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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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mir zu demüthige,^ ich bin eben so wohlwollend, als ich geistreich bin. Ich muß
dabei bemerken, daß Herr Buffey eben so gut Hochdeutsch spricht, als Berlinisch,
er liebt es aber, gegen geringere Leute den Dialekt zu gebrauchen, denn es ist
eine Herablassung und thut wohl.

Herr Buffey ist gern auf Reisen; es ist seinem leicht receptivcn Wesen, seiner
Zerstreutheit und seiner weltbürgerlichen Freiheit angemessen. Aber er ist auch
beqnem, er läßt die fremden Gegenden lieber zu sich kommen, als daß er sich den
Mühseligkeiten einer beschwerlichen Wanderung unterzöge. Sie haben ihm eine ma^
lerische Reise durch's Zimmer eingerichtet, so hat er Constantinopel, die Alpen
und die römischen Sicbenhügel ohne Mühe vor sich. In: Monbijou ist er mitten
unter ägyptischen Mumien, bei Gropius in der blauen Grotte ohne Lebensgefahr.
Berlin bleibt das Centrum, um dessentwillen in barbarischen Gegenden die Wun¬
der der Schöpfung aufwachsen. Das Theater kommt hier gut zu statten; Herr
Schneider, der in 24 lebenden Sprachen, die deutsche abgerechnet, stammeln kann,
hat eine neue Kunstform erfunden, die Genrebilder, in denen Spanier, Franzosen,
Engländer und andere Fremde halb deutsch radebrcchcn. Herr Buffey freut sich,
wenn er die Ausländer in seiner eigenen Sprache radebrechen hört, die er selber
ohne Mühe so geläufig redet. Schon früher hat er den Kotzebue dem Iffland
vorgezogen, denn Jener gab in seinen Dramen eine Guckkasteureise um die Welt,
während sich Jffland im Kreise unansehnlicher Häuslichkeit bewegte.

Warum Herr Buffey denn noch eigentlich auf Reisen geht, nachdem er zu
Hanse alles viel besser gesehen, ist schwer zu sagen. Er weiß es selber uicht. Er
findet auch nichts Neues, er sieht hin, weil er es für seine Pflicht hält, aber er
hat von vornherein das Gefühl, den wahren Extract aller Natur- und Kunstschönheit
bei Gropius schon genossen zu haben. Er ist den Leuten in der Fremde sehr unbequem,
weil er nicht mit Liebe ans ihre Schätze eingeht, sondern sich damit begnügt, in
vornehmer Oberflächlichkeit darüber hinwegzuhuschen, sein Geist ist bei Gnngl und
im Thiergarten. Er belehrt überall, denn er ist gern hilfreich, er wird alles besser
bewirthschaften, besser regieren, besser ausdrücken. In alter Zeit war Nicolai
der Typus des Berliners; er reiste überall herum und fiel überall durch gute Leh¬
ren lästig; und' wenn in der Dichtkunst oder der Philosophie etwas neues auf¬
tauchte, so war er rasch darüber her, wußte alles besser zu sagen und beleidigte
selbst, wenn er lobte, denn er lobte von Oben herab. Darum verschwor sich
Alles gegen ihn, Schiller, Goethe, Fichte, die Mystiker, die Theologen und die
Atheisten. Die Naturkraft, die sich fühlte, protestirte gegen die Abstraction der Ber¬
liner Kritik. Man hat zuletzt aus dem alten ehrliche" Manne eine Vogelscheuche
gemacht, mau hat vergessen, daß er in vielen Fällen recht hatte. Zudem war es
ihm ernst um seine Sache, es kränkte ihn herzlich, daß die übrige Menschheit nicht
eben so aufgeklärt wäre als er und seine Bibliothek. Er hätte gern die ganze
Welt so weise und vollkommen gemacht, als er sich fühlte. In sofern war er doch


mir zu demüthige,^ ich bin eben so wohlwollend, als ich geistreich bin. Ich muß
dabei bemerken, daß Herr Buffey eben so gut Hochdeutsch spricht, als Berlinisch,
er liebt es aber, gegen geringere Leute den Dialekt zu gebrauchen, denn es ist
eine Herablassung und thut wohl.

Herr Buffey ist gern auf Reisen; es ist seinem leicht receptivcn Wesen, seiner
Zerstreutheit und seiner weltbürgerlichen Freiheit angemessen. Aber er ist auch
beqnem, er läßt die fremden Gegenden lieber zu sich kommen, als daß er sich den
Mühseligkeiten einer beschwerlichen Wanderung unterzöge. Sie haben ihm eine ma^
lerische Reise durch's Zimmer eingerichtet, so hat er Constantinopel, die Alpen
und die römischen Sicbenhügel ohne Mühe vor sich. In: Monbijou ist er mitten
unter ägyptischen Mumien, bei Gropius in der blauen Grotte ohne Lebensgefahr.
Berlin bleibt das Centrum, um dessentwillen in barbarischen Gegenden die Wun¬
der der Schöpfung aufwachsen. Das Theater kommt hier gut zu statten; Herr
Schneider, der in 24 lebenden Sprachen, die deutsche abgerechnet, stammeln kann,
hat eine neue Kunstform erfunden, die Genrebilder, in denen Spanier, Franzosen,
Engländer und andere Fremde halb deutsch radebrcchcn. Herr Buffey freut sich,
wenn er die Ausländer in seiner eigenen Sprache radebrechen hört, die er selber
ohne Mühe so geläufig redet. Schon früher hat er den Kotzebue dem Iffland
vorgezogen, denn Jener gab in seinen Dramen eine Guckkasteureise um die Welt,
während sich Jffland im Kreise unansehnlicher Häuslichkeit bewegte.

Warum Herr Buffey denn noch eigentlich auf Reisen geht, nachdem er zu
Hanse alles viel besser gesehen, ist schwer zu sagen. Er weiß es selber uicht. Er
findet auch nichts Neues, er sieht hin, weil er es für seine Pflicht hält, aber er
hat von vornherein das Gefühl, den wahren Extract aller Natur- und Kunstschönheit
bei Gropius schon genossen zu haben. Er ist den Leuten in der Fremde sehr unbequem,
weil er nicht mit Liebe ans ihre Schätze eingeht, sondern sich damit begnügt, in
vornehmer Oberflächlichkeit darüber hinwegzuhuschen, sein Geist ist bei Gnngl und
im Thiergarten. Er belehrt überall, denn er ist gern hilfreich, er wird alles besser
bewirthschaften, besser regieren, besser ausdrücken. In alter Zeit war Nicolai
der Typus des Berliners; er reiste überall herum und fiel überall durch gute Leh¬
ren lästig; und' wenn in der Dichtkunst oder der Philosophie etwas neues auf¬
tauchte, so war er rasch darüber her, wußte alles besser zu sagen und beleidigte
selbst, wenn er lobte, denn er lobte von Oben herab. Darum verschwor sich
Alles gegen ihn, Schiller, Goethe, Fichte, die Mystiker, die Theologen und die
Atheisten. Die Naturkraft, die sich fühlte, protestirte gegen die Abstraction der Ber¬
liner Kritik. Man hat zuletzt aus dem alten ehrliche» Manne eine Vogelscheuche
gemacht, mau hat vergessen, daß er in vielen Fällen recht hatte. Zudem war es
ihm ernst um seine Sache, es kränkte ihn herzlich, daß die übrige Menschheit nicht
eben so aufgeklärt wäre als er und seine Bibliothek. Er hätte gern die ganze
Welt so weise und vollkommen gemacht, als er sich fühlte. In sofern war er doch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/16>, abgerufen am 24.05.2024.