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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Oestreichs Zukunft.
Ein Brief an den k. s. Staatsminister Freiherrn von Pillersdorf.



Die Zukunft, ja die Existenz des Kaiserstaates hängt in diesem Augenblick
zumeist davon ab, ob Ew. Excellenz und die Staatsmänner, welche mit Ihnen
das Steuer des Schiffes im Sturme ergriffen haben, den östreichischen Staat in
seiner jetzigen landschaftlichen Ausdehnung für zu groß oder zu klein halten. Ihre
Ueberzeugungen darin sind bei weitem verhängnißvoller, als die gegenwärtige
Aufregung und die drohende Lage der Finanzen, denn die Politik nach Außen
sowohl, als die Constituirung des Landes hängen davon ab; und Ihre staatsmän¬
nische Einsicht, in der Mitte zwischen den leidenschaftlichen Forderungen eines em¬
pörten Rechtsgefühls, und zwischen stupiden Nationalitätsgelüsten und Separations¬
wünschen, kann den schwierigen Kampf der Gegensätze nur dann überwinden, wenn
Ihre Ansichten über Idee und Aufgabe Oestreichs in der Entwicklung der euro¬
päischen Völker die richtigen sind.

Von vorn herein sehe ich von Italien ab. In der That glaube ich nicht,
daß Ihr Ministerium die alte Hohenstaufenpolitik, Italien zu beherrschen, noch
für nützlich hält. Denn es ist klar, daß bei dem jetzigen Standpunkt nationaler
Entwickelung Italien viel mehr und fester zu Oestreich gehören wird, wenn eS
Politisch frei, als wenn es ihm unterworfen ist. Sobald die Lombardei und Ve¬
nedig sich selbst überlassen sind, wird Italien einer gefährlichern Schwäche anheim
fallen, als irgend ein anderes die Revolution durchkämpfendes Land. Die re¬
publikanische Partei, jetzt durch den Kampf mit Oestreich gebunden, wird alle
Kraft aufbieten, sich durchzusetzen, und Pius sowohl als die klägliche Person Karl
Alberts werden in die unangenehme Lage kommen, dort Hilfe suchen zu müssen,
^° sie beleidigt haben. Oestreich wird und kann Beide nicht erhalten und wohl

die nächste, kurze Zeit ein befangenes Anlehnen Italiens an Frankreich her
vorbringen; doch aus den Sprüngen und Gegensätzen, welche das erregte Ge¬
fühl unes erwachenden Volkes durchzumachen hat, bricht überall der gesunde Men-
r^k^ü^' ^" Verstehen der concreten Interessen, das Begreifen einer wirk¬
lich fordernden nationalen Politik hervor, und Italiens Seidenwürmer werden


Oestreichs Zukunft.
Ein Brief an den k. s. Staatsminister Freiherrn von Pillersdorf.



Die Zukunft, ja die Existenz des Kaiserstaates hängt in diesem Augenblick
zumeist davon ab, ob Ew. Excellenz und die Staatsmänner, welche mit Ihnen
das Steuer des Schiffes im Sturme ergriffen haben, den östreichischen Staat in
seiner jetzigen landschaftlichen Ausdehnung für zu groß oder zu klein halten. Ihre
Ueberzeugungen darin sind bei weitem verhängnißvoller, als die gegenwärtige
Aufregung und die drohende Lage der Finanzen, denn die Politik nach Außen
sowohl, als die Constituirung des Landes hängen davon ab; und Ihre staatsmän¬
nische Einsicht, in der Mitte zwischen den leidenschaftlichen Forderungen eines em¬
pörten Rechtsgefühls, und zwischen stupiden Nationalitätsgelüsten und Separations¬
wünschen, kann den schwierigen Kampf der Gegensätze nur dann überwinden, wenn
Ihre Ansichten über Idee und Aufgabe Oestreichs in der Entwicklung der euro¬
päischen Völker die richtigen sind.

Von vorn herein sehe ich von Italien ab. In der That glaube ich nicht,
daß Ihr Ministerium die alte Hohenstaufenpolitik, Italien zu beherrschen, noch
für nützlich hält. Denn es ist klar, daß bei dem jetzigen Standpunkt nationaler
Entwickelung Italien viel mehr und fester zu Oestreich gehören wird, wenn eS
Politisch frei, als wenn es ihm unterworfen ist. Sobald die Lombardei und Ve¬
nedig sich selbst überlassen sind, wird Italien einer gefährlichern Schwäche anheim
fallen, als irgend ein anderes die Revolution durchkämpfendes Land. Die re¬
publikanische Partei, jetzt durch den Kampf mit Oestreich gebunden, wird alle
Kraft aufbieten, sich durchzusetzen, und Pius sowohl als die klägliche Person Karl
Alberts werden in die unangenehme Lage kommen, dort Hilfe suchen zu müssen,
^° sie beleidigt haben. Oestreich wird und kann Beide nicht erhalten und wohl

die nächste, kurze Zeit ein befangenes Anlehnen Italiens an Frankreich her
vorbringen; doch aus den Sprüngen und Gegensätzen, welche das erregte Ge¬
fühl unes erwachenden Volkes durchzumachen hat, bricht überall der gesunde Men-
r^k^ü^' ^" Verstehen der concreten Interessen, das Begreifen einer wirk¬
lich fordernden nationalen Politik hervor, und Italiens Seidenwürmer werden


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[0035] Oestreichs Zukunft. Ein Brief an den k. s. Staatsminister Freiherrn von Pillersdorf. Die Zukunft, ja die Existenz des Kaiserstaates hängt in diesem Augenblick zumeist davon ab, ob Ew. Excellenz und die Staatsmänner, welche mit Ihnen das Steuer des Schiffes im Sturme ergriffen haben, den östreichischen Staat in seiner jetzigen landschaftlichen Ausdehnung für zu groß oder zu klein halten. Ihre Ueberzeugungen darin sind bei weitem verhängnißvoller, als die gegenwärtige Aufregung und die drohende Lage der Finanzen, denn die Politik nach Außen sowohl, als die Constituirung des Landes hängen davon ab; und Ihre staatsmän¬ nische Einsicht, in der Mitte zwischen den leidenschaftlichen Forderungen eines em¬ pörten Rechtsgefühls, und zwischen stupiden Nationalitätsgelüsten und Separations¬ wünschen, kann den schwierigen Kampf der Gegensätze nur dann überwinden, wenn Ihre Ansichten über Idee und Aufgabe Oestreichs in der Entwicklung der euro¬ päischen Völker die richtigen sind. Von vorn herein sehe ich von Italien ab. In der That glaube ich nicht, daß Ihr Ministerium die alte Hohenstaufenpolitik, Italien zu beherrschen, noch für nützlich hält. Denn es ist klar, daß bei dem jetzigen Standpunkt nationaler Entwickelung Italien viel mehr und fester zu Oestreich gehören wird, wenn eS Politisch frei, als wenn es ihm unterworfen ist. Sobald die Lombardei und Ve¬ nedig sich selbst überlassen sind, wird Italien einer gefährlichern Schwäche anheim fallen, als irgend ein anderes die Revolution durchkämpfendes Land. Die re¬ publikanische Partei, jetzt durch den Kampf mit Oestreich gebunden, wird alle Kraft aufbieten, sich durchzusetzen, und Pius sowohl als die klägliche Person Karl Alberts werden in die unangenehme Lage kommen, dort Hilfe suchen zu müssen, ^° sie beleidigt haben. Oestreich wird und kann Beide nicht erhalten und wohl die nächste, kurze Zeit ein befangenes Anlehnen Italiens an Frankreich her vorbringen; doch aus den Sprüngen und Gegensätzen, welche das erregte Ge¬ fühl unes erwachenden Volkes durchzumachen hat, bricht überall der gesunde Men- r^k^ü^' ^" Verstehen der concreten Interessen, das Begreifen einer wirk¬ lich fordernden nationalen Politik hervor, und Italiens Seidenwürmer werden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/35>, abgerufen am 24.05.2024.