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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Himmel, diese Gerüche? In jedem Menschen steckt ein Gott und eine Bestie;
der Gott kommt zur Erscheinung in dem geordneten Instand der Gesellschaft; die
Bestie in der pöbelhafter Auflösung.

Sollte ich wählen zwischen Despotismus und Anarchie -- persönlich wäre mir
die letztere lieber, denn der Despotismus drückt alle Freiheit zu Boden, und in
der Anarchie müßte es sehr schlimm stehn, wenn ein fester, gebildeter Wille nicht
auf die eine oder die andere Art sich geltend machen sollte. Aber als Historiker
gebe ich dem russischen System den Vorzug. Es kann blutiger, entsetzlicher sein;
aber man sieht doch Absicht und Verstand; man wird an die Menschheit erinnert,
wenn auch in einem krankhaften Zustand; aber in der Ochlokratie herrscht die reine
Dummheit, der absolute Blödsinn und dieser ist ein ekelhaftes Bild.

Sehen Sie, in Athen war jeder Freie adlig, bis durch die Demagogen die
Canaille siegte und alle Gesetze über den Haufen warf. Athen wäre zu Grunde
gegangen, wenn der Tyrann von Macedonien es nicht gerettet hätte. Wir in
Norddeutschland werden theilweise durch die Universitäten uobilitirt. Jede Prü¬
gelei ist gemein, das Duell dagegen gibt sittliches Selbstgefühl, man ist nicht blos
physische Masse, man steht dem Gegner als Person gegenüber, nicht im Ausbruch
des Zornes, sondern nach ruhiger Ueberlegung, in gesetzlichen Schranken, unter
anständigen Formen der Courtoisie. Indeß das ist blos äußerlich; gebt dem Men¬
schen eine bestimmte reale Form, in der er sich geltend machen darf, gebt ihm eine
sittliche Idee, die ihn über die Scholle erhebt, so ist er geadelt.

Ihr Wiener "Herr von Friedmann" ist nicht die rechte Sorte. Es schmeckt
nach dem Kellner, dem Lakaien. Eben so wenig der plebejische Neid, der sich
gegen einen Vorzug empört, den er fühlt, ohne sich über ihn klar werden zu kön¬
nen, der heute seine erzwungenen tückischen Bücklinge vor dem Herrn macht, mor¬
gen, wo er in Masse ist, ihn höhnt, der auf die schönen Teppiche seinen Kauta¬
bak ausspeit, weil er zu Hause nur kahle Wände hat -- dieser gemeine Neid, der
in seiner abstracten Negation ebenso widerlich ist, als der kriechende Servilismus,
mit dem er Hand in Hand geht.

So wenig ich Ihnen nach dieser Erklärung als ein Demokrat vom reinsten
Wasser gelten werde, so wenig unbedingt würde der constitutionellen Partei meine
Gesinnung gefallen. Der Constitutionalismus, wie wir ihn von unsern Nachbarn
jenseit des Rhein überkommen haben, leidet an dem Fehler der meisten unserer
modernen Regierungsformen: er ist mit den Ideen des alten absoluten Staats
geschwängert. Selbst wo er der Autonomie der einzelnen Kreise Concessionen macht,
wo er also zwischen dem Föderalismus und der Centralisation zu vermitteln sucht,
sucht er doch den "Volksvertretern" ziemlich alle Functionen des öffentlichen Le¬
bens zu vindiciren. Diese "auf breitester demokratischer Grundlage, d. h. ohne


Himmel, diese Gerüche? In jedem Menschen steckt ein Gott und eine Bestie;
der Gott kommt zur Erscheinung in dem geordneten Instand der Gesellschaft; die
Bestie in der pöbelhafter Auflösung.

Sollte ich wählen zwischen Despotismus und Anarchie — persönlich wäre mir
die letztere lieber, denn der Despotismus drückt alle Freiheit zu Boden, und in
der Anarchie müßte es sehr schlimm stehn, wenn ein fester, gebildeter Wille nicht
auf die eine oder die andere Art sich geltend machen sollte. Aber als Historiker
gebe ich dem russischen System den Vorzug. Es kann blutiger, entsetzlicher sein;
aber man sieht doch Absicht und Verstand; man wird an die Menschheit erinnert,
wenn auch in einem krankhaften Zustand; aber in der Ochlokratie herrscht die reine
Dummheit, der absolute Blödsinn und dieser ist ein ekelhaftes Bild.

Sehen Sie, in Athen war jeder Freie adlig, bis durch die Demagogen die
Canaille siegte und alle Gesetze über den Haufen warf. Athen wäre zu Grunde
gegangen, wenn der Tyrann von Macedonien es nicht gerettet hätte. Wir in
Norddeutschland werden theilweise durch die Universitäten uobilitirt. Jede Prü¬
gelei ist gemein, das Duell dagegen gibt sittliches Selbstgefühl, man ist nicht blos
physische Masse, man steht dem Gegner als Person gegenüber, nicht im Ausbruch
des Zornes, sondern nach ruhiger Ueberlegung, in gesetzlichen Schranken, unter
anständigen Formen der Courtoisie. Indeß das ist blos äußerlich; gebt dem Men¬
schen eine bestimmte reale Form, in der er sich geltend machen darf, gebt ihm eine
sittliche Idee, die ihn über die Scholle erhebt, so ist er geadelt.

Ihr Wiener „Herr von Friedmann" ist nicht die rechte Sorte. Es schmeckt
nach dem Kellner, dem Lakaien. Eben so wenig der plebejische Neid, der sich
gegen einen Vorzug empört, den er fühlt, ohne sich über ihn klar werden zu kön¬
nen, der heute seine erzwungenen tückischen Bücklinge vor dem Herrn macht, mor¬
gen, wo er in Masse ist, ihn höhnt, der auf die schönen Teppiche seinen Kauta¬
bak ausspeit, weil er zu Hause nur kahle Wände hat — dieser gemeine Neid, der
in seiner abstracten Negation ebenso widerlich ist, als der kriechende Servilismus,
mit dem er Hand in Hand geht.

So wenig ich Ihnen nach dieser Erklärung als ein Demokrat vom reinsten
Wasser gelten werde, so wenig unbedingt würde der constitutionellen Partei meine
Gesinnung gefallen. Der Constitutionalismus, wie wir ihn von unsern Nachbarn
jenseit des Rhein überkommen haben, leidet an dem Fehler der meisten unserer
modernen Regierungsformen: er ist mit den Ideen des alten absoluten Staats
geschwängert. Selbst wo er der Autonomie der einzelnen Kreise Concessionen macht,
wo er also zwischen dem Föderalismus und der Centralisation zu vermitteln sucht,
sucht er doch den „Volksvertretern" ziemlich alle Functionen des öffentlichen Le¬
bens zu vindiciren. Diese „auf breitester demokratischer Grundlage, d. h. ohne


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[0450] Himmel, diese Gerüche? In jedem Menschen steckt ein Gott und eine Bestie; der Gott kommt zur Erscheinung in dem geordneten Instand der Gesellschaft; die Bestie in der pöbelhafter Auflösung. Sollte ich wählen zwischen Despotismus und Anarchie — persönlich wäre mir die letztere lieber, denn der Despotismus drückt alle Freiheit zu Boden, und in der Anarchie müßte es sehr schlimm stehn, wenn ein fester, gebildeter Wille nicht auf die eine oder die andere Art sich geltend machen sollte. Aber als Historiker gebe ich dem russischen System den Vorzug. Es kann blutiger, entsetzlicher sein; aber man sieht doch Absicht und Verstand; man wird an die Menschheit erinnert, wenn auch in einem krankhaften Zustand; aber in der Ochlokratie herrscht die reine Dummheit, der absolute Blödsinn und dieser ist ein ekelhaftes Bild. Sehen Sie, in Athen war jeder Freie adlig, bis durch die Demagogen die Canaille siegte und alle Gesetze über den Haufen warf. Athen wäre zu Grunde gegangen, wenn der Tyrann von Macedonien es nicht gerettet hätte. Wir in Norddeutschland werden theilweise durch die Universitäten uobilitirt. Jede Prü¬ gelei ist gemein, das Duell dagegen gibt sittliches Selbstgefühl, man ist nicht blos physische Masse, man steht dem Gegner als Person gegenüber, nicht im Ausbruch des Zornes, sondern nach ruhiger Ueberlegung, in gesetzlichen Schranken, unter anständigen Formen der Courtoisie. Indeß das ist blos äußerlich; gebt dem Men¬ schen eine bestimmte reale Form, in der er sich geltend machen darf, gebt ihm eine sittliche Idee, die ihn über die Scholle erhebt, so ist er geadelt. Ihr Wiener „Herr von Friedmann" ist nicht die rechte Sorte. Es schmeckt nach dem Kellner, dem Lakaien. Eben so wenig der plebejische Neid, der sich gegen einen Vorzug empört, den er fühlt, ohne sich über ihn klar werden zu kön¬ nen, der heute seine erzwungenen tückischen Bücklinge vor dem Herrn macht, mor¬ gen, wo er in Masse ist, ihn höhnt, der auf die schönen Teppiche seinen Kauta¬ bak ausspeit, weil er zu Hause nur kahle Wände hat — dieser gemeine Neid, der in seiner abstracten Negation ebenso widerlich ist, als der kriechende Servilismus, mit dem er Hand in Hand geht. So wenig ich Ihnen nach dieser Erklärung als ein Demokrat vom reinsten Wasser gelten werde, so wenig unbedingt würde der constitutionellen Partei meine Gesinnung gefallen. Der Constitutionalismus, wie wir ihn von unsern Nachbarn jenseit des Rhein überkommen haben, leidet an dem Fehler der meisten unserer modernen Regierungsformen: er ist mit den Ideen des alten absoluten Staats geschwängert. Selbst wo er der Autonomie der einzelnen Kreise Concessionen macht, wo er also zwischen dem Föderalismus und der Centralisation zu vermitteln sucht, sucht er doch den „Volksvertretern" ziemlich alle Functionen des öffentlichen Le¬ bens zu vindiciren. Diese „auf breitester demokratischer Grundlage, d. h. ohne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/450>, abgerufen am 17.06.2024.