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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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mit passenden Subjecten zu besetzen. Der Hauptvortheil aber ist, daß er begreift,
was unsere Minister sämmtlich nicht verstehen, die Kunst, durch dramatische Effecte
die Masse zu leiten und daß er die innigste Ehrfurcht vor dem Geschmack und
den Launen des hochverehrten Publikums bekommt. Leider machen die stürmischen
Zeitläufte diese Vorbildung, die einzig gründliche, vor der Hand unmöglich.

Die Völker haben von je das Bedürfniß gefühlt, über ihre Götter zu lachen.
Jupiter stand unter dem Pantoffel, Thor mußte sich von den Riesen ganz nichts¬
würdig veziren lassen, und selbst Napoleon wurde zum "kleinen Corporal," uni
der Phantasie seiner Soldaten recht härtlich zu sein. Und die Völker danken es
durch rührende Anhänglichkeit, wenn sie hin und wieder das eigene Selbstgefühl
durch Erniedrigung ihrer Heiligen aufblasen dürfen. Wer seinem Volke ein Gott werden
will, soll den Punkt nicht außer Acht lassen. Er überlege sich, ob er irgend etwas
Komisches in seiner Erscheinung hat oder hineinbringen kann, etwa einen seltsam
gestutzten Bart, oder ein humoristisches Bäuchlein, oder eine große Nase, oder we¬
nigstens einen lächerlichen Zug um die Augen. Diese komische Seite soll er cul-
tiviren und dem Volke Preis geben und er wird den Vortheil überall merken,
Seine Popularität wird sich erstaunlich schnell befestigen, jedes edle Wort, das er
spricht, wird in dem unedlen Beiwerk seiner Erscheinung die schönste Folie finden,
und seine Neider und Feinde werden so viel Witze über seiue Nase oder seinen
Bauch zu sa reiben und zu zeichnen haben, daß sie darüber andere gefährlichere
Angriffe versäumen.

Während früher ein Minister leutselig sein mußte, um populär zu werden,
soll er sich jetzt, wo die größte Höflichkeit erwartet wird, zuweilen einer kräftigen
Grobheit befleißigen. Das souveräne Volk hat in diesem Angenblick wenig Respekt
vor Rang und hoher Stellung und hält in dem bcngelhasten Uebermuth seines
jungen Sieges Freundlichkeit leicht für Schwäche. Jeder Widerstand gegen seine
Launen wird es empören, und doch hegt es leisen Zweifel an seiner eigenen
Weisheit und eine stille Sehnsucht sich imponirt zu sehen und einen "ganzen
Mann" sich gegenüber zu stellen. Ein "ganzer Mann" aber nach dem Herzen
des Volkes kann diesem nicht angenehmer werden, als wenn er bei Gelegenheit
gegen eine Deputation des Volkes oder gegen einflußreiche Persönlichkeiten recht
sackgrob wird, d. h. den Eindruck sicherer Kraft macht. Solche Bescheide, wie:
Meine Herren, entweder sind Sie betrunken oder Sie halten mich für verrückt, in
beiden Fällen kann ich nicht mit Ihnen verhandeln, sind bewundernswerth, ent¬
zücken durch die liebenswürdige Ueberlegenheit, welche aus ihnen hervorscheint,
und fliegen, wie sonst reizende Bonmots, von Mund zu Munde. Kann der Herr
grob und zu gleicher Zeit witzig sein, so ist das vollends vortrefflich. Allerdings
muß er dabei gerade stark in seinem guten Recht sein und hohle Tröpfe zu Geg¬
nern haben. Gegen Männer aus dem Volke selbst wird er natürlich stets sein
und artig sprechen. Auch auf sein Costüm soll er wohl achten, geht er spazieren,


mit passenden Subjecten zu besetzen. Der Hauptvortheil aber ist, daß er begreift,
was unsere Minister sämmtlich nicht verstehen, die Kunst, durch dramatische Effecte
die Masse zu leiten und daß er die innigste Ehrfurcht vor dem Geschmack und
den Launen des hochverehrten Publikums bekommt. Leider machen die stürmischen
Zeitläufte diese Vorbildung, die einzig gründliche, vor der Hand unmöglich.

Die Völker haben von je das Bedürfniß gefühlt, über ihre Götter zu lachen.
Jupiter stand unter dem Pantoffel, Thor mußte sich von den Riesen ganz nichts¬
würdig veziren lassen, und selbst Napoleon wurde zum „kleinen Corporal," uni
der Phantasie seiner Soldaten recht härtlich zu sein. Und die Völker danken es
durch rührende Anhänglichkeit, wenn sie hin und wieder das eigene Selbstgefühl
durch Erniedrigung ihrer Heiligen aufblasen dürfen. Wer seinem Volke ein Gott werden
will, soll den Punkt nicht außer Acht lassen. Er überlege sich, ob er irgend etwas
Komisches in seiner Erscheinung hat oder hineinbringen kann, etwa einen seltsam
gestutzten Bart, oder ein humoristisches Bäuchlein, oder eine große Nase, oder we¬
nigstens einen lächerlichen Zug um die Augen. Diese komische Seite soll er cul-
tiviren und dem Volke Preis geben und er wird den Vortheil überall merken,
Seine Popularität wird sich erstaunlich schnell befestigen, jedes edle Wort, das er
spricht, wird in dem unedlen Beiwerk seiner Erscheinung die schönste Folie finden,
und seine Neider und Feinde werden so viel Witze über seiue Nase oder seinen
Bauch zu sa reiben und zu zeichnen haben, daß sie darüber andere gefährlichere
Angriffe versäumen.

Während früher ein Minister leutselig sein mußte, um populär zu werden,
soll er sich jetzt, wo die größte Höflichkeit erwartet wird, zuweilen einer kräftigen
Grobheit befleißigen. Das souveräne Volk hat in diesem Angenblick wenig Respekt
vor Rang und hoher Stellung und hält in dem bcngelhasten Uebermuth seines
jungen Sieges Freundlichkeit leicht für Schwäche. Jeder Widerstand gegen seine
Launen wird es empören, und doch hegt es leisen Zweifel an seiner eigenen
Weisheit und eine stille Sehnsucht sich imponirt zu sehen und einen „ganzen
Mann" sich gegenüber zu stellen. Ein „ganzer Mann" aber nach dem Herzen
des Volkes kann diesem nicht angenehmer werden, als wenn er bei Gelegenheit
gegen eine Deputation des Volkes oder gegen einflußreiche Persönlichkeiten recht
sackgrob wird, d. h. den Eindruck sicherer Kraft macht. Solche Bescheide, wie:
Meine Herren, entweder sind Sie betrunken oder Sie halten mich für verrückt, in
beiden Fällen kann ich nicht mit Ihnen verhandeln, sind bewundernswerth, ent¬
zücken durch die liebenswürdige Ueberlegenheit, welche aus ihnen hervorscheint,
und fliegen, wie sonst reizende Bonmots, von Mund zu Munde. Kann der Herr
grob und zu gleicher Zeit witzig sein, so ist das vollends vortrefflich. Allerdings
muß er dabei gerade stark in seinem guten Recht sein und hohle Tröpfe zu Geg¬
nern haben. Gegen Männer aus dem Volke selbst wird er natürlich stets sein
und artig sprechen. Auch auf sein Costüm soll er wohl achten, geht er spazieren,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/150>, abgerufen am 16.06.2024.