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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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fängt das Berliner Bewußtsein an, über den Standpunkt des Herrn Sydow,
des bedeutendsten unter den Schleiermacheriauern, der das absolute Recht der
Revolution, d. h. das Faustrecht, nicht unbedingt anerkennen will, weit, weit
hinaus zu sein.

Die Schule Schleiermachers als Feindin alles Formalismus und als Ver¬
treterin des instinctiven Gefühls gegen die alleinige Herrschaft des Verstandes,
bildete ein wesentliches Gegengewicht gegen den Hegelianismus in Berlin. Sie
pvetisirte die Religion und löste die Theologie auf, während dieser die ganze
Religion in Theologie, d. h. in ein abstraktes Gcdankennetz einzufangen un¬
ternahm. Ein anderer principieller Gegensatz war die historisch-juristische Schule,
die sich ziemlich in der gleichen Zeit in Berlin festsetzte. Indeß der doctrinaire
Ernst auf beiden Seiten war dem eigentlichen Berliner zuwider, weder Hegel
noch Savigny waren eigentlich populäre Charaktere. Dagegen floß von ihren
Apercus eine große Fülle in alle Bildungsstufen über, und selbst die Verächter
der Philosophie und des Dogmatismus überhaupt wußten mit dem fremden
Pfunde gar wohl zu wuchern. Es wurde Sitte in der Literatur, pikant und mit
Anstand geistreich zu sein. Die ernste Wissenschaft wie die poetischen Tendenzen
des Lebens mußten der Belletristik dienen. Es galt nicht mehr für Pflicht des
Staatsmannes, Großes zu erreichen, sondern in großen Verhältnissen sich mit schick¬
licher Heiterkeit zu bewegen wie die Figuren der Goethescher Romane und Tra¬
gödien. So saßte der größte der Berliner Historiker, Leopold Ranke, die Ge¬
schichte auf, mit feinem geistreichen Lächeln, mit der Ironie der freieren Bildung
verfolgte er die furchtbare Erscheinung geschichtlicher Leidenschaft, und fand in der
Diplomatie den Schlüssel für die Räthsel des Weltgeistes. Die Schüler Ranke's
schmunzelten nicht gerade bei dem Anblick der Revolutionen und Schlachten, wie
Herr Buffey, dazu waren sie zu gebildet, aber darüber hinaus waren sie ebenso wie
ihr derberer Landsmann.

Die klassische Zeit Berlins beginnt mit dem Jahr 1840. Der vorige Kö¬
nig war altpreußisch, ein gewissenhafter Verwalter und strenger Militair, das
Staatsleben hatte zu wenig Esprit, der Geist mußte sich ins Privatleben, in Ra-
hels Salons und allenfalls in die Catheder flüchten. Mit dem Jahre 1840 wurde
das gesammte Staatsleben mit Geist und zwar mit Berliner Geist durchtränkt.
Die Negierung imponirte den Unterthanen nicht mehr durch brutale Uebermacht,
sondern durch Witz, Doctrin und oratorisches Feuer. Die Romantik hatte sich in der
Restauration zur historisch-theologisch-juristischen Schule consolidirt, nun wurden der
schule die Portefeuille's übertragen. Zwar liebte der Hof die Marmorstatuen
und Orcmgerieeu von Sans-souci, wegen der Reminiscenz an den größten der
Hohenzollern, aber der neue Geist durchdrang doch mehr das umfangreiche Berlin
als das aristokratische Potsdamer Garnisonleben. Der König, Niebuhrs Schüler
und Tieck s Bewunderer war mehr als je ein Fürst die Seele der Negierung; Preu-


fängt das Berliner Bewußtsein an, über den Standpunkt des Herrn Sydow,
des bedeutendsten unter den Schleiermacheriauern, der das absolute Recht der
Revolution, d. h. das Faustrecht, nicht unbedingt anerkennen will, weit, weit
hinaus zu sein.

Die Schule Schleiermachers als Feindin alles Formalismus und als Ver¬
treterin des instinctiven Gefühls gegen die alleinige Herrschaft des Verstandes,
bildete ein wesentliches Gegengewicht gegen den Hegelianismus in Berlin. Sie
pvetisirte die Religion und löste die Theologie auf, während dieser die ganze
Religion in Theologie, d. h. in ein abstraktes Gcdankennetz einzufangen un¬
ternahm. Ein anderer principieller Gegensatz war die historisch-juristische Schule,
die sich ziemlich in der gleichen Zeit in Berlin festsetzte. Indeß der doctrinaire
Ernst auf beiden Seiten war dem eigentlichen Berliner zuwider, weder Hegel
noch Savigny waren eigentlich populäre Charaktere. Dagegen floß von ihren
Apercus eine große Fülle in alle Bildungsstufen über, und selbst die Verächter
der Philosophie und des Dogmatismus überhaupt wußten mit dem fremden
Pfunde gar wohl zu wuchern. Es wurde Sitte in der Literatur, pikant und mit
Anstand geistreich zu sein. Die ernste Wissenschaft wie die poetischen Tendenzen
des Lebens mußten der Belletristik dienen. Es galt nicht mehr für Pflicht des
Staatsmannes, Großes zu erreichen, sondern in großen Verhältnissen sich mit schick¬
licher Heiterkeit zu bewegen wie die Figuren der Goethescher Romane und Tra¬
gödien. So saßte der größte der Berliner Historiker, Leopold Ranke, die Ge¬
schichte auf, mit feinem geistreichen Lächeln, mit der Ironie der freieren Bildung
verfolgte er die furchtbare Erscheinung geschichtlicher Leidenschaft, und fand in der
Diplomatie den Schlüssel für die Räthsel des Weltgeistes. Die Schüler Ranke's
schmunzelten nicht gerade bei dem Anblick der Revolutionen und Schlachten, wie
Herr Buffey, dazu waren sie zu gebildet, aber darüber hinaus waren sie ebenso wie
ihr derberer Landsmann.

Die klassische Zeit Berlins beginnt mit dem Jahr 1840. Der vorige Kö¬
nig war altpreußisch, ein gewissenhafter Verwalter und strenger Militair, das
Staatsleben hatte zu wenig Esprit, der Geist mußte sich ins Privatleben, in Ra-
hels Salons und allenfalls in die Catheder flüchten. Mit dem Jahre 1840 wurde
das gesammte Staatsleben mit Geist und zwar mit Berliner Geist durchtränkt.
Die Negierung imponirte den Unterthanen nicht mehr durch brutale Uebermacht,
sondern durch Witz, Doctrin und oratorisches Feuer. Die Romantik hatte sich in der
Restauration zur historisch-theologisch-juristischen Schule consolidirt, nun wurden der
schule die Portefeuille's übertragen. Zwar liebte der Hof die Marmorstatuen
und Orcmgerieeu von Sans-souci, wegen der Reminiscenz an den größten der
Hohenzollern, aber der neue Geist durchdrang doch mehr das umfangreiche Berlin
als das aristokratische Potsdamer Garnisonleben. Der König, Niebuhrs Schüler
und Tieck s Bewunderer war mehr als je ein Fürst die Seele der Negierung; Preu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/27>, abgerufen am 18.05.2024.