpurgisnacht, etwas Diebsgelüst
und Schmachten.

Scherz bei Seite! Aus den Angegebenen kann man schon sehen, daß das
Drama eben so verfehlt in seinem Nahmen wie in seiner Entwicklung ist. Statt
eines anschaulichen Bildes wird uns eine graue, unbestimmte, in ihrem Verhältniß
zur Hauptsache unklare Nebelgruppe hingezeichnet; statt eines sittlich-menschlichen
Motivs schlanke sich ein Spuk ein. Ich spreche dieses Verdammungsurtheil darum
so schroff aus, weil ich es für eine der Hauptaufgaben unserer Kritik halte, die
Kunst vor einer zweiten Verirrung in den Hcxengartcn der transcendenter Ro¬
mantik zurückschalten.

Ueber die Verkehrtheit der Anlage dürfen wir aber die wirkliche Begabung
dieses Dichters nicht übersehen. Wodurch hat Jolanlhe das Glück auf unsern
Bühnen gemacht? Das sittliche Motiv der Entwicklung war eben so krankhaft
lyrisch-sentimental. Cur einer Augenkrankheit theils durch ein Amulet, theils durch
Liebe, theils durch Belehrung. Aus einem Bonmot die Grundidee eines Dra¬
ma's! Aber die Technik des Stücks war meisterhaft, und über die logischen Be¬
denken hob der Zauber der Darstellung hinweg.

Diese Zauber finden wir, vielleicht in noch höherem Maße, in Cvend Dy-
ring's Haus wieder. Dieses somnambule Wesen ist, wenn man einmal von seiner
innern Hohlheit abstrahirt, mit großer psychologischer Feinheit ausgearbeitet; die
düstre, neblige Atmosphäre, die sich über das Ganze breitet, wird zuweilen durch
ein buntes Licht, dnrch heitere Jagdgruppcn u. tgi. unterbrochen, selbst zur be¬
stimmten Charakteristik sind mehrmals Anläufe gemacht, wie bei den beiden Freiern
Negisseus. Hertz ist ein wahrer Poet, aber wie das bei unsern dänischen Nachbarn
die Regel zu sein scheint, ein musikalischer, kein plastischer. Die Stimmung, der
Ton ist ihm die Hauptsache, mit der Zeichnung nimmt er es leicht, es fehlen


Und später:

Diese Schrift ist nicht, wie die krummen Zeichen,
Die mich der Schreiber des Abt's wollt' lehren,
Diese Zeichen sind unendlich schwer zu erklären!
Es liegt wie eines dunkeln Zaubers Zwang
In der Schrift, und nerwirrl des Beschauers Sinn.
Jeder Buchstab' liegt so tief, so tief darin
In des Apf.is brennender Wang';
Hat sich verbunden mit seinem Sast,
Hat ausgesaugt seine beste Kraft.
Man merkt es wohl: diese Schuft wird bestehn,
Bis der Apfel selbst muß vergehn.

Beiläufig, welche schauderhafte Trivialität verbirgt der letzte Satz hinter einer
mystisch-heiligen Miene.

Nun sind wir über die eigentliche Bewandtniß dieses LicbcszanberS doch nicht
so recht im Klaren, aber es ist uns doch so, als ob, wir wissen nicht recht was.
Es zuckt uns dnrch alle Glieder die herrliche Walpurgisnacht, etwas Diebsgelüst
und Schmachten.

Scherz bei Seite! Aus den Angegebenen kann man schon sehen, daß das
Drama eben so verfehlt in seinem Nahmen wie in seiner Entwicklung ist. Statt
eines anschaulichen Bildes wird uns eine graue, unbestimmte, in ihrem Verhältniß
zur Hauptsache unklare Nebelgruppe hingezeichnet; statt eines sittlich-menschlichen
Motivs schlanke sich ein Spuk ein. Ich spreche dieses Verdammungsurtheil darum
so schroff aus, weil ich es für eine der Hauptaufgaben unserer Kritik halte, die
Kunst vor einer zweiten Verirrung in den Hcxengartcn der transcendenter Ro¬
mantik zurückschalten.

Ueber die Verkehrtheit der Anlage dürfen wir aber die wirkliche Begabung
dieses Dichters nicht übersehen. Wodurch hat Jolanlhe das Glück auf unsern
Bühnen gemacht? Das sittliche Motiv der Entwicklung war eben so krankhaft
lyrisch-sentimental. Cur einer Augenkrankheit theils durch ein Amulet, theils durch
Liebe, theils durch Belehrung. Aus einem Bonmot die Grundidee eines Dra¬
ma's! Aber die Technik des Stücks war meisterhaft, und über die logischen Be¬
denken hob der Zauber der Darstellung hinweg.

Diese Zauber finden wir, vielleicht in noch höherem Maße, in Cvend Dy-
ring's Haus wieder. Dieses somnambule Wesen ist, wenn man einmal von seiner
innern Hohlheit abstrahirt, mit großer psychologischer Feinheit ausgearbeitet; die
düstre, neblige Atmosphäre, die sich über das Ganze breitet, wird zuweilen durch
ein buntes Licht, dnrch heitere Jagdgruppcn u. tgi. unterbrochen, selbst zur be¬
stimmten Charakteristik sind mehrmals Anläufe gemacht, wie bei den beiden Freiern
Negisseus. Hertz ist ein wahrer Poet, aber wie das bei unsern dänischen Nachbarn
die Regel zu sein scheint, ein musikalischer, kein plastischer. Die Stimmung, der
Ton ist ihm die Hauptsache, mit der Zeichnung nimmt er es leicht, es fehlen


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[0426] Und später: Diese Schrift ist nicht, wie die krummen Zeichen, Die mich der Schreiber des Abt's wollt' lehren, Diese Zeichen sind unendlich schwer zu erklären! Es liegt wie eines dunkeln Zaubers Zwang In der Schrift, und nerwirrl des Beschauers Sinn. Jeder Buchstab' liegt so tief, so tief darin In des Apf.is brennender Wang'; Hat sich verbunden mit seinem Sast, Hat ausgesaugt seine beste Kraft. Man merkt es wohl: diese Schuft wird bestehn, Bis der Apfel selbst muß vergehn. Beiläufig, welche schauderhafte Trivialität verbirgt der letzte Satz hinter einer mystisch-heiligen Miene. Nun sind wir über die eigentliche Bewandtniß dieses LicbcszanberS doch nicht so recht im Klaren, aber es ist uns doch so, als ob, wir wissen nicht recht was. Es zuckt uns dnrch alle Glieder die herrliche Walpurgisnacht, etwas Diebsgelüst und Schmachten. Scherz bei Seite! Aus den Angegebenen kann man schon sehen, daß das Drama eben so verfehlt in seinem Nahmen wie in seiner Entwicklung ist. Statt eines anschaulichen Bildes wird uns eine graue, unbestimmte, in ihrem Verhältniß zur Hauptsache unklare Nebelgruppe hingezeichnet; statt eines sittlich-menschlichen Motivs schlanke sich ein Spuk ein. Ich spreche dieses Verdammungsurtheil darum so schroff aus, weil ich es für eine der Hauptaufgaben unserer Kritik halte, die Kunst vor einer zweiten Verirrung in den Hcxengartcn der transcendenter Ro¬ mantik zurückschalten. Ueber die Verkehrtheit der Anlage dürfen wir aber die wirkliche Begabung dieses Dichters nicht übersehen. Wodurch hat Jolanlhe das Glück auf unsern Bühnen gemacht? Das sittliche Motiv der Entwicklung war eben so krankhaft lyrisch-sentimental. Cur einer Augenkrankheit theils durch ein Amulet, theils durch Liebe, theils durch Belehrung. Aus einem Bonmot die Grundidee eines Dra¬ ma's! Aber die Technik des Stücks war meisterhaft, und über die logischen Be¬ denken hob der Zauber der Darstellung hinweg. Diese Zauber finden wir, vielleicht in noch höherem Maße, in Cvend Dy- ring's Haus wieder. Dieses somnambule Wesen ist, wenn man einmal von seiner innern Hohlheit abstrahirt, mit großer psychologischer Feinheit ausgearbeitet; die düstre, neblige Atmosphäre, die sich über das Ganze breitet, wird zuweilen durch ein buntes Licht, dnrch heitere Jagdgruppcn u. tgi. unterbrochen, selbst zur be¬ stimmten Charakteristik sind mehrmals Anläufe gemacht, wie bei den beiden Freiern Negisseus. Hertz ist ein wahrer Poet, aber wie das bei unsern dänischen Nachbarn die Regel zu sein scheint, ein musikalischer, kein plastischer. Die Stimmung, der Ton ist ihm die Hauptsache, mit der Zeichnung nimmt er es leicht, es fehlen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/426>, abgerufen am 17.06.2024.