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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Lust zeigte zu hören. Außerdem schritt ein anderer Manu durch die Kirche mit
sichtbarem Augenmerk, nicht auf die Ordnung, die er hüten sollte, sondern aus
fremde Gesichter. Es war der Kirchendiener, der Sakristan. Wer in Paris war
und in einer dasigen Kirche, erinnert sich des eigenthümlichen Costüms der dort
gleichermaßen Angestellten des dreieckigen Huts mit silberner Borde, des ge¬
stickten Rocks, der kurzen "Modesten", der weißseidenen Strümpfe und der blanken,
silberbeschnällteu Schuhe, des die Waden klopfenden Galanteriedegens an breitem,
reich verziertem Gehänge und des gewichtigen Rohrs mit langem, silbernen Knopfe
und langer, stählerner Zwinge, welche der Träger dröhnend auf das Pflaster stoßt,
dem Volke ein Zeichen, dem Priester Raum zu geben auf seinem Gange von der
Sakristei zum Altar oder zur Kanzel -- ein Costüm, das merkwürdig genng allen
geselligen Umwälzungen siegreich widerstanden. Bescheidener tritt der Antwerpe-
ner Sakristan auf. Er hat weder dreieckigen Hut, noch Galanteriedegen, aber
einen sein gestickten Nock und ein zierliches Gehänge, weder seidene Strümpfe,
noch Schuhe, aber Stolpeusticfelu, die Stolper von glänzender Mahagoni-Farbe.
Seine Rente sind die zwei unweit vom Altar hängenden Gemälde des Meister
Rubens, die Abnahme vom Krenz und die Krenzeserhöhnng. Deshalb werden beide be-'
deckt gehalten und deshalb sucht der Sakristan die fremden Gesichter. Nach beendigter
Messe lüftet er den Vorhang und nimmt lohnende Anerkennung dankbar entgegen.

Würdiger älter Bau, welchen Anblick mußt dn geboten haben, als beim Glanz
von hundert silbernen Kronleuchtern Philipp der Zweite das Capitel des Ordens
vom goldnen Vließe hielt, umgeben von regierenden Fürsten, inmitten eines Adels,
des reichsten der Welt, dessen Wappenschilder ans seidenen Bannern über den
Häuptern der Versammlung wehten! Freilich war das die Zeit, wo Antwerpens
Handel keinen Nebenbuhler kannte, sein weiter Hafen zu eng war für die ans
der Scheide heranziehenden Flotten, Pracht und Luxus durch alle Stände ging,
Männer und Frauen sich in Sammet und Seide kleideten, Diamanten das Pferde¬
geschirr zierten und wo die Gemahlin Philipps des Schönen von Frankreich nach
Brügge kam, sie schon dort, erstaunt über den sie umringenden Glanz, in die
Worte ausbrach: "Ich meinte die einzige Königin hier zu sein und sehe sechs¬
hundert Frauen, die es mehr sind als ich." -- Dahin ist die Pracht, der unge¬
messene Reichthum, sammtne Wannser und seidene Fahnen, aber die kleine Biene
glänzt noch, welche Quentin Messys, der arme Hufschmied, heimlich auf deu Schenkel
eines Engels malte, im Atelier des reichen Malers, dessen Tochter er liebte. Das Bild
mit der Biene, der Fall der Engel, hängt noch in der Kathedrale und vor derselben
unteren westlichen Portale schläft Quentin Messys. Im Schiff der Kirche, wo
mancher Unwürdige schlief, wurde ihm die Stelle versagt, weil er ein Ketzer hieß.
Doch an Quentius Grab geht Keiner vorüber, ohne seinen Namen auf einer
Steintafel zu lesen und darunter dieZeile: eonnubmli8^moi'cteivluloil>re denn^xsl-
Ism. Mit dieser frommen Betrachtung schied ich ans der Atmosphäre vou Weihrauch.




Lust zeigte zu hören. Außerdem schritt ein anderer Manu durch die Kirche mit
sichtbarem Augenmerk, nicht auf die Ordnung, die er hüten sollte, sondern aus
fremde Gesichter. Es war der Kirchendiener, der Sakristan. Wer in Paris war
und in einer dasigen Kirche, erinnert sich des eigenthümlichen Costüms der dort
gleichermaßen Angestellten des dreieckigen Huts mit silberner Borde, des ge¬
stickten Rocks, der kurzen „Modesten", der weißseidenen Strümpfe und der blanken,
silberbeschnällteu Schuhe, des die Waden klopfenden Galanteriedegens an breitem,
reich verziertem Gehänge und des gewichtigen Rohrs mit langem, silbernen Knopfe
und langer, stählerner Zwinge, welche der Träger dröhnend auf das Pflaster stoßt,
dem Volke ein Zeichen, dem Priester Raum zu geben auf seinem Gange von der
Sakristei zum Altar oder zur Kanzel — ein Costüm, das merkwürdig genng allen
geselligen Umwälzungen siegreich widerstanden. Bescheidener tritt der Antwerpe-
ner Sakristan auf. Er hat weder dreieckigen Hut, noch Galanteriedegen, aber
einen sein gestickten Nock und ein zierliches Gehänge, weder seidene Strümpfe,
noch Schuhe, aber Stolpeusticfelu, die Stolper von glänzender Mahagoni-Farbe.
Seine Rente sind die zwei unweit vom Altar hängenden Gemälde des Meister
Rubens, die Abnahme vom Krenz und die Krenzeserhöhnng. Deshalb werden beide be-'
deckt gehalten und deshalb sucht der Sakristan die fremden Gesichter. Nach beendigter
Messe lüftet er den Vorhang und nimmt lohnende Anerkennung dankbar entgegen.

Würdiger älter Bau, welchen Anblick mußt dn geboten haben, als beim Glanz
von hundert silbernen Kronleuchtern Philipp der Zweite das Capitel des Ordens
vom goldnen Vließe hielt, umgeben von regierenden Fürsten, inmitten eines Adels,
des reichsten der Welt, dessen Wappenschilder ans seidenen Bannern über den
Häuptern der Versammlung wehten! Freilich war das die Zeit, wo Antwerpens
Handel keinen Nebenbuhler kannte, sein weiter Hafen zu eng war für die ans
der Scheide heranziehenden Flotten, Pracht und Luxus durch alle Stände ging,
Männer und Frauen sich in Sammet und Seide kleideten, Diamanten das Pferde¬
geschirr zierten und wo die Gemahlin Philipps des Schönen von Frankreich nach
Brügge kam, sie schon dort, erstaunt über den sie umringenden Glanz, in die
Worte ausbrach: „Ich meinte die einzige Königin hier zu sein und sehe sechs¬
hundert Frauen, die es mehr sind als ich." — Dahin ist die Pracht, der unge¬
messene Reichthum, sammtne Wannser und seidene Fahnen, aber die kleine Biene
glänzt noch, welche Quentin Messys, der arme Hufschmied, heimlich auf deu Schenkel
eines Engels malte, im Atelier des reichen Malers, dessen Tochter er liebte. Das Bild
mit der Biene, der Fall der Engel, hängt noch in der Kathedrale und vor derselben
unteren westlichen Portale schläft Quentin Messys. Im Schiff der Kirche, wo
mancher Unwürdige schlief, wurde ihm die Stelle versagt, weil er ein Ketzer hieß.
Doch an Quentius Grab geht Keiner vorüber, ohne seinen Namen auf einer
Steintafel zu lesen und darunter dieZeile: eonnubmli8^moi'cteivluloil>re denn^xsl-
Ism. Mit dieser frommen Betrachtung schied ich ans der Atmosphäre vou Weihrauch.




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[0103] Lust zeigte zu hören. Außerdem schritt ein anderer Manu durch die Kirche mit sichtbarem Augenmerk, nicht auf die Ordnung, die er hüten sollte, sondern aus fremde Gesichter. Es war der Kirchendiener, der Sakristan. Wer in Paris war und in einer dasigen Kirche, erinnert sich des eigenthümlichen Costüms der dort gleichermaßen Angestellten des dreieckigen Huts mit silberner Borde, des ge¬ stickten Rocks, der kurzen „Modesten", der weißseidenen Strümpfe und der blanken, silberbeschnällteu Schuhe, des die Waden klopfenden Galanteriedegens an breitem, reich verziertem Gehänge und des gewichtigen Rohrs mit langem, silbernen Knopfe und langer, stählerner Zwinge, welche der Träger dröhnend auf das Pflaster stoßt, dem Volke ein Zeichen, dem Priester Raum zu geben auf seinem Gange von der Sakristei zum Altar oder zur Kanzel — ein Costüm, das merkwürdig genng allen geselligen Umwälzungen siegreich widerstanden. Bescheidener tritt der Antwerpe- ner Sakristan auf. Er hat weder dreieckigen Hut, noch Galanteriedegen, aber einen sein gestickten Nock und ein zierliches Gehänge, weder seidene Strümpfe, noch Schuhe, aber Stolpeusticfelu, die Stolper von glänzender Mahagoni-Farbe. Seine Rente sind die zwei unweit vom Altar hängenden Gemälde des Meister Rubens, die Abnahme vom Krenz und die Krenzeserhöhnng. Deshalb werden beide be-' deckt gehalten und deshalb sucht der Sakristan die fremden Gesichter. Nach beendigter Messe lüftet er den Vorhang und nimmt lohnende Anerkennung dankbar entgegen. Würdiger älter Bau, welchen Anblick mußt dn geboten haben, als beim Glanz von hundert silbernen Kronleuchtern Philipp der Zweite das Capitel des Ordens vom goldnen Vließe hielt, umgeben von regierenden Fürsten, inmitten eines Adels, des reichsten der Welt, dessen Wappenschilder ans seidenen Bannern über den Häuptern der Versammlung wehten! Freilich war das die Zeit, wo Antwerpens Handel keinen Nebenbuhler kannte, sein weiter Hafen zu eng war für die ans der Scheide heranziehenden Flotten, Pracht und Luxus durch alle Stände ging, Männer und Frauen sich in Sammet und Seide kleideten, Diamanten das Pferde¬ geschirr zierten und wo die Gemahlin Philipps des Schönen von Frankreich nach Brügge kam, sie schon dort, erstaunt über den sie umringenden Glanz, in die Worte ausbrach: „Ich meinte die einzige Königin hier zu sein und sehe sechs¬ hundert Frauen, die es mehr sind als ich." — Dahin ist die Pracht, der unge¬ messene Reichthum, sammtne Wannser und seidene Fahnen, aber die kleine Biene glänzt noch, welche Quentin Messys, der arme Hufschmied, heimlich auf deu Schenkel eines Engels malte, im Atelier des reichen Malers, dessen Tochter er liebte. Das Bild mit der Biene, der Fall der Engel, hängt noch in der Kathedrale und vor derselben unteren westlichen Portale schläft Quentin Messys. Im Schiff der Kirche, wo mancher Unwürdige schlief, wurde ihm die Stelle versagt, weil er ein Ketzer hieß. Doch an Quentius Grab geht Keiner vorüber, ohne seinen Namen auf einer Steintafel zu lesen und darunter dieZeile: eonnubmli8^moi'cteivluloil>re denn^xsl- Ism. Mit dieser frommen Betrachtung schied ich ans der Atmosphäre vou Weihrauch.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/103>, abgerufen am 28.05.2024.