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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Worin besteht die Genialität, das Unnahbare dieser "poetischen Figuren?" Le¬
diglich in dem Bewußtsein frei zu sein von den Bedürfnissen, der Liebe und dem
Glauben des Pöbels; d. h. in ihrer Inhaltlosigkeit. Sie verehren beiläufig den
Katholicismus des Mittelalters, die Musik u. s. w., aber nur, weil das "Caviar
ist fürs Volk!" die Ironie des Theetisches, die aus ihrem eigenen Kreise nicht
herauskommt!

Das war der Unterschied; die Süddeutschen hielten sich an die positiven,
aber nur zufälligen Glaubensartikel der Romantiker: verlassene Burgen, Muttcrgot-
tesbildcr, Sehnen und Wahren, Somnambulismus u. tgi.: die Berliner an ihren
wesentlichen Inhalt: die absolute in ihren eigenen Cirkel zurückkehrende Ironie.
Als der "aus dem Schlamm der Sünde durch Gottes Gnade wunderbar empor¬
gehobene" Prophet Zacharias Werner nach Berlin kam, in der Erwartung, der
herrliche Bund der Edlen, der schonen Seelen, der unverständlichen Naturen
gegen den Pöbel werde nun sofort ins Leben treten, wurde er in seiner inner¬
lichen Ostpreußischen Natur höchlich scandalisirt, als er sah, daß diese Verkünder
eines neuen Evangeliums mit der Sache nur Spaß trieben, daß sie die sinnliche
Realität des Champagners und liebenswürdiger Phrynen mit eben so viel In¬
teresse als Gewandheit verarbeiteten und nur in den Mußestunden gelegentlich
einige Redensarten von dem Schmerz edler Seelen, nie begriffen zu werden, fallen
ließen. Dem Genialen ist alles genial, auch der Schmutz des Lebens! Das war
der erste große Glaubensartikel, auf den sich alle übrigen des Katechismus leicht
zurückführen ließen. Herr Buffey unterhält sich auch mit schlechtem Volk, aber
er trägt das Bewußtsein seines Jncognito unter der Westentasche.

In jenen Zeiten (1802) hielt A. W. Schlegel, der classische Kritiker der
Schule, einem Berliner hohen Adel und gebildeten Publikum jene berühmten Vor¬
lesungen, die er später in der "Europa" hat abdrucken lassen. Weiter kann man
nicht über alles hinaus sein als es hier der Sänger des Arion war. Er fand
in Europa alles miserabel, es geschehe kein Wunder mehr, keine Turniere wür¬
den gehalten, die Astrologie, die Magie wären abgekommen, mit dem Magnetis¬
mus war auch nicht viel Staat zu machen, die katholische Kirche hatte zwar die
besten Intentionen, aber was wollte sie thun bei ihrem beschränkten Gesichtskreis
und der klimatischen Unfähigkeit Europas zur Religion! Nach Indien müsse man
Pilgern, wenn man Religion sehen wolle; dort säßen noch die Braminen, in hei¬
liger Andacht ans ihre Nasenspitze blickend und murmelten leise und sinnig Ohm
dazu; sie ließen sich in still passiver Beschaulichkeit vom Weltgeist durchdringen.
Dort höre man noch die Teufclsstimme in Ceylon, dort wachse der Weihrauch, dort
trenne man noch die Kaste der Eingeweihten, der schönen Seelen, durch strenge
Gesetze von dem Pöbel der Parias! Was wird sich Herr Buffey vollkommen vor¬
gekommen sein, als er so weit über ganz Europa hinaus war!

In derselben Zeit feierte Herr Friedrich Genz in Berlin die Orgien,


Worin besteht die Genialität, das Unnahbare dieser „poetischen Figuren?" Le¬
diglich in dem Bewußtsein frei zu sein von den Bedürfnissen, der Liebe und dem
Glauben des Pöbels; d. h. in ihrer Inhaltlosigkeit. Sie verehren beiläufig den
Katholicismus des Mittelalters, die Musik u. s. w., aber nur, weil das „Caviar
ist fürs Volk!" die Ironie des Theetisches, die aus ihrem eigenen Kreise nicht
herauskommt!

Das war der Unterschied; die Süddeutschen hielten sich an die positiven,
aber nur zufälligen Glaubensartikel der Romantiker: verlassene Burgen, Muttcrgot-
tesbildcr, Sehnen und Wahren, Somnambulismus u. tgi.: die Berliner an ihren
wesentlichen Inhalt: die absolute in ihren eigenen Cirkel zurückkehrende Ironie.
Als der „aus dem Schlamm der Sünde durch Gottes Gnade wunderbar empor¬
gehobene" Prophet Zacharias Werner nach Berlin kam, in der Erwartung, der
herrliche Bund der Edlen, der schonen Seelen, der unverständlichen Naturen
gegen den Pöbel werde nun sofort ins Leben treten, wurde er in seiner inner¬
lichen Ostpreußischen Natur höchlich scandalisirt, als er sah, daß diese Verkünder
eines neuen Evangeliums mit der Sache nur Spaß trieben, daß sie die sinnliche
Realität des Champagners und liebenswürdiger Phrynen mit eben so viel In¬
teresse als Gewandheit verarbeiteten und nur in den Mußestunden gelegentlich
einige Redensarten von dem Schmerz edler Seelen, nie begriffen zu werden, fallen
ließen. Dem Genialen ist alles genial, auch der Schmutz des Lebens! Das war
der erste große Glaubensartikel, auf den sich alle übrigen des Katechismus leicht
zurückführen ließen. Herr Buffey unterhält sich auch mit schlechtem Volk, aber
er trägt das Bewußtsein seines Jncognito unter der Westentasche.

In jenen Zeiten (1802) hielt A. W. Schlegel, der classische Kritiker der
Schule, einem Berliner hohen Adel und gebildeten Publikum jene berühmten Vor¬
lesungen, die er später in der „Europa" hat abdrucken lassen. Weiter kann man
nicht über alles hinaus sein als es hier der Sänger des Arion war. Er fand
in Europa alles miserabel, es geschehe kein Wunder mehr, keine Turniere wür¬
den gehalten, die Astrologie, die Magie wären abgekommen, mit dem Magnetis¬
mus war auch nicht viel Staat zu machen, die katholische Kirche hatte zwar die
besten Intentionen, aber was wollte sie thun bei ihrem beschränkten Gesichtskreis
und der klimatischen Unfähigkeit Europas zur Religion! Nach Indien müsse man
Pilgern, wenn man Religion sehen wolle; dort säßen noch die Braminen, in hei¬
liger Andacht ans ihre Nasenspitze blickend und murmelten leise und sinnig Ohm
dazu; sie ließen sich in still passiver Beschaulichkeit vom Weltgeist durchdringen.
Dort höre man noch die Teufclsstimme in Ceylon, dort wachse der Weihrauch, dort
trenne man noch die Kaste der Eingeweihten, der schönen Seelen, durch strenge
Gesetze von dem Pöbel der Parias! Was wird sich Herr Buffey vollkommen vor¬
gekommen sein, als er so weit über ganz Europa hinaus war!

In derselben Zeit feierte Herr Friedrich Genz in Berlin die Orgien,


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[0022] Worin besteht die Genialität, das Unnahbare dieser „poetischen Figuren?" Le¬ diglich in dem Bewußtsein frei zu sein von den Bedürfnissen, der Liebe und dem Glauben des Pöbels; d. h. in ihrer Inhaltlosigkeit. Sie verehren beiläufig den Katholicismus des Mittelalters, die Musik u. s. w., aber nur, weil das „Caviar ist fürs Volk!" die Ironie des Theetisches, die aus ihrem eigenen Kreise nicht herauskommt! Das war der Unterschied; die Süddeutschen hielten sich an die positiven, aber nur zufälligen Glaubensartikel der Romantiker: verlassene Burgen, Muttcrgot- tesbildcr, Sehnen und Wahren, Somnambulismus u. tgi.: die Berliner an ihren wesentlichen Inhalt: die absolute in ihren eigenen Cirkel zurückkehrende Ironie. Als der „aus dem Schlamm der Sünde durch Gottes Gnade wunderbar empor¬ gehobene" Prophet Zacharias Werner nach Berlin kam, in der Erwartung, der herrliche Bund der Edlen, der schonen Seelen, der unverständlichen Naturen gegen den Pöbel werde nun sofort ins Leben treten, wurde er in seiner inner¬ lichen Ostpreußischen Natur höchlich scandalisirt, als er sah, daß diese Verkünder eines neuen Evangeliums mit der Sache nur Spaß trieben, daß sie die sinnliche Realität des Champagners und liebenswürdiger Phrynen mit eben so viel In¬ teresse als Gewandheit verarbeiteten und nur in den Mußestunden gelegentlich einige Redensarten von dem Schmerz edler Seelen, nie begriffen zu werden, fallen ließen. Dem Genialen ist alles genial, auch der Schmutz des Lebens! Das war der erste große Glaubensartikel, auf den sich alle übrigen des Katechismus leicht zurückführen ließen. Herr Buffey unterhält sich auch mit schlechtem Volk, aber er trägt das Bewußtsein seines Jncognito unter der Westentasche. In jenen Zeiten (1802) hielt A. W. Schlegel, der classische Kritiker der Schule, einem Berliner hohen Adel und gebildeten Publikum jene berühmten Vor¬ lesungen, die er später in der „Europa" hat abdrucken lassen. Weiter kann man nicht über alles hinaus sein als es hier der Sänger des Arion war. Er fand in Europa alles miserabel, es geschehe kein Wunder mehr, keine Turniere wür¬ den gehalten, die Astrologie, die Magie wären abgekommen, mit dem Magnetis¬ mus war auch nicht viel Staat zu machen, die katholische Kirche hatte zwar die besten Intentionen, aber was wollte sie thun bei ihrem beschränkten Gesichtskreis und der klimatischen Unfähigkeit Europas zur Religion! Nach Indien müsse man Pilgern, wenn man Religion sehen wolle; dort säßen noch die Braminen, in hei¬ liger Andacht ans ihre Nasenspitze blickend und murmelten leise und sinnig Ohm dazu; sie ließen sich in still passiver Beschaulichkeit vom Weltgeist durchdringen. Dort höre man noch die Teufclsstimme in Ceylon, dort wachse der Weihrauch, dort trenne man noch die Kaste der Eingeweihten, der schönen Seelen, durch strenge Gesetze von dem Pöbel der Parias! Was wird sich Herr Buffey vollkommen vor¬ gekommen sein, als er so weit über ganz Europa hinaus war! In derselben Zeit feierte Herr Friedrich Genz in Berlin die Orgien,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/22>, abgerufen am 24.05.2024.