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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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lichkeit des Volkes durchdringt auch die Burleske. Der Berliner dagegen ist über
alles hinaus, und das gilt bereits in den untersten Schichten; er weiß mit sei¬
nem eignen Pathos zu spielen und wendet mitten in der Hitze der Leidenschaft
die Ironie gegen seinen eignen Glauben. Ich will damit nicht sagen, daß diese
zur Schau getragene Gefinnungs - und Gemüthlosigkeit so ganz im Ernst zu
nehmen sei; ein Bodensatz angebornen oder anerzogenen ethischen Inhalts bleibt
auch in dem Renommisten der Frivolität und Blasirtheit; aber einerseits zeugt ein
solches Wesen für die grenzenlose Zerstreutheit, die sich in das ganze Universum
verliert, um überall flüchtige Guckkastenbilder zu haschen, ohne sich irgendwo mit
dem Herzen zu betheiligen; andrerseits spricht es für eine Unreife des Charakters,
sein Gefühl gleichsam zu fürchten und sich durch äußerlichen Witz von ihm zu
befreien.

Ein Institut, wie die Weinstube von Louis Drucker, der seine Gäste da¬
mit unterhielt, sich alle Abende vor ihnen zum Narren zu machen, würde sich in
einer andern Stadt schwerlich so lange Zeit gehalten haben. Es war weniger das
reine Behagen an der Burleske, als das superiore Bewußtsein, über die Späße
eines gemeinen Kerls zu lachen. Der Hanswurst hat seine Berechtigung nur, wo
in seiner eignen Natur eine gewisse Elassizität der Freiheit das fehlende Positive
ersetzt; dem gemüthlosen, abstract zuschauenden Circus gegenüber ist Fallstaff keine
poetische Figur.

In den kleinen Heften von Brennglas und Anderen, im Geist der Ecken¬
steher geschrieben, wird die ganze Zeitgeschichte in einem komischen Puppenthea¬
ter dem souverän über der Zeitflnth erhabenen Berlin vorgeführt. Die Komik
wird dadurch hervorgebracht, daß Alles verdreht wird. Die Münchner fliegenden
Blätter persiffliren anch die ganze Welt, aber sie idealisiren zugleich, was sie ko¬
misch vernichten; ihre Eommunistenchefs, ihre Soldaten können für die Persifflirten
kränkend genug sein, sie haben aber ein inneres Leben und poetische Berechtigung,
sie sind wirkliche concrete Gestalten. In den Berliner Witzen ist dagegen die ein
zige positive Figur der Berliner selbst, Rande, Bnssey oder wie er sich sonst nennt,
der über sein eignes Wesen den Spaß gar wohl verträgt, Alles andere ist Ab
stractiou und gestaltloser Schemen, es ist nicht für sich, sondern nur des Witzes
weaen^da, nur von der Seite da, wo der Witz es treffen soll.

"Diese rein äußerliche Richtung der Komik untergräbt die plastische Kraft, die
sonst namentlich in den niedern Ständen sehr wohl vorhanden ist. Ich hörte in
einer großen Volksversammlung einige Handwerker über die Noth der armen Leute
klagen, und daß die Regierung nichts gethan habe, ihre Lasten zu erleichtern.
Als der Eine die Ermäßigung der Salzsteuer anführte, fuhr der Andere heftig
los: Was thun wir mit dem Salz, wenn wir kein Fleisch haben? wir können
nur unsern eignen Magen damit einpökeln und ihn den Winter über in den Keller
legen. -- Das war uicht gesagt, einen Witz "" macheu, er rief es in der Be-


lichkeit des Volkes durchdringt auch die Burleske. Der Berliner dagegen ist über
alles hinaus, und das gilt bereits in den untersten Schichten; er weiß mit sei¬
nem eignen Pathos zu spielen und wendet mitten in der Hitze der Leidenschaft
die Ironie gegen seinen eignen Glauben. Ich will damit nicht sagen, daß diese
zur Schau getragene Gefinnungs - und Gemüthlosigkeit so ganz im Ernst zu
nehmen sei; ein Bodensatz angebornen oder anerzogenen ethischen Inhalts bleibt
auch in dem Renommisten der Frivolität und Blasirtheit; aber einerseits zeugt ein
solches Wesen für die grenzenlose Zerstreutheit, die sich in das ganze Universum
verliert, um überall flüchtige Guckkastenbilder zu haschen, ohne sich irgendwo mit
dem Herzen zu betheiligen; andrerseits spricht es für eine Unreife des Charakters,
sein Gefühl gleichsam zu fürchten und sich durch äußerlichen Witz von ihm zu
befreien.

Ein Institut, wie die Weinstube von Louis Drucker, der seine Gäste da¬
mit unterhielt, sich alle Abende vor ihnen zum Narren zu machen, würde sich in
einer andern Stadt schwerlich so lange Zeit gehalten haben. Es war weniger das
reine Behagen an der Burleske, als das superiore Bewußtsein, über die Späße
eines gemeinen Kerls zu lachen. Der Hanswurst hat seine Berechtigung nur, wo
in seiner eignen Natur eine gewisse Elassizität der Freiheit das fehlende Positive
ersetzt; dem gemüthlosen, abstract zuschauenden Circus gegenüber ist Fallstaff keine
poetische Figur.

In den kleinen Heften von Brennglas und Anderen, im Geist der Ecken¬
steher geschrieben, wird die ganze Zeitgeschichte in einem komischen Puppenthea¬
ter dem souverän über der Zeitflnth erhabenen Berlin vorgeführt. Die Komik
wird dadurch hervorgebracht, daß Alles verdreht wird. Die Münchner fliegenden
Blätter persiffliren anch die ganze Welt, aber sie idealisiren zugleich, was sie ko¬
misch vernichten; ihre Eommunistenchefs, ihre Soldaten können für die Persifflirten
kränkend genug sein, sie haben aber ein inneres Leben und poetische Berechtigung,
sie sind wirkliche concrete Gestalten. In den Berliner Witzen ist dagegen die ein
zige positive Figur der Berliner selbst, Rande, Bnssey oder wie er sich sonst nennt,
der über sein eignes Wesen den Spaß gar wohl verträgt, Alles andere ist Ab
stractiou und gestaltloser Schemen, es ist nicht für sich, sondern nur des Witzes
weaen^da, nur von der Seite da, wo der Witz es treffen soll.

»Diese rein äußerliche Richtung der Komik untergräbt die plastische Kraft, die
sonst namentlich in den niedern Ständen sehr wohl vorhanden ist. Ich hörte in
einer großen Volksversammlung einige Handwerker über die Noth der armen Leute
klagen, und daß die Regierung nichts gethan habe, ihre Lasten zu erleichtern.
Als der Eine die Ermäßigung der Salzsteuer anführte, fuhr der Andere heftig
los: Was thun wir mit dem Salz, wenn wir kein Fleisch haben? wir können
nur unsern eignen Magen damit einpökeln und ihn den Winter über in den Keller
legen. — Das war uicht gesagt, einen Witz »» macheu, er rief es in der Be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/20>, abgerufen am 18.05.2024.