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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Regierungen gebunden sind; neben der gemeinsamen völkerrechtlichen Vertretung
gegen das Ausland bestehen die Gesandtschaften der einzelnen Staaten fort; die
Nativualvertretung besteht ans 300 Mitgliedern, Oestreich 100, gleichviel ob es ganz
oder mit einem Theil merite, Preußen Mi), die kleinern Staaten 100; die De¬
putaten werden durch die Landesvertretnngen der einzelnen Bundesstaaten ge¬
wählt. -- Dieser Entwurf würde, wenn er noch ausgeführt werden könnte, einen
deutschen Bund schaffen, der durch die Intriguen und entgegengesetzten Interessen
von sieben Höfen, welchen den andern gegenüber ein Privilegium gegeben ist, und
dnrch das Gesandtschaftsrecht der einzelnen Staateil dem Ausland gegenüber eben
so ohnmächtig und unbehilflich wäre, als der alte heilige Bund war, und er
würde bei der Zusammensetzung seiner Kärrner, welche durch Kammern gewählt
werden soll, die allgemeine Sehnsucht der Nation nach Betheiligung des Volkes
an der Regierung zu wenig befriedigen. Obgleich diese letzte Bestimmung noch
im Jahre 48 nichts weniger als unpraktisch gewesen wäre, so wurde sie doch jetzt
kaum einer Partei gefallen und außerdem, im Fall ganz Oestreich zuträte, die selt¬
same Aussicht eröffnen, daß etwa der vierte Theil (vielleicht bei der Majorität der
Slaven in einem östreichischen Parlament der dritte Theil) der gewählten Depu¬
taten solchen Ländergebieten angehörte, welche entschieden feindlich deutschem Le¬
ben, selbst deutscher Sprache gegenüber stehen. Der Entwurf ist aber auch in
seinen übrigen Bestimmungen unpraktisch, denn es würde ans dein Wege, welchen
er vorzeichnet, wenigstens noch ein Jahr dauern, bis die erste Volksvertre¬
tung zusammenkommen könnte, um die neue Verfassung mit den Regierungen zu
vereinbaren. Er soll nämlich zunächst die Genehmigung der Regierungen des
frühern deutschen Bundes erhalten, dann soll die Bundesregierung zusammentreten
und auf der Grundlage des Entwurfs ein Bnndeögrnndgesctz ausarbeiten, dann
soll dasselbe deu einzelnen Regierungen mitgetheilt werden, diese müssen ihre Kam¬
mern zusammenrufen und durch diese die Nationalvcrtrcter wählen lassen, dann
wird die Natwualvertretuug zusammen geladen und ihr das Grundgesetz zur Ver¬
einbarung vorgelegt. Das ist ein so weiter Weg, und ans jeder Station des¬
selben liegen so viele Hindernisse, daß sich sicher voraussehen läßt, die Verfassung
werde nie in's Leben treten. Nach zwei Jahren des Blutes, der Sünde, des
Enthusiasmus und der enttäuschten Erwartung wären wir jetzt glücklich eben so weit,
wie wir im April 1848 waren. Der Entwurf kann die Genehmigung sämmtli¬
cher Regierungen uicht erhalten. Ganz abgesehen von den Staaten der Union,
wird auch weder Dänemark noch Limburg und Luxemburg sich mit ernstem Wil¬
len daran betheiligen. Selbst Oestreich kaun es nicht. Und gesetzt, alle Regie¬
rungen nehmen den Entwurf an, und Preußen und die Union helfen artig,
uach den Artikeln, des Herrn von der Pfordten einen neuen Katechismus auszuarbei¬
ten, ist es denkbar, daß irgend eine Nativnalvertrctung, selbst so zusammengesetzt,
wie der Entwurf sie will, eine Verfassung mit siebenköpfigen Direktorium, dessen


Regierungen gebunden sind; neben der gemeinsamen völkerrechtlichen Vertretung
gegen das Ausland bestehen die Gesandtschaften der einzelnen Staaten fort; die
Nativualvertretung besteht ans 300 Mitgliedern, Oestreich 100, gleichviel ob es ganz
oder mit einem Theil merite, Preußen Mi), die kleinern Staaten 100; die De¬
putaten werden durch die Landesvertretnngen der einzelnen Bundesstaaten ge¬
wählt. — Dieser Entwurf würde, wenn er noch ausgeführt werden könnte, einen
deutschen Bund schaffen, der durch die Intriguen und entgegengesetzten Interessen
von sieben Höfen, welchen den andern gegenüber ein Privilegium gegeben ist, und
dnrch das Gesandtschaftsrecht der einzelnen Staateil dem Ausland gegenüber eben
so ohnmächtig und unbehilflich wäre, als der alte heilige Bund war, und er
würde bei der Zusammensetzung seiner Kärrner, welche durch Kammern gewählt
werden soll, die allgemeine Sehnsucht der Nation nach Betheiligung des Volkes
an der Regierung zu wenig befriedigen. Obgleich diese letzte Bestimmung noch
im Jahre 48 nichts weniger als unpraktisch gewesen wäre, so wurde sie doch jetzt
kaum einer Partei gefallen und außerdem, im Fall ganz Oestreich zuträte, die selt¬
same Aussicht eröffnen, daß etwa der vierte Theil (vielleicht bei der Majorität der
Slaven in einem östreichischen Parlament der dritte Theil) der gewählten Depu¬
taten solchen Ländergebieten angehörte, welche entschieden feindlich deutschem Le¬
ben, selbst deutscher Sprache gegenüber stehen. Der Entwurf ist aber auch in
seinen übrigen Bestimmungen unpraktisch, denn es würde ans dein Wege, welchen
er vorzeichnet, wenigstens noch ein Jahr dauern, bis die erste Volksvertre¬
tung zusammenkommen könnte, um die neue Verfassung mit den Regierungen zu
vereinbaren. Er soll nämlich zunächst die Genehmigung der Regierungen des
frühern deutschen Bundes erhalten, dann soll die Bundesregierung zusammentreten
und auf der Grundlage des Entwurfs ein Bnndeögrnndgesctz ausarbeiten, dann
soll dasselbe deu einzelnen Regierungen mitgetheilt werden, diese müssen ihre Kam¬
mern zusammenrufen und durch diese die Nationalvcrtrcter wählen lassen, dann
wird die Natwualvertretuug zusammen geladen und ihr das Grundgesetz zur Ver¬
einbarung vorgelegt. Das ist ein so weiter Weg, und ans jeder Station des¬
selben liegen so viele Hindernisse, daß sich sicher voraussehen läßt, die Verfassung
werde nie in's Leben treten. Nach zwei Jahren des Blutes, der Sünde, des
Enthusiasmus und der enttäuschten Erwartung wären wir jetzt glücklich eben so weit,
wie wir im April 1848 waren. Der Entwurf kann die Genehmigung sämmtli¬
cher Regierungen uicht erhalten. Ganz abgesehen von den Staaten der Union,
wird auch weder Dänemark noch Limburg und Luxemburg sich mit ernstem Wil¬
len daran betheiligen. Selbst Oestreich kaun es nicht. Und gesetzt, alle Regie¬
rungen nehmen den Entwurf an, und Preußen und die Union helfen artig,
uach den Artikeln, des Herrn von der Pfordten einen neuen Katechismus auszuarbei¬
ten, ist es denkbar, daß irgend eine Nativnalvertrctung, selbst so zusammengesetzt,
wie der Entwurf sie will, eine Verfassung mit siebenköpfigen Direktorium, dessen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/22>, abgerufen am 27.05.2024.