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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Auf der einen Seite verwirft sie mit großer Verachtung die Theorie von der Ent¬
stehung der Staaten dnrch Vertrag, sie beruft sich auf die Autorität, d. h.
auf die Gewalt, wenn sie dieselbe auch von der Gnade Gottes ableitet. Haller
hat nachgewiesen, das; kein Staat ans einem Vertrag, sondern alle ans Usurpa¬
tion basiren. Stahl hat in Erfurt deu Liberalen die Autorität vorgehalten, und
jede Art deS Vertrags von sich gewiesen. -- Andererseits wollen sie der "Auto¬
rität" auf keine Weise zugesteh", "wohlerworbene Rechte" anders abzuschaffen,
als durch einen Vertrag. Sie sind also in diesem Punkt entschiedene Gegner
des politischen Absolutismus.

Es kommt nicht darauf an, auf deu Inhalt der Doctrin näher einzugehen.
Genug, sie ist da. Sie hat uuter dem vorigen König in dem Berliner politischen
Wochenblatt gegen den rationalistischen Staat Opposition gemacht, sie hat in
Schlegel, Haller, Jarcke, Philipps, Adam Müller, Görres n. s. w., so sehr diese
im Einzelnen von einander abweiche", ihre Geschichtschreiber gesunden, sie hat
auch ihre Philosophen. Sie hat sich in deu letzten Jahren in der Presse und in
den Parlamenten, wie früher auf den .Kathedern und Kanzeln, sehr thätige Or¬
gane zu verschaffen gewußt; sie rühmt mit einer gewissen Selbstgefälligkeit ihre
Partei als eine junge, muthige, lebensfrische. Und in der That, wenigstens Talent
und Energie ist Männern wie Stahl, Gerlach, Bismark-Schönhausen, Huber,
Leo u. s. w. nicht abzusprechen.

Es sind umgekehrte Idealisten, aber es sind Idealisten. Sie wollen ihre
Principien uicht nur zur Geltung bringen, sie wollen ihnen auch einen Ausdruck
geben. Sie haben vom Apfel der Erkenntniß gekostet, sie werden die Redner-
bühne nicht mehr schließen wollen, trotz ihres Princips. Sie buhlen um Popu¬
larität, trotz ihrer Verachtung des Volks; sie sind unverdrossen mit der Feder,
trotz der geringen Meinung, die sie von den Literaten hegen.

Schon ans diesem Grunde könnte eS wohl einmal kommen, daß die nltra-
royalistische Partei, die mit ihrem Lärm und ihren Herausforderungen der eigent¬
lich ministeriellen, conservativen sehr zuwider sein muß, im Ernst für die Freiheit
der Presse und der Parlamente eintritt. Vorläufig ist es uur ein Einfall.

Herr Stahl wird lieber vor der Nation, als vor seinen Studenten sein
Rednertalent in Anwendung bringen wolle". Die großen Grundbesitzer werden
lieber im Oberhaus, als in den Bureaus, wo sie doch immer abhängig sind, ihren
Einfluß ans den Staat ausüben. Sie werden, wenn sie Talent haben, lieber in
der Eigenschaft parlamentarischer Kapacitäten, als aus dein langweiligen Wege der
Examina und der Ancieumtät nach dem Portefeuille strebe".

Es kommt uoch dazu, daß die Partei als solche nicht daran denkt, die Ne¬
gierung in die Hände zu nehme". Sie kaun als äußerste Rechte die Regierung
viel energischer dränge" und treiben; und sie weiß sehr wohl, daß sie an der
Spitze der Geschäfte von der Strenge ihres Princips abgehn, daß sie bedingte


Auf der einen Seite verwirft sie mit großer Verachtung die Theorie von der Ent¬
stehung der Staaten dnrch Vertrag, sie beruft sich auf die Autorität, d. h.
auf die Gewalt, wenn sie dieselbe auch von der Gnade Gottes ableitet. Haller
hat nachgewiesen, das; kein Staat ans einem Vertrag, sondern alle ans Usurpa¬
tion basiren. Stahl hat in Erfurt deu Liberalen die Autorität vorgehalten, und
jede Art deS Vertrags von sich gewiesen. — Andererseits wollen sie der „Auto¬
rität" auf keine Weise zugesteh», „wohlerworbene Rechte" anders abzuschaffen,
als durch einen Vertrag. Sie sind also in diesem Punkt entschiedene Gegner
des politischen Absolutismus.

Es kommt nicht darauf an, auf deu Inhalt der Doctrin näher einzugehen.
Genug, sie ist da. Sie hat uuter dem vorigen König in dem Berliner politischen
Wochenblatt gegen den rationalistischen Staat Opposition gemacht, sie hat in
Schlegel, Haller, Jarcke, Philipps, Adam Müller, Görres n. s. w., so sehr diese
im Einzelnen von einander abweiche», ihre Geschichtschreiber gesunden, sie hat
auch ihre Philosophen. Sie hat sich in deu letzten Jahren in der Presse und in
den Parlamenten, wie früher auf den .Kathedern und Kanzeln, sehr thätige Or¬
gane zu verschaffen gewußt; sie rühmt mit einer gewissen Selbstgefälligkeit ihre
Partei als eine junge, muthige, lebensfrische. Und in der That, wenigstens Talent
und Energie ist Männern wie Stahl, Gerlach, Bismark-Schönhausen, Huber,
Leo u. s. w. nicht abzusprechen.

Es sind umgekehrte Idealisten, aber es sind Idealisten. Sie wollen ihre
Principien uicht nur zur Geltung bringen, sie wollen ihnen auch einen Ausdruck
geben. Sie haben vom Apfel der Erkenntniß gekostet, sie werden die Redner-
bühne nicht mehr schließen wollen, trotz ihres Princips. Sie buhlen um Popu¬
larität, trotz ihrer Verachtung des Volks; sie sind unverdrossen mit der Feder,
trotz der geringen Meinung, die sie von den Literaten hegen.

Schon ans diesem Grunde könnte eS wohl einmal kommen, daß die nltra-
royalistische Partei, die mit ihrem Lärm und ihren Herausforderungen der eigent¬
lich ministeriellen, conservativen sehr zuwider sein muß, im Ernst für die Freiheit
der Presse und der Parlamente eintritt. Vorläufig ist es uur ein Einfall.

Herr Stahl wird lieber vor der Nation, als vor seinen Studenten sein
Rednertalent in Anwendung bringen wolle«. Die großen Grundbesitzer werden
lieber im Oberhaus, als in den Bureaus, wo sie doch immer abhängig sind, ihren
Einfluß ans den Staat ausüben. Sie werden, wenn sie Talent haben, lieber in
der Eigenschaft parlamentarischer Kapacitäten, als aus dein langweiligen Wege der
Examina und der Ancieumtät nach dem Portefeuille strebe».

Es kommt uoch dazu, daß die Partei als solche nicht daran denkt, die Ne¬
gierung in die Hände zu nehme». Sie kaun als äußerste Rechte die Regierung
viel energischer dränge» und treiben; und sie weiß sehr wohl, daß sie an der
Spitze der Geschäfte von der Strenge ihres Princips abgehn, daß sie bedingte


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[0453] Auf der einen Seite verwirft sie mit großer Verachtung die Theorie von der Ent¬ stehung der Staaten dnrch Vertrag, sie beruft sich auf die Autorität, d. h. auf die Gewalt, wenn sie dieselbe auch von der Gnade Gottes ableitet. Haller hat nachgewiesen, das; kein Staat ans einem Vertrag, sondern alle ans Usurpa¬ tion basiren. Stahl hat in Erfurt deu Liberalen die Autorität vorgehalten, und jede Art deS Vertrags von sich gewiesen. — Andererseits wollen sie der „Auto¬ rität" auf keine Weise zugesteh», „wohlerworbene Rechte" anders abzuschaffen, als durch einen Vertrag. Sie sind also in diesem Punkt entschiedene Gegner des politischen Absolutismus. Es kommt nicht darauf an, auf deu Inhalt der Doctrin näher einzugehen. Genug, sie ist da. Sie hat uuter dem vorigen König in dem Berliner politischen Wochenblatt gegen den rationalistischen Staat Opposition gemacht, sie hat in Schlegel, Haller, Jarcke, Philipps, Adam Müller, Görres n. s. w., so sehr diese im Einzelnen von einander abweiche», ihre Geschichtschreiber gesunden, sie hat auch ihre Philosophen. Sie hat sich in deu letzten Jahren in der Presse und in den Parlamenten, wie früher auf den .Kathedern und Kanzeln, sehr thätige Or¬ gane zu verschaffen gewußt; sie rühmt mit einer gewissen Selbstgefälligkeit ihre Partei als eine junge, muthige, lebensfrische. Und in der That, wenigstens Talent und Energie ist Männern wie Stahl, Gerlach, Bismark-Schönhausen, Huber, Leo u. s. w. nicht abzusprechen. Es sind umgekehrte Idealisten, aber es sind Idealisten. Sie wollen ihre Principien uicht nur zur Geltung bringen, sie wollen ihnen auch einen Ausdruck geben. Sie haben vom Apfel der Erkenntniß gekostet, sie werden die Redner- bühne nicht mehr schließen wollen, trotz ihres Princips. Sie buhlen um Popu¬ larität, trotz ihrer Verachtung des Volks; sie sind unverdrossen mit der Feder, trotz der geringen Meinung, die sie von den Literaten hegen. Schon ans diesem Grunde könnte eS wohl einmal kommen, daß die nltra- royalistische Partei, die mit ihrem Lärm und ihren Herausforderungen der eigent¬ lich ministeriellen, conservativen sehr zuwider sein muß, im Ernst für die Freiheit der Presse und der Parlamente eintritt. Vorläufig ist es uur ein Einfall. Herr Stahl wird lieber vor der Nation, als vor seinen Studenten sein Rednertalent in Anwendung bringen wolle«. Die großen Grundbesitzer werden lieber im Oberhaus, als in den Bureaus, wo sie doch immer abhängig sind, ihren Einfluß ans den Staat ausüben. Sie werden, wenn sie Talent haben, lieber in der Eigenschaft parlamentarischer Kapacitäten, als aus dein langweiligen Wege der Examina und der Ancieumtät nach dem Portefeuille strebe». Es kommt uoch dazu, daß die Partei als solche nicht daran denkt, die Ne¬ gierung in die Hände zu nehme». Sie kaun als äußerste Rechte die Regierung viel energischer dränge» und treiben; und sie weiß sehr wohl, daß sie an der Spitze der Geschäfte von der Strenge ihres Princips abgehn, daß sie bedingte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/453>, abgerufen am 19.05.2024.