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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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und die Berührung mit der Betriebsamkeit und Intelligenz der Deutschen, grade das
hat sie vernichtet. Denn durch die Verbindung mit Deutschland ist die Stellung
zu ihren Arbeitern eine andere geworden, der Werth des Geldes hat sich geän¬
dert, der Bedarf an Geld und ihre Bedürfnisse haben sich vermehrt, ihr Ansehn
aber, ihr Credit und der Einfluß, den sie in guter alter Zeit auf den schutzbe¬
dürftiger Geldjuden ausüben, haben sich verringert; es ist jetzt nicht mehr möglich
die Einziehung einer Geldforderung durch Bestechung der Richter und ähnliche
Einflüsse zu verhindern, höchstens durch die Hinterthüren, welche jedes, auch das
beste Gesetz, nicht verschließen kann. Und so ist die Lage der meisten polnischen
Gutsbesitzer eine verzweifelte geworden und als Verzweifelte suchen sie sich daraus
zu befreien.

Einige Tage nach meiner Ankunft in Posen kam Herr v. W. mir nach; seine
Frau und die älteste Tochter begleiteten ihn. Wozu soll ich den Jammer schildern,
welchen diese Zusammenkunft den Unglücklichen und mir bereitete. Vergebens such¬
ten sie ihre Angst hinter gesellschaftlichen Artigkeiten zu verbergen, der Abgrund
vor ihnen hatte sich geöffnet und sie faßten krampfhaft nach mir, als dem letzten
Halt. Stumm und verblichen drehte die Frau mit nervöser Hast die goldenen
Ringe an ihrer Hand und der Kampf in den Zügen des starken Mannes war so
furchtbar, daß auch ich die Fassung verlor. Und selbst da noch, als mir in der
Aufregung ein Wort entschlüpfte, welches wie ein Vorwurf klang, richtete sich der
alte Löwe in seinem ganzen Trotze auf, und es fehlte nicht viel, er hätte mich
gefordert, weil ich den Edelmann in ihm verletzt hatte. Ich konnte ihm nicht
helfen, es war ihm nicht zu helfen. Ich darf diese Begebenheit jetzt erzählen,
denn der Mann lebt nicht mehr.

Zweierlei aber nimmt mich Wunder. Wenn ich die Tiraden der neuen deut¬
schen Revolutionsmänner lese, welche die Naivetät haben sich Demokraten zu nennen,
ohne eine Ahnung von dem Wesen der Demokratie zu besitzen, und wenn ich sehe,
wie sie als Deutsche so unwissend sind in Bezug auf die Existenz ihrer Grenznachbarn
und mit großen Worten von der Nothwendigkeit sprechen, das edle Volk der Polen
frei zu machen, so muß ich mich sehr darüber wundern. Wahrlich, wenn ein
Bürger der vereinigten Staaten etwas Aehnliches in Beziehung auf die Mexikaner
zum Nachtheil nordamerikanischer Kolonisation spräche oder schriebe, kein Bürger
in Unkle Sam's Land der den Mann nicht verachtete, und das Volk würde ihn
lyucken. Und doch ist der Mexikaner ein eben so feiner Gentleman, als der Pole
nur immer sein kann, und auch demokratische Männer gibts in Mexiko, die eben
so enthusiastisch und eben so radical sind, als in Polen. Und zweitens wundre
ich mich darüber, wie man in guter Meinung für die Polen das Großherzogthum
reorganisiren, frei machen, kurz von Deutschland ablösen will. Jede Lockerung des
bestehenden Verhältnisses ist ein Todesstoß für die polnischen Gutsbesitzer und muß
ein vollständiges Germanisiren der Provinz zur Folge haben. Das Großher-


und die Berührung mit der Betriebsamkeit und Intelligenz der Deutschen, grade das
hat sie vernichtet. Denn durch die Verbindung mit Deutschland ist die Stellung
zu ihren Arbeitern eine andere geworden, der Werth des Geldes hat sich geän¬
dert, der Bedarf an Geld und ihre Bedürfnisse haben sich vermehrt, ihr Ansehn
aber, ihr Credit und der Einfluß, den sie in guter alter Zeit auf den schutzbe¬
dürftiger Geldjuden ausüben, haben sich verringert; es ist jetzt nicht mehr möglich
die Einziehung einer Geldforderung durch Bestechung der Richter und ähnliche
Einflüsse zu verhindern, höchstens durch die Hinterthüren, welche jedes, auch das
beste Gesetz, nicht verschließen kann. Und so ist die Lage der meisten polnischen
Gutsbesitzer eine verzweifelte geworden und als Verzweifelte suchen sie sich daraus
zu befreien.

Einige Tage nach meiner Ankunft in Posen kam Herr v. W. mir nach; seine
Frau und die älteste Tochter begleiteten ihn. Wozu soll ich den Jammer schildern,
welchen diese Zusammenkunft den Unglücklichen und mir bereitete. Vergebens such¬
ten sie ihre Angst hinter gesellschaftlichen Artigkeiten zu verbergen, der Abgrund
vor ihnen hatte sich geöffnet und sie faßten krampfhaft nach mir, als dem letzten
Halt. Stumm und verblichen drehte die Frau mit nervöser Hast die goldenen
Ringe an ihrer Hand und der Kampf in den Zügen des starken Mannes war so
furchtbar, daß auch ich die Fassung verlor. Und selbst da noch, als mir in der
Aufregung ein Wort entschlüpfte, welches wie ein Vorwurf klang, richtete sich der
alte Löwe in seinem ganzen Trotze auf, und es fehlte nicht viel, er hätte mich
gefordert, weil ich den Edelmann in ihm verletzt hatte. Ich konnte ihm nicht
helfen, es war ihm nicht zu helfen. Ich darf diese Begebenheit jetzt erzählen,
denn der Mann lebt nicht mehr.

Zweierlei aber nimmt mich Wunder. Wenn ich die Tiraden der neuen deut¬
schen Revolutionsmänner lese, welche die Naivetät haben sich Demokraten zu nennen,
ohne eine Ahnung von dem Wesen der Demokratie zu besitzen, und wenn ich sehe,
wie sie als Deutsche so unwissend sind in Bezug auf die Existenz ihrer Grenznachbarn
und mit großen Worten von der Nothwendigkeit sprechen, das edle Volk der Polen
frei zu machen, so muß ich mich sehr darüber wundern. Wahrlich, wenn ein
Bürger der vereinigten Staaten etwas Aehnliches in Beziehung auf die Mexikaner
zum Nachtheil nordamerikanischer Kolonisation spräche oder schriebe, kein Bürger
in Unkle Sam's Land der den Mann nicht verachtete, und das Volk würde ihn
lyucken. Und doch ist der Mexikaner ein eben so feiner Gentleman, als der Pole
nur immer sein kann, und auch demokratische Männer gibts in Mexiko, die eben
so enthusiastisch und eben so radical sind, als in Polen. Und zweitens wundre
ich mich darüber, wie man in guter Meinung für die Polen das Großherzogthum
reorganisiren, frei machen, kurz von Deutschland ablösen will. Jede Lockerung des
bestehenden Verhältnisses ist ein Todesstoß für die polnischen Gutsbesitzer und muß
ein vollständiges Germanisiren der Provinz zur Folge haben. Das Großher-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/50>, abgerufen am 24.05.2024.