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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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einzelnen Staaten geschehen, ist nicht bedeutend, ja zuweilen nicht einmal vor¬
theilhaft. In der Hast, lang gehegte und unterdrückte Wünsche realisirt zu sehen,
hat sich das junge Füllen unsrer Begeisterung überstürzt; und weil mau die Kreuz
und Quer gegen alles stürmte, was wie eine Schranke aussah, ist man in Ge¬
fahr gekommen auch blühende Zweige zu vernichten und barbarisch gerade da zu
verwüsten, wo man den Trieb hat Leben zu schaffen. Diese Gefahr ist groß und
es ist hohe Zeit dagegen aufzutreten.

Vorher ein Wort über den Höhenpunkt unserer Entwicklung. Man hat sonst
dem deutschen Volk die Fähigkeit bestritten, selbstthätig und kräftig Praktisches zu
gestalten; mit Unrecht. Der Deutsche hat sogar ungewöhnliche Kraft zu schaffen,
zu organisiren, aber es war von je ein Haken dabei. Während der Romane
leichtfertig und willkürlich über dem Stoff flatterte, in dem er zu arbeiten hatte,
vertiefte sich der deutsche behaglich bohrend so sehr hinein, daß er die übrige Welt
leicht vergaß. -- Deshalb zeigen alle Bildungen der deutschen Völkerseele wun¬
derbare Tiefe, Detailarbeit und Emsigkeit, eine Fülle von lebendigen Einzelheiten,
aber auch Jsolirung, schwachen Zusammenhang mit Freunden, exclusives Wesen.
Das läßt sich in alter Kunst und Wissenschaft nachweisen, wir haben hier nur mit
dem praktischen Geist zu thun, wie er sich im Recht und in den concreten Gebil¬
den des Staatslebens darstellt. Im alten Recht eine bezaubernde Fülle von le¬
bendiger Handlung, jedes Nechtsmoment ist dramatisch, präcis, bildlich, aber je¬
der Stand, jede Gemeinde hat ihr eigenes Recht, schließt sich ab gegen die Außen¬
welt in der Organisation der Städte, der Innungen, des Adels, welche Stärke,
welcher Reichthum an Formeln, Farben, Aktionen, Gesetzen, Gliederungen, aber
uach außen Alles isolirt, verschlossen, ja feindlich; durch ganz Deutschland welche
Masse, staatlicher Einheiten, wie künstlich und complicirt das ganze Lehnssystem
und doch, der Zusammenhang des ganzen Reiches wie schlottrig, unvollendet, feh¬
lerhaft. Daß wir noch jetzt einige "dreißig Staaten" haben, sei Beweis genug. --
Es kamen die Reformation, die Aufklärung, die Souveräne; die alten Bildun¬
gen waren versteinert, sie zeigten sich als Hemmnisse des neuen Geistes, sie wur¬
den rasirt, die Wallgraben der Städte und Burgen wurden zugeworfen, die
Straßen geöffnet, der Herr regierte das Ganze, das er sich geebnet; die Bildungs¬
kraft des Volkes ging in andere Bahnen. Der Deutsche wurde eben so starrkö¬
pfiger Theoretiker, als er sonst starrköpfiger Zunftmeister gewesen war, er vertiefte
sich in die Wissenschaft, wurde Systematiker. Kant, Hegel gründeten neue Bau¬
hütten. Das entgegengesetzte Gebiet des Schaffens, und doch dieselbe Weise,
dieselbe Einseitigkeit, dieselbe Jsolirung, dieselbe Nichtachtung alles dessen, was
nicht in die geschlossenen Mauern des Systems gehörte. Die Gesetze abstrakt, die
Negierung kalt verständig, die neuen Organisationen formale, äußerliche, es wurde
regiert, es wurde Freiheit gegeben, das heißt die Bevormundung aufgehoben, der
Souverain, König oder Volk wird das Absolute, der höchste Satz des Systems.


einzelnen Staaten geschehen, ist nicht bedeutend, ja zuweilen nicht einmal vor¬
theilhaft. In der Hast, lang gehegte und unterdrückte Wünsche realisirt zu sehen,
hat sich das junge Füllen unsrer Begeisterung überstürzt; und weil mau die Kreuz
und Quer gegen alles stürmte, was wie eine Schranke aussah, ist man in Ge¬
fahr gekommen auch blühende Zweige zu vernichten und barbarisch gerade da zu
verwüsten, wo man den Trieb hat Leben zu schaffen. Diese Gefahr ist groß und
es ist hohe Zeit dagegen aufzutreten.

Vorher ein Wort über den Höhenpunkt unserer Entwicklung. Man hat sonst
dem deutschen Volk die Fähigkeit bestritten, selbstthätig und kräftig Praktisches zu
gestalten; mit Unrecht. Der Deutsche hat sogar ungewöhnliche Kraft zu schaffen,
zu organisiren, aber es war von je ein Haken dabei. Während der Romane
leichtfertig und willkürlich über dem Stoff flatterte, in dem er zu arbeiten hatte,
vertiefte sich der deutsche behaglich bohrend so sehr hinein, daß er die übrige Welt
leicht vergaß. — Deshalb zeigen alle Bildungen der deutschen Völkerseele wun¬
derbare Tiefe, Detailarbeit und Emsigkeit, eine Fülle von lebendigen Einzelheiten,
aber auch Jsolirung, schwachen Zusammenhang mit Freunden, exclusives Wesen.
Das läßt sich in alter Kunst und Wissenschaft nachweisen, wir haben hier nur mit
dem praktischen Geist zu thun, wie er sich im Recht und in den concreten Gebil¬
den des Staatslebens darstellt. Im alten Recht eine bezaubernde Fülle von le¬
bendiger Handlung, jedes Nechtsmoment ist dramatisch, präcis, bildlich, aber je¬
der Stand, jede Gemeinde hat ihr eigenes Recht, schließt sich ab gegen die Außen¬
welt in der Organisation der Städte, der Innungen, des Adels, welche Stärke,
welcher Reichthum an Formeln, Farben, Aktionen, Gesetzen, Gliederungen, aber
uach außen Alles isolirt, verschlossen, ja feindlich; durch ganz Deutschland welche
Masse, staatlicher Einheiten, wie künstlich und complicirt das ganze Lehnssystem
und doch, der Zusammenhang des ganzen Reiches wie schlottrig, unvollendet, feh¬
lerhaft. Daß wir noch jetzt einige „dreißig Staaten" haben, sei Beweis genug. —
Es kamen die Reformation, die Aufklärung, die Souveräne; die alten Bildun¬
gen waren versteinert, sie zeigten sich als Hemmnisse des neuen Geistes, sie wur¬
den rasirt, die Wallgraben der Städte und Burgen wurden zugeworfen, die
Straßen geöffnet, der Herr regierte das Ganze, das er sich geebnet; die Bildungs¬
kraft des Volkes ging in andere Bahnen. Der Deutsche wurde eben so starrkö¬
pfiger Theoretiker, als er sonst starrköpfiger Zunftmeister gewesen war, er vertiefte
sich in die Wissenschaft, wurde Systematiker. Kant, Hegel gründeten neue Bau¬
hütten. Das entgegengesetzte Gebiet des Schaffens, und doch dieselbe Weise,
dieselbe Einseitigkeit, dieselbe Jsolirung, dieselbe Nichtachtung alles dessen, was
nicht in die geschlossenen Mauern des Systems gehörte. Die Gesetze abstrakt, die
Negierung kalt verständig, die neuen Organisationen formale, äußerliche, es wurde
regiert, es wurde Freiheit gegeben, das heißt die Bevormundung aufgehoben, der
Souverain, König oder Volk wird das Absolute, der höchste Satz des Systems.


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[0066] einzelnen Staaten geschehen, ist nicht bedeutend, ja zuweilen nicht einmal vor¬ theilhaft. In der Hast, lang gehegte und unterdrückte Wünsche realisirt zu sehen, hat sich das junge Füllen unsrer Begeisterung überstürzt; und weil mau die Kreuz und Quer gegen alles stürmte, was wie eine Schranke aussah, ist man in Ge¬ fahr gekommen auch blühende Zweige zu vernichten und barbarisch gerade da zu verwüsten, wo man den Trieb hat Leben zu schaffen. Diese Gefahr ist groß und es ist hohe Zeit dagegen aufzutreten. Vorher ein Wort über den Höhenpunkt unserer Entwicklung. Man hat sonst dem deutschen Volk die Fähigkeit bestritten, selbstthätig und kräftig Praktisches zu gestalten; mit Unrecht. Der Deutsche hat sogar ungewöhnliche Kraft zu schaffen, zu organisiren, aber es war von je ein Haken dabei. Während der Romane leichtfertig und willkürlich über dem Stoff flatterte, in dem er zu arbeiten hatte, vertiefte sich der deutsche behaglich bohrend so sehr hinein, daß er die übrige Welt leicht vergaß. — Deshalb zeigen alle Bildungen der deutschen Völkerseele wun¬ derbare Tiefe, Detailarbeit und Emsigkeit, eine Fülle von lebendigen Einzelheiten, aber auch Jsolirung, schwachen Zusammenhang mit Freunden, exclusives Wesen. Das läßt sich in alter Kunst und Wissenschaft nachweisen, wir haben hier nur mit dem praktischen Geist zu thun, wie er sich im Recht und in den concreten Gebil¬ den des Staatslebens darstellt. Im alten Recht eine bezaubernde Fülle von le¬ bendiger Handlung, jedes Nechtsmoment ist dramatisch, präcis, bildlich, aber je¬ der Stand, jede Gemeinde hat ihr eigenes Recht, schließt sich ab gegen die Außen¬ welt in der Organisation der Städte, der Innungen, des Adels, welche Stärke, welcher Reichthum an Formeln, Farben, Aktionen, Gesetzen, Gliederungen, aber uach außen Alles isolirt, verschlossen, ja feindlich; durch ganz Deutschland welche Masse, staatlicher Einheiten, wie künstlich und complicirt das ganze Lehnssystem und doch, der Zusammenhang des ganzen Reiches wie schlottrig, unvollendet, feh¬ lerhaft. Daß wir noch jetzt einige „dreißig Staaten" haben, sei Beweis genug. — Es kamen die Reformation, die Aufklärung, die Souveräne; die alten Bildun¬ gen waren versteinert, sie zeigten sich als Hemmnisse des neuen Geistes, sie wur¬ den rasirt, die Wallgraben der Städte und Burgen wurden zugeworfen, die Straßen geöffnet, der Herr regierte das Ganze, das er sich geebnet; die Bildungs¬ kraft des Volkes ging in andere Bahnen. Der Deutsche wurde eben so starrkö¬ pfiger Theoretiker, als er sonst starrköpfiger Zunftmeister gewesen war, er vertiefte sich in die Wissenschaft, wurde Systematiker. Kant, Hegel gründeten neue Bau¬ hütten. Das entgegengesetzte Gebiet des Schaffens, und doch dieselbe Weise, dieselbe Einseitigkeit, dieselbe Jsolirung, dieselbe Nichtachtung alles dessen, was nicht in die geschlossenen Mauern des Systems gehörte. Die Gesetze abstrakt, die Negierung kalt verständig, die neuen Organisationen formale, äußerliche, es wurde regiert, es wurde Freiheit gegeben, das heißt die Bevormundung aufgehoben, der Souverain, König oder Volk wird das Absolute, der höchste Satz des Systems.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/66>, abgerufen am 17.06.2024.