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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Fetzen zerrissen, aber der viereckige Eisenrahmen, der sie unisaßt, war unversehrt.
Ein Bild Oestreichs. Schade nix! schmunzelte ein alter Offizier von meiner Be¬
kanntschaft, das schwarzgelbe Zeug drin kann man flicken, so lang nur der eiserne
Nahmen halt, wird's doch ewig heißen: ^ustria erit in "rliv "Kinn"--oder auch:
.4>i8et-in est in vide ultim", brummte Jemand.

Die Konstitution zu beurtheilen, fehlt es mir an Zeit und Lust, wohl auch
an Unbefangenheit. Im Allgemeinen macht sie einen günstigen Eindruck. Wissen
Sie warum? Weil Viele gar keine Constitution erwarteten, sondern blos einige
organische Gesetze über oder vielmehr gegen Presse und Bercinsrecht. Vergleichen
Sie die Charte mit dem Constitntionsentwnrf der Kremsierer, um die Kluft zwi¬
schen dem Cabinet und dem Reichstag und die Erbitterung der Slaven zu er¬
messen, welche so lang für ein starkes Oestreich schwärmten, bis man sie beim
Wood nahm. Sie wollten den Hauptpfeiler des Gebäudes bilden und sind jetzt
nicht viel mehr als der Mörtel.

Tie Juden sind emancipirt. Ein Beweis, daß Stadion klug genug ist, um
keine bigotte, keine unnütze Reaction aufkommen zu lassen; nnr die Civilehe ist
der Kirche geopfert. Die Judenemancipation ist merkwürdiger Weise die wohl¬
feilste Concession geworden. So ist der reaktionäre Jdeologismus selbst von
Oestreich auf's Haupt geschlagen. Stadion weiß sehr wohl, daß die Juden keine
Nationalität sind, trotz allen alexandrinischen Bibliotheken, die von steifen Doktri¬
närs dafür geschrieben wurden. Hier kommen auf einen radikalen Juden hundert
schwarzgelbe.

Das nicht klar ausgesprochene Recht der Freizügigkeit kann indeß auch diese
Emancipation zum Narren haben. Ueberhaupt hat die Charte noch so viel Un¬
klarheiten oder Hinterthüren, daß ein Urtheil erst möglich sein wird, wenn die
Corrolarien dazu, die organischen Gesetze nämlich über Gemeinden, Landtage
n. s. w. herauskommen.

Eine Hauptbeschwerde ist, daß bis zum Zusammentritt der künftigen Kammern
eine lange, lange Frist verstreichen soll, was bei der Charte vom 25. April 1848
nicht der Fall war; denn erst sollen die Landtage mit ihren Vorarbeiten fertig
sein, und doch weiß man von diesen Landtagen nur, daß ihre Wirksamkeit eine
höchst beschränkte werden wird. Bis dahin -- wird das Ministerium "im Wege
der Verordnung" regieren. Da ist Graf Stadion in seinem Element. Ein ab¬
solutistisches Ministerium, umgeben von constitutionellen Formen, scheint sein !-o-in
illo.-.I. Das I. 1848 hat Nichts erzeugt als kleine Epigonen Joseph'S II. Alles
hat seine Zeit, auch der oft so heilsame aufgeklärte Despotismus. Vor 20, ja
vor lo Jahren wäre er hier ein Glück gewesen. Aber Oestreich kommt in Allem
zu spät.

Ein Konterfei Stadion's, in Holz geschnitten, wäre die beste Illustration der
Charte vom 7. Märj, welche, wenn es gelingt, den Nationalitätengeist abzumatten,


Fetzen zerrissen, aber der viereckige Eisenrahmen, der sie unisaßt, war unversehrt.
Ein Bild Oestreichs. Schade nix! schmunzelte ein alter Offizier von meiner Be¬
kanntschaft, das schwarzgelbe Zeug drin kann man flicken, so lang nur der eiserne
Nahmen halt, wird's doch ewig heißen: ^ustria erit in «rliv »Kinn»—oder auch:
.4>i8et-in est in vide ultim», brummte Jemand.

Die Konstitution zu beurtheilen, fehlt es mir an Zeit und Lust, wohl auch
an Unbefangenheit. Im Allgemeinen macht sie einen günstigen Eindruck. Wissen
Sie warum? Weil Viele gar keine Constitution erwarteten, sondern blos einige
organische Gesetze über oder vielmehr gegen Presse und Bercinsrecht. Vergleichen
Sie die Charte mit dem Constitntionsentwnrf der Kremsierer, um die Kluft zwi¬
schen dem Cabinet und dem Reichstag und die Erbitterung der Slaven zu er¬
messen, welche so lang für ein starkes Oestreich schwärmten, bis man sie beim
Wood nahm. Sie wollten den Hauptpfeiler des Gebäudes bilden und sind jetzt
nicht viel mehr als der Mörtel.

Tie Juden sind emancipirt. Ein Beweis, daß Stadion klug genug ist, um
keine bigotte, keine unnütze Reaction aufkommen zu lassen; nnr die Civilehe ist
der Kirche geopfert. Die Judenemancipation ist merkwürdiger Weise die wohl¬
feilste Concession geworden. So ist der reaktionäre Jdeologismus selbst von
Oestreich auf's Haupt geschlagen. Stadion weiß sehr wohl, daß die Juden keine
Nationalität sind, trotz allen alexandrinischen Bibliotheken, die von steifen Doktri¬
närs dafür geschrieben wurden. Hier kommen auf einen radikalen Juden hundert
schwarzgelbe.

Das nicht klar ausgesprochene Recht der Freizügigkeit kann indeß auch diese
Emancipation zum Narren haben. Ueberhaupt hat die Charte noch so viel Un¬
klarheiten oder Hinterthüren, daß ein Urtheil erst möglich sein wird, wenn die
Corrolarien dazu, die organischen Gesetze nämlich über Gemeinden, Landtage
n. s. w. herauskommen.

Eine Hauptbeschwerde ist, daß bis zum Zusammentritt der künftigen Kammern
eine lange, lange Frist verstreichen soll, was bei der Charte vom 25. April 1848
nicht der Fall war; denn erst sollen die Landtage mit ihren Vorarbeiten fertig
sein, und doch weiß man von diesen Landtagen nur, daß ihre Wirksamkeit eine
höchst beschränkte werden wird. Bis dahin — wird das Ministerium „im Wege
der Verordnung" regieren. Da ist Graf Stadion in seinem Element. Ein ab¬
solutistisches Ministerium, umgeben von constitutionellen Formen, scheint sein !-o-in
illo.-.I. Das I. 1848 hat Nichts erzeugt als kleine Epigonen Joseph'S II. Alles
hat seine Zeit, auch der oft so heilsame aufgeklärte Despotismus. Vor 20, ja
vor lo Jahren wäre er hier ein Glück gewesen. Aber Oestreich kommt in Allem
zu spät.

Ein Konterfei Stadion's, in Holz geschnitten, wäre die beste Illustration der
Charte vom 7. Märj, welche, wenn es gelingt, den Nationalitätengeist abzumatten,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/458>, abgerufen am 27.04.2024.